Schopenhauer: Es gibt keine Willensfreiheit - ist der Mensch verantwortlich?

8 Antworten

Schopenhauer äußert sich in der Grundlage der Moral recht ausführlich dazu.

Es ist eine Weile her, dass ich es gelesen habe. Ich werde es dir nicht mehr ganz genau schildern können, jedoch ist Schopenhauers Verantwortungbegriff recht schwierig, genau wie sein Freiheitsbegriff. Letztendlich ist der Mensch für ihn ebenfalls frei, jedoch nicht in der empirischen Welt, sondern im "Sein". Und genau da liegt auch die Verantwortung: Wenn Du jemand anderes gewesen wärest, hättest du anders gehandelt und bist in diesem Sinne auch für dein Handeln verantwortlich. Nun geht es darum, Schopenhauers Verständnis vom Sein nachvollziehen zu können.

Wie gesagt, in der Grundlage schreibt er etwas dazu, lies doch nach!

Geht es dir denn darum, Schopenhauer zu verstehen oder nur mithilfe Schopenhauers die Verantwortung zu begreifen? Wie wäre es mit dem Film "Der Freie Wille"? Dieser (beste deutsche Film) hat es mich da weiter gebracht.

Ultrameister  23.10.2012, 01:21

Verzeihung, das Wort "es" ist mir versehentlich stehen geblieben.

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chrimbie 
Fragesteller
 23.10.2012, 08:28

ich möchte gerne schopenhauer verstehen.

den film werde ich mir bei gelegenheit mal ansehen. habe gerade erst den trailer dazu angeschaut. hab' noch nie was von dem film gehört. danke.

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Begründet Schopi eigentlich die Welt der Dinge an sich, wo der Urwille herrscht? Wie kann er darüber was sagen, wenn wir nur in der Welt unserer Vorstellungen leben?

Ob Willensfreiheit (eine Person ist bei ihrer Willensbildung frei, die Entscheidung ist selbstbestimmt) existiert oder nicht, ob also ein Mensch anders hätte handeln können (nicht in Bezug auf äußere Hindernisse als Zwang, sondern in Bezug darauf, ob er anders hätte wollen können), als er gehandelt hat, oder nicht, ist umstritten.

Arthur Schopenhauer verneint die Existenz von Willensfreiheit. Der Mensch könne zwar grundsätzlich (wenn Handlungsfreiheit besteht) tun, was er wolle, aber vermöge nicht, eine andere Handlung auszuführen als die tatsächlich ausgeführte, weil die der anderen Handlung entgegensetzten Motive viel zu viel Gewalt über ihn haben, als daß er anders wollen könnte. Wenn er einen bestimmten anderen Charakter hätte, würde er es wollen können, aber auch nicht umhin kommen, es zu wollen, also es wollen müssen. Unter gegebenen Umständen sei nur eine Handlung möglich.

In der zeitlichen und räumlichen Erscheinungswelt gilt entsprechend dem Grundsatz vom zureichenden Grunde ein striktes, ausnahmsloses Kausalgesetz. Nach Arthur Schopenhauer ist der Satz vom zureichenden Grund (Nichts ist ohne Grund, warum es sei und nicht vielmehr nicht sei) ein Urgesetz des menschlichen Verstandes und der allgemeinste Ausdruck für die Verbindung und gegenseitige Abhängigkeit von Bewußtseinsinhalten aller Art. Er drückt die apriorische (aller Erfahrung vorausgehende; dies greift Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, auf) Verbindung aller Vorstellungen des Subjekts aus. Alle Dinge, die uns auf irgendeine Art erscheinen (Objekte), sind Vorstellungen eines wahrnehmenden und denkenden Ichs (Subjekt).

Das Kausalgesetz gilt also apriori (vor aller Erfahrung). Denn es stellt die Möglichkeit von Erfahrung überhaupt dar. Bei Objekten der Außenwelt geschehe auf eine gegebene Ursache eine Folge mit zwangsläufiger Notwendigkeit. Wenn die Innenwelt betrachtet wird, gilt ebenso ein Kausalverhältnis. Das stärkste Motiv (der stärkste) Beweggrund setzt sich durch. Bei der Motivation liege nur eine besondere Ausformung eines allgemeinen Kausalprinzips vor.

