Reformen des Solon?

2 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Eine Auseinandersetzung mit der Auffassung in der Aussage bedeutet, eine Stellungnahme mit Begründung dazu abzugeben. Die Aussage könnte als ganz oder teilweise richtig oder falsch beurteilt werden.

Die Redewendung »Sand in die Augen streuen« bedeutet: irreführen, täuschen, den wahren Sachverhalt verdecken/verschleiern/vertuschen.

Mit dem Lachen über die Hoffnung ist gemeint, spöttisch oder amüsiert über eine Hoffnung zu lachen, die nur Illusion/falsche Vorstellung/trügerische Einbildung/Täuschung ist. Der Adel habe seine überlegene Machtstellung völlig behauptet und das einfache Volk überhaupt nichts erreicht.

Die Aussage in der Fragebeschreibung ist falsch und ungerecht. Es wird ein unpassender Maßstab verwendet, indem alles, was nicht dem einfachen Volk völlige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gleichstellung bringt und den Adel ganz entmachtet, als täuschend und lächerlich hingestellt wird. Damit wird stillschweigend unterstellt, es gebe nur die Alternative, dem Volk alles oder gar nicht zu geben. Ein Vorgehen zwischen diesen Extremen wird nicht berücksichtigt, sondern als Möglichkeit unterschlagen.

Solon hat dem einfachen Volk keine völlig Gleichstellung gegeben. Aus dieser richtigen Tatsache wird aber in der Aussage implizit eine falsche Unterstellung gegen Solon abgeleitet, als hätten Solons Maßnahmen und Gesetze nichts anderes als eine verlogene Täuschung zum Zweck gehabt.

Die Aussage ist ungerecht, weil Solon nach der Lage (er wurde in einer Krisensituation im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. in Athen zum Vermittler/Schlichter [διαλλακτής; Wieder-Ins-Lot-Bringer] und Gesetzgeber [νομοθέτης] bestimmt, in der Rolle eines Schiedsrichters [αἰσυμνητήρ und αἰσυμνήτης]) und seinem Selbstverständnis den Weg eines Kompromisses beschritt. Solon hat eine Politisierung gefördert und die Entwicklung eines Bürgerstaates vorangetrieben. Solon hat sich als jemand verstanden, der eine ausgewogene Ordnung schuf, allen die ihnen zustehenden Rechte gab, aber nicht mehr, ein Mittler zwischen Vornehmen und Reichen (dem Adel) und dem einfachen Volk/den Armen, beide Seiten schützend und an Überheblichkeit und Zügellosigkeit hindernd. Seine Leitvorstellung war die Eunomia (εὐνομία; Wohlordnung, gute Ordnung). Solon hat weder beabsichtigt noch behauptet, das einfache Volk mit dem Adel gleichzustellen. Solon hat seine Gesetze öffentlich zugänglich veröffentlicht (Aristoteles, Athenaion politeia 7, 1; Plutarch, Solon 25, 1 – 2; Pausanias 1, 18, 3). Er ist also nicht undurchsichtig vorgegangen.

Peisistratos war selbst ein Adliger und hat in Adelskämpfen als Anführer einer Gruppe in Athen eine Tyrannis errichtet. Solons Gesetze ließ er formal bestehen. Peisistratos hat einige Maßnahmen herrschaftlicher Fürsorge für das einfache Volk unternommen, aber dem Volk keineswegs Freiheit und Gleichheit gegeben.

Das einfache Volk hat durch Solon etwas erreicht.

