Was ist "Fatalismus der Geschichte"? Woyzeck

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Georg Büchner meint mit dem Fatalismus der Geschichte eine Unausweichlichkeit und Unabwendbarkeit des Ablaufs der Geschichte, eine völlige Determiniertheit des Geschehens, das sich wie ein notwendiges Schicksal vollzieht. Für Willensfreiheit bzw. Freiheit der Person bei ihrer Willensbildung bleibt dann kein Spielraum übrig.

Fatalismus stammt von dem lateinischen Substantiv fatum („Ausspruch“, „Götterspruch“, „Schicksal“, „Verhängnis“, „Götterwillen“, „Bestimmung“, „Geschick“) und dem Adjektiv fatalis („vom Schicksal bestimmt/beschlossen/verhängt/verfügt/herbeigeführt“, „verhängnisvoll“, „Verderben bringend“). Fatalismus ist die Auffassung, jedes Geschehen vollziehe sich völlig notwendig als unausweichliches Schicksal. Fatalismus meint alle Prozesse der Natur und Gesellschaft seien von einer höheren, unabwendbaren Macht (Gott, Gesetz, kosmische Ordnung) abhängig und von ihr vorherbestimmt und gelenkt. Eine unausweichliche Kausalkette oder Fügung (Schicksal) herrschten, denen der Wille des Menschen nichts entgegensetzen könne. Fatalisten ergeben sich in das (sinnlose oder zumindest unbeeinflußbare) Schicksal (bejahend oder resignativ). Sie haben ein Gefühl des Ausgeliefertseins.

Das Bedeutungsfeld und der Begriffsumfang von Determinismus und Fatalismus überschneiden sich erheblich.

Fatalismus ist im Unterschied zu Determinismus allerdings nicht nur eine theoretische Lehre, sondern auch eine Einstellung.

Determinismus kann sich auf eine bemerkbare und erforschbare regelhaften Zusammenhang mit vorausliegenden Umständen und Gesetzmäßigkeit beziehen, bei der die Ursachen im Einzelnen festgestellt werden. Fatalismus dagegen sieht einfach nur einen durch ein Schicksal unabänderlich festgelegten Ablauf, ein Gesamtergebnis ohne nähere Untersuchung der Verursachung im Einzelnen mit bestimmten Gesetzen (deshalb vollzieht sich für ihn eine blinde Notwendigkeit).

einen geschichtlichen Überblick zu den Begriffen geben:

Gerhard Frey, Determinismus. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 2: D – F. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1972, Spalte 156 - 157

Jürgen Ruhnau, Fatalismus. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 2: D – F. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1972, Spalte 913 – 915

Georg Büchner neigte in seiner Weltanschauung zu einer materialistischen Determiniertheit (notwendige Bestimmtheit von Menschen durch die Umstände, darunter die gesellschaftlichen Bedingungen). Die Äußerung vom Fatalismus der Geschichte bezieht sich auf die Unausweichlichkeit bei einer solchen Determiniertheit (nach einem ehernen Gesetz), nicht eine von ihm vertretene Einstellung des Fatalismus (er hat ja auch etwas unternommen, um Verhältnisse zu verändern). Der Ausdruck „Fatalismus“ könnte von ihm verwendet worden sein, um das Blinde und Sinnlose des geschichtlichen Prozesses auszudrücken, der sich seiner Auffassung nach vollzieht.

Ein sinnleeres Kreisen bei einem Determinismus hat Georg Büchner zugleich auch Unbehagen bereitet, wie eine Aussage in einem Schreiben an seine Braut Wilhelmine Jaegle Anfang 1834 zeigt:
„Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhnte mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinenmesser. Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch: es muß ja Aegerniß kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, - ist ja schauderhaft. Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt? Ich mag dem Gedanken nicht weiter nachgehen. Könnte ich aber dies kalte und gemarterte Herz an deine Brust legen!"

In einem Brief an seine Familie schreibt er im Februar 1834:
„Ich verachte Niemanden, am wenigsten wegen seines Verstandes oder seiner Bildung, weil es in Niemands Gewalt liegt, kein Dummkopf oder kein Verbrecher zu werden, - weil wir durch gleiche Umstände wohl Alle gleich würden, und weil die Umstände außer uns liegen.“

In seinem Drama „Dantons Tod" sagt Danton: „Der Mann am Kreuze hat sich's bequem gemacht: es muß ja Ärgernis kommen, doch wehe dem, durch welchen Ärgernis kommt! – Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet? Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kämpfen – man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen. – Jetzt bin ich ruhig."

Albrecht  02.04.2013, 00:15

Der einzelne Mensch ist in dieser Geschichtsauffassung Werkzeug und Mittel eines ehernen Gesetzes. Als Subjekt der Geschichte erweist er sich als hinfällig und ohnmächtig angesichts einer sich gesetzmäßig vollziehenden unausweichlichen Notwendigkeit. Dies gilt auch für Genies. Die Individuen scheitern bei einem Versuch selbst gesteuerter Veränderung. Der geschichtliche Ablauf ist individueller Beeinflussung entzogen und nicht durch Absichten und Ziele gelenkt.

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