Nach Schopenhauers Auffassung ist der empirische Charakter eines individuellen Menschen angeboren, gleichbleibend und unveränderlich (konstant).

Wie dennoch Verantwortung bestehen kann, erörtert Schopenhauer in seiner Schrift „Ueber die Freiheit des Willens“ im letzten Abschnitt (V. Schluß und höhere Ansicht.) Eine Tatsache des Bewußtseins ist allerdings ein deutliches Gefühl der Verantwortung. Ein Gefühl der Zurechnungsfähigkeit beruht auf einer unerschütterlichen Gewißheit, selbst Täter der eigenen Taten zu sein. Die Verantwortlichkeit, die im Bewußtsein auftritt, trifft im Grunde den Charakter, für den sich Jemand verantwortlich fühlt. „Der Charakter ist die empirisch erkannte, beharrliche und unveränderliche Beschaffenheit eines individuellen Willens.“ Ein „Ich will“ begleitet alle Handlungen. Es ist das Bewußtsein eines zweiten Faktors (neben dem Motiv) der Handlung, der aber für sich allein ganz unfähig ist, die Handlung hervorzubringen, bei Eintritt des Motivs hingegen unfähig, die Handlung zu unterlassen.

Indem der Mensch in Tätigkeit versetzt wird, gibt er seine Beschaffenheit dem Erkenntnisvermögen kund, lernt also die Beschaffenheit seinen eigenen Willen erst aus seinen Handlungen kennen. Diese nähere und immer innigere Bekanntschaft sei eigentlich das, was man Gewissen nennt.

Schopenhauer knüpft (mit einer gewissen Eigensinnigkeit, indem der Menschen bei ihm vorrangig ein wollendes, nicht aber ein denkendes Wesen ist und indem er das Ding an sich der intelligiblen Welt zuordnet und Aussagen über es zur Grundlage macht, während bei Kant das Ding an sich selbst eine Grenze der Erkenntnis darstellt) an Immanuel Kant an, der zwischen einer empirischen Welt und einer intelligiblen Welt unterscheid. Beim empirischem Charakter gibt es keine Willensfreiheit, beim intelligiblen Charakter eine moralische Freiheit, indem Verantwortung sich darauf gründet, daß alles darauf ankommt, was einer ist. Nach Schopenhauer liegt Freiheit nicht in einzelnen Handlungen, sondern im intelligiblen Charakter, dem ganzen Sein und Wesen (lateinisch: existentia et essentia) des Menschen selbst, das als freie Tat, als Werk seiner selbst gedacht werden müsse.

Schopenhauers Metaphysik unterscheidet die Welt als Wille (Ding an sich) und Vorstellung (Erscheinung). Die Welt als Ding an sich ist keine Erscheinungsform, nicht zeitlich-räumlich und auch nicht an Kausalität (als einer bloßen Form der Erscheinung) gebunden und ihren Gesetzen unterworfen. Der intelligible Charakter des Menschen, das heißt sein Wille als Ding an sich, außerhalb der Erscheinungswelt, ist frei.

Durch Erkundung seines Charakters und eine danach ausgerichtete Vermeidung von Situationen kann innerhalb des Denkansatzes Schopenhauers im Grunde nicht Willensfreiheit existieren und er sagt sogar aus, daß zwar Erkenntnis über sich selbst erreichbar sei, dies aber nicht an der notwendigen Bestimmung ändere.

Albrecht  23.10.2012, 15:47

Wie Schopenhauer sich die Sache denkt, läßt sich zwar nachvollziehen, doch halte ich die Zweifel für berechtigt. Wie sich die beiden Welten zueinander verhalten, bliebt ungeklärt. Der intelligible Charakter ist nach Schopenhauer die Grundlage des empirischen Willens. Wenn seine Überlegungen zur Willensfreiheit richtig sind, kann von dorther (dieser Grundlage des intelligiblen Charakters) kein Spielraum für handelnde Menschen begründet werden, der Voraussetzung für echte Verantwortung ist.