Es gab Grenzen dessen, was durch Solon erreicht worden ist:

  • Armut der Kleinbauern, die bestehen blieb (eine Landverteilung, die daran mit weitgehenden Eingriffen stark etwas geändert hätte, schied aber auf Solons Weg eines Kompromisses als Maßnahme aus)
  • tatsächliches Fortbestehen eines (wenn auch von Solon ein Stück weit eingeschränkten) Übergewichts der Adligen
  • keine Schaffung einer Demokratie (die es damals weder als Sache noch als Begriff gab), sondern Abhängigkeit politischer Rechte vom Besitz/Einkommen, Abstufung politischer Rechte (darunter Zugang zu Ämtern und Wahlrecht für verschiedene Einrichtungen) und Pflichten nach Vermögensklassen, also nach Menge des Einkommens/Besitzes: In die höchsten Ämter (z. B. die Archonten) waren nur die Reichsten wählbar, die Ärmsten (die sogenannten Theten) waren in keine Ämter wählbar. Eine solche Verfassung ist in der Antike später als Timokratie (τιμοκρατία [timokratia]) bezeichnet worden. In ihr gab es keine Gleichheit der politischen Rechte.
  • keine völlige Beseitigung von Machtkämpfen einzelner Adliger und keine Verhinderung der Entstehung einer Tyrannis in der Folgezeit (Peisistratos, dann seine Söhne Hippias und Hipparchos; allerdings war eine völlige Ausschaltung einer solchen zukünftigen Entwicklung auch kaum erreichbar)

Bei Solons Maßnahmen und Gesetzen überwiegen aber die Vorteile, im Vergleich zu dem vorherigen Verhältnissen eine Verbesserung gebracht zu haben bzw. damals gut passende Lösungen gewählt zu haben (mit Rückgriff auf meine Antwort bei https://www.gutefrage.net/frage/was-sind-die-vor--und-nachteile-der-reformen-solons ).

  • Stabilisierung und Beruhigung der Lage durch einen für beide Seiten akzeptablen Ausgleich (einerseits Erleichterungen für arme Bauern, andererseits ziemlich weitgehende Beibehaltung der Besitzverhältnisse, indem es keine völlige Umverteilung gab, sondern die adligen Großgrundbesitzer ihr eigenes Land behielten)
  • allgemeine Schuldentilgung, als „Lastenabschüttelung“ (Seisachtheia [σεισάχθεια]) bezeichnet (von Solon als Befreiung von Abhängigen aus schmachvoller Knechtschaft verstanden)
  • Abschaffung der Versklavung aufgrund von Schuldknechtschaft (Verbot dieser Form des Zugriffsrechts auf Person des zahlungsunfähigen Schuldners)
  • Freikauf von Athenern, die in andere Länder als Sklaven verkauft worden waren
  • straflose Rückkehrmöglichkeit (durch eine Amnestie) für flüchtige Schuldner
  • Teilnahmerecht an der Volksversammlung (ἐκκλησία [ekklesia]) für alle erwachsenen männlichen athenischen Bürger
  • Teilnahmerecht an der Heliaia (ἠλιαία) – ein Volksgericht, offenbar ein Berufungsgericht, wenn jemand gegen eine Rechtsprechung Einspruch einlegte - für alle erwachsenen männlichen athenischen Bürger
  • Einrichtung der Popularklage: Alle Bürger, auch nicht Betroffene, konnten gegen die Urteile der Thesmotheten (oberste Gerichtsherren) und der Beamten klagen
  • Rechtssicherheit durch vollständige schriftliche Aufzeichnung seiner Gesetzgebung (die teils alte übliche Regeln, teils Neuordnungen enthielt) und öffentlicher Aufstellung mit Hilfe von drehbar aufgehängten langen Holzbalken und bronzenen Pfeilern (Stelen) auf dem Marktplatz (Agora), wo alle Zutritt hatten und sie einsehen konnten
  • Förderung der Wirtschaft

Aussagen Solons über sein politisches Selbstverständnis, die zeigen, dem einfachen Volk keine völlige Gleichstellung in Aussicht gestellt und daher keine Täuschung betrieben tu haben:

Aristoteles, Athenaion politeia 12, 2 - 3

Aristoteles, Staat der Athener. Übersetzt und eingeleitet von Mortimer Chambers. Berlin : Akademieverlag, 1990 (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung ; Band 10, Teil 1), S. 20 - 22:  

„Dann wieder spricht er über das Volk, wie es zu behandeln sei:

„So dürfte das Volk am besten seinen Führern folgen:

Man gebe ihm nicht zuviel Freiheit, noch unterdrücke man es gewaltsam:

denn Überfluß bewirkt Hochmut, wenn großer Reichtum begleitet,

solche Menschen, die keine vernünftigen Einstellung haben.“

„Irgendwo an anderer Stelle wieder redet er über diejenigen, die das Land verteilen wollen:

„Die aber zum Raub kamen, hatten übertriebene Hoffnung:

Jeder von ihnen glaubte, er werde großen Reichtum erlangen,

und ich würde, mit glatten Worten schmeichelnd, einen grausamen Sinn enthüllen.

Töricht waren damals ihre Gedanken, und jetzt, wütend auf mich,

sehen mich alle mit schrägen Augen an, als wäre ich ihr Feind.

Unrecht ist dies; denn was ich versprach, vollbrachte ich mit Hilfe der Götter.

Anderes versuchte ich nicht vergebens zu erreichen,

auch freut es mich nicht, etwas durch die Gewalt des Tyrannen zu leisten,

auch nicht, daß die Edlen den gleichen Anteil an der ertragreichen Erde des Vaterlandes wie die Schlechten besitzen sollen.“

[…]

Ein anderer, der wie ich den Stachel erhalten hätte,

ein schlechtgesinnter und geldgieriger Mensch,

hätte das Volk nicht gezügelt; denn, hätte ich gewollt,

was den Volksfeinden damals gefiel,

oder aber, was die Massen ihnen zugedacht hatten,

dann wäre diese Stadt vieler Männer beraubt worden.

Deshalb drehte ich, der ich mich nach allen Seiten verteidigte,

mich hin und her wie ein Wolf, den eine Hundeschar in die Enge treibt.“

Und wieder (anderswo) tadelt er die spätere Unzufriedenheit beider Parteien:

„Wenn ich das Volk offen tadeln muß.  

Was sie heute besitzen, hätten sie mit ihren Augen  

Nicht einmal im Traum gesehen.  

Und jene, die größer und an Macht überlegen sind,  

sollten mich loben und als ihren Freund ansehen.“

Denn hätte ein anderer, so sagt er, dieses hohe Amt erlangt,  

„hätte er das Volk nicht gezügelt und nicht geruht,  

bis er es aufgewiegelt und den Rahm von der Milch abgeschöpft hätte.

Ich aber stand wie ein Grenzstein fest,  

mitten im Kampf zwischen beiden Seiten.““

Plutarch, Solon 18, 4 - 5

Plutarch, Große Griechen und Römer. Band 1. Eingeleitet und übersetzt von Konrat Ziegler. Übersetzung der Biographie des Themistokles von Walter

Wuhrmann. Zürich ; Stuttgart : Artemis-Verlag, 1954 (Die Bibliothek der

Alten Welt : Griechische Reihe), S. 231 - 232:  

„«Ich gewährte dem Volk soviel Gewalt, wie ihm zukommt.  

Nahm seiner Würde nichts weg, fügte auch keine hinzu.  

Wiederum ließ ich nicht zu, daß die reichen und mächtigen Herren  

mehr sich nähmen als das, was ihnen rechtens gebührt.  

Also bewehrte mit starkem Schild ich beide Parteien.  

Daß nicht wider das Recht eine die andere bedrückt.»  

Da er es jedoch für nötig hielt, die Schwäche der kleinen Leute noch mehr

Beistand zu leisten, so gab er jedem das Recht, für jeden, dem Unrecht

geschehen war, das Gericht anzurufen. Wenn ein anderer geschlagen,

mißhandelt oder oder geschädigt worden war, so stand es jedem, der das

konnte und wollte, frei, den Beleidiger anzuklagen und zu belangen,

womit der Gesetzgeber sehr mit Recht die Bürger gewöhnen wollte, sich

gleichsam als Glieder eines Körpers zu fühlen und miteinander zu

empfinden.“