Nach Schopenhauer ist die Welt in ihrer Tiefenschicht ein blinder Wille, der als Ding an sich ohne Ziel, Sinn und Grund (ohne Beweggrund) wirkt und jeder Vorstellung zugrundeliegt. Jeder Willensakt sei ein Streben, aber einzelne individuelle Willensakte hätten einen Ursprung, eine Motivation. In seiner Mitleidsethik versteht Schopenhauer die moralisch wertvolle Tat als Verneinung der Grundtriebfeder Egoismus und Widerspiegelung einer Einsicht, die Trennung zwischen Ich und Du als Täuschung zu erkennen. Die Individuen seien alle Erscheinungen des Willens, Objektationen, mit denen eine Idee, ein Entwurf sich vergegenständlicht, in die Erscheinungswelt eintritt. Dies werde beim Mitleid durchschaut, der innere Widerstreit und die wesentliche Nichtigkeit des Willens der getrennten Individuen zum Leben erkannt. Die unmittelbare Teilnahme erkenne und empfinde intuitiv im Leidenden sich selbst, sein eigenes Wesen. Die Identifikation mit dem anderen, dessen Wohl und Wehe könne die Macht des Egoismus brechen. Schopenhauer tritt für die Verneinung des Willens zum Leben als Weg zur Erlösung ein (Zustand freiwilliger Entsagung). Wo der Wille sein Wollen verloren habe, sei auch die Macht der Natur außer Kraft gesetzt. Der Wille und seine Verneinung seien nicht dem Satz vom Grunde unterworfen, sie gehörten einer metaphysischen Wirklichkeit an. Die Verneinung des Willens führe aus dem Naturzusammenhang heraus.

Nach Schopenhauer kann der Mensch durch Erkenntnis doch (wenn auch nur in seltenen Ausnahmefällen) Willensfreiheit erreichen, nämlich durch eine besondere Einsicht, das Durchschauen des Prinzip der Individuation (principium individuationis), des Einzeldaseins alles Lebendigen. Er ändert dabei seinen Charakter nicht, sondern hebt ihn auf. Erkenntnis meint beim Mitleid einen vorbegrifflichen, vorrationalen Zustand, in dem der Mensch anders sieht und anders will.

Angesichts der miteinander kaum verträglichen Spannungen und Widersprüche der Aussagen ist die Überzeugungskraft wackelig. Wenn so etwas möglich ist, muß ja etwas an der Argumentation gegen die Existenz der Willensfreiheit falsch sein.

Arthur Schopenhauers, Die Welt als Wille und Vorstellung I 4 § 53 – 70 enthält Darlegungen, wie sich Schopenhauer die Begründung von Verantwortung denkt.

§ 55: „Daß der Wille als solcher frei sei, folgt schon daraus, daß er, nach unserer Ansicht, das Ding an sich, der Gehalt aller Erscheinung ist. Diese hingegen kennen wir als durchweg dem Satz vom Grunde unterworfen, in seinen vier Gestaltungen: und da wir wissen, daß Nothwendigkeit durchaus identisch ist mit Folge aus gegebenem Grunde, und Beides Wechselbegriffe sind; so ist Alles was zur Erscheinung gehört, d.h. Objekt für das als Individuum erkennende Subjekt ist, einerseits Grund, andererseits Folge, und in dieser letztern Eigenschaft durchweg nothwendig bestimmt, kann daher in keiner Beziehung anders seyn, als es ist. Der ganze Inhalt der Natur, Ihre gesammten Erscheinungen, sind also durchaus nothwendig, und die Nothwendigkeit jedes Theils, jeder Erscheinung, jeder Begebenheit, läßt sich jedesmal nachweisen, indem der Grund zu finden seyn muß, von dem sie als Folge abhängt. Dies leidet keine Ausnahme: es folgt aus der unbeschränkten Gültigkeit des Satzes vom Grunde. Andererseits nun aber ist uns diese nämliche Welt, in allen ihren Erscheinungen, Objektität des Willens, welcher, da er nicht selbst Erscheinung, nicht Vorstellung oder Objekt, sondern Ding an sich ist, auch nicht dem Satz vom Grunde, der Form alles Objekts, unterworfen, also nicht als Folge durch einen Grund bestimmt ist, also keine Nothwendigkeit kennt, d.h. frei ist. Der Begriff der Freiheit ist also eigentlich ein negativer, indem sein Inhalt bloß die Verneinung der Nothwendigkeit, d.h. des dem Satz vom Grund gemäßen Verhältnisses der Folge zu ihrem Grunde ist.“

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Albrecht  23.10.2012, 15:48

„Der Mensch ist, wie jeder andere Theil der Natur, Objektität des Willens: daher gilt alles Gesagte auch von ihm. Wie jedes Ding in der Natur seine Kräfte und Qualitäten hat, die auf bestimmte Einwirkung bestimmt reagiren und seinen Charakter ausmachen; so hat auch er seinen Charakter, aus dem die Motive seine Handlungen hervorrufen, mit Nothwendigkeit. In dieser Handlungsweise selbst offenbart sich sein empirischer Charakter, in diesem aber wieder sein intelligibler Charakter, der Wille an sich, dessen determinirte Erscheinung er ist. Aber der Mensch ist die vollkommenste Erscheinung des Willens, welche, um zu bestehn, wie im zweiten Buche gezeigt, von einem so hohen Grade von Erkenntniß beleuchtet werden mußte, daß in dieser sogar eine völlig adäquate Wiederholung des Wesens der Welt, unter der Form der Vorstellung, welches die Auffassung der Ideen, der reine Spiegel der Welt ist, möglich ward, wie wir sie im dritten Buche kennen gelernt haben. Im Menschen also kann der Wille zum völligen Selbstbewußtseyn, zum deutlichen und erschöpfenden Erkennen seines eigenen Wesens, wie es sich in der ganzen Welt abspiegelt, gelangen. Aus dem wirklichen Vorhandensein dieses Grades von Erkenntniß geht, wie wir im vorigen Buche sahen, die Kunst hervor. Am Ende unserer ganzen Betrachtung wird sich aber auch ergeben, daß durch die selbe Erkenntniß, indem der Wille sie auf sich selbst bezieht, eine Aufhebung und Selbstverneinung desselben, in seiner vollkommensten Erscheinung, möglich ist: so daß die Freiheit, welche sonst, als nur dem Ding an sich zukommend, nie in der Erscheinung sich zeigen kann, in solchem Fall auch in dieser hervortritt und, indem sie das der Erscheinung zum Grunde liegende Wesen aufhebt, während diese selbst in der Zeit noch fortdauert, einen Widerspruch der Erscheinung mit sich selbst hervorbringt und gerade dadurch die Phänomene der Heiligkeit und Selbstverleugnung darstellt.“

§ 70: „Der Schlüssel zur Vereinigung dieser Widersprüche liegt aber darin, daß der Zustand, in welchem der Charakter der Macht der Motive entzogen ist, nicht unmittelbar vom Willen ausgeht, sondern von einer veränderten Erkenntnißweise. So lange nämlich die Erkenntniß keine andere, als die im principio individuationis befangene, dem Satz vom Grunde schlechthin nachgehende ist, ist auch die Gewalt der Motive unwiderstehlich: wann aber das principum individuationis durchschaut, die Ideen, ja das Wesen der Dinge an sich, als der selbe Wille in Allem, unmittelbar erkannt wird, und aus dieser Erkenntniß ein allgemeines Quietiv des Wollens hervorgeht; dann werden die einzelnen Motive unwirksam, weil die ihnen entsprechende Erkenntnißweise, durch eine ganz andere verdunkelt, zurückgetreten ist. Daher kann der Charakter sich zwar nimmermehr theilweise ändern, sondern muß, mit der Konsequenz eines Naturgesetzes, im Einzelnen den Willen ausführen, dessen Erscheinung er im Ganzen ist; aber eben dieses Ganze, der Charakter selbst, kann völlig aufgehoben werden, durch die oben angegebene Veränderung der Erkenntniß.

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Ein freier Wille existiert nicht. Insofern koennte man sagen, der Mensch ist dafuer nicht verantwortlich. Aber auf der physischen Ebene ist er dafuer verantwortlich, weil er z.B. Gesetze verletzt, sonst koennte ein Zusammenleben nicht funktionieren. Aber wenn man das mal von aussen betrachtet, laeuft einfach alles nur ab, und wir sind die Betrachter dessen was im Aussen ablaeuft. Wir koennen nichts aendern. Nicht moeglich. Alles Gute