Prinzip der Verantwortung?

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Bei der Aufgabe ist es nötig, Gedanken anzugeben, die wichtige Ansätze bei dem von Hans Jonas vertretenen Prinzip Verantwortung sind, und Argumente vorzubringen, die dafür oder dagegen (Pro-Argumente und Kontra-Argumente) sprechen, seinen Standpunkt als richtig, gut begründet und sinnvoll zu beurteilen.

Ich versuche einige Überlegungen.

  • Umweltethik mit Versuch einer umfassender Bewahrung

Es gibt verschiedene Typen von Umweltethiken, bei denen der Kreis von Dingen zunimmt, denn ein Eigenwert zugesprochen wird:

a) anthropozentrische Ethik (nur der Mensch steht im Mittelpunkt)

b) pathozentrische Ethik (alle Lebewesen, die empfindungsfähig sind, leiden können, werden berücksichtigt)

c) biozentrische Ethik (alles Lebendige wird berücksichtigt)

d) holistische bzw. holizentrische Ethik (die ganze Natur wird berücksichtigt)

Hans Jonas geht es nicht nur um das Überleben der Menschheit (anthropozentrischer Gesichtspunkt), sondern auch um die Bewahrung der der belebten Natur (biozentrischer Gesichtspunkt) und um die Erhaltung des Planeten Erde, was zu einem holistischen Gesichtspunkt passend ist.

Pro-Argument:

umfassende Berücksichtung der Natur vermeidet Einseitigkeit und Beschränkheit durch eine Perspektive auf das Ganze der Welt

Kontra-Argument:

Abhängigkeit des Ansatzes davon, ganz allgemein Sein für wertvoller als Nicht-Sein zu beurteilen

  • Ableitung eines Sollens aus einem Sein mit einer Auffassung der Zweckhaftigkeit in der Natur

Für das Gebot der Existenz/des Erhaltens der Menschheit und der Biosphäre versucht Hans Jonas eine Begründung zu geben. Der Gedankengang in seinen großen Schritten ist:

a) Versuch des Aufweisens einer objektiven Zweckhaftigkeit des Seins/der Natur in sich, unabhängig von menschlicher Deutung

b) Versuch, die Zweckhaftigkeit als ein Gut an sich zu zeigen

c) Ableitung einer kategorischen Pflicht zur Erhaltung dieses Gutes aus diesem Gut

Hans Jonas vertritt als Grundannahme die Auffassung, es gebe in der Natur die Erfüllung von Zweckhaftigkeit, eine Zielausrichtung auf die Selbsterhaltung und das Nutzen von Möglichkeiten zur Weiter- und Höherentwicklung, eine dem Ganzen innewohnende Selbstbejahung. Bei dem Zweck, wozu etwas da ist oder geschieht, sei der Sachverhalt der Zweckerfüllung unabhängig von subjektiver Setzung/Beurteilung/Überzeugung. Werte werden von Zwecken abgeleitet.

Der Wert bezeichnet die Tauglichkeit für das Erreichen von Zwecken. Etwas an sich Gutes hat einen ihm innewohnende Anspruch auf seine Wirklichkeit

Der Wert des Guten darin gründet letztlich darin, den Zweck als der Zwecklosigkeit überlegen zu verstehen, dem Sein Vorrang vor dem Nichts zu geben (Sein ist besser als Nichtsein).

Pro-Argument:

Versuch einer objektiven Begründung für die Ethik mit einer Theorie des Guten, wobei das als wertvoll eingeschätzte Sein nicht einfach bloß ein faktisches Sein ist und damit ein Fehlschluß vermieden wird; eine Ethik, die sich in ihrer Begründung nicht auf irgendeine Weise auf Seiendes bezieht, hat keine tragfähige Grundlage; den Zweck als der Zwecklosigkeit überlegen zu verstehen und dem Sein Vorrang vor dem Nichts zu geben (Sein ist besser als Nichtsein) ist eine von sich selbst her einleuchtende unmittelbare Anschauung

Kontra-Argument:

Gefahr eines Sein-Sollens-Fehlschlusses und des Hineinprojizierens von Zwecken in die Natur; Vorrang des Seins beruft sich auf Intuition und ist daher nicht nachweisbar

  • Versuch einer Ergänzung des kategorischen Imperativs von Immanuel Kant

Hans Jonas stellt den neuen Imperativ des Prinzips Verantwortung vor dem Hintergrund neuartiger Zerstörungsmöglichkeiten aufgrund der Entwicklung der Technik auf. Der neue Imperativ ist nicht als Ersatz für den von Immanuel Kant dargelegten kategorischen Imperativ (wie er in einer auf den Menschen als Zweck an sich selbst bezogenen Fassung zum Ausdruck kommt) gedacht, sondern als eine Ergänzung. Dabei geht es vor allem um das Vermeiden eines Risikos einer umfassenden Vernichtung.

Hans Jonas versucht Pflichten gegenüber Angehörigen zukünftiger Generationen und gegenüber der nicht-menschlichen Natur zu begründen. Aufgrund neuerer Erfahrungen setzt er die Existenz der Menschheit nicht als gegeben voraus. Seiner Meinung nach kann Kants Ethik eine Pflicht zur Erhaltung der Menschheit nicht begründen.

Aufgrund einer inzwischen vorhandenen Möglichkeit zu Vernichtung einschließlich einer Selbstauslöschung der Menschheit und einer Zerstörung des Planeten Erde stellt Hans Jonas ein erstes Gebot der Ethik auf, das als Bezug auf die Zukunft und Überlebenschancen gedacht ist. Ein dauerhaftes Überleben der Menschheit ist nicht gesichert und keine Selbstverständlichkeit. Daher gehört zur Verantwortung, an ihre Erhaltung zu denken und dies bei Entscheidungen zu berücksichtigen.

Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. 1. Auflage. Frankfurt am Main : Insel-Verlag, 1979, S. 36:  

„Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“

Es soll vermieden werden, etwas zu tun, was das Überleben der Menschheit gefährdet.

Pro-Argument: Berücksichtigung neuartiger Zerstörungsmöglichkeiten aufgrund der Entwicklung der Technik, wodurch die Bewahrung der Natur und das Offenhalten einer zukünftigen Überlebens der Menschheit dringend werden

Kontra-Argument: Hans Jonas fordert eine Berücksichtigung der Wirkungen einer Handlung in Bezug auf die Lebensmöglichkeit. Die Wirkung macht insofern den ethischen Gehalt einer Handlung aus. Seine Verantwortungsethik ist daher ein Konsequentialismus (ausschlaggebend für die Bewertung einer Handlung sind allein ihre – angenommenen – Folgen). Da nützliche Folgen zum Kriterium werden, rückt seine Ethik in die Nähe des Utilitarismus. Sie teilt damit dessen Schwächen (so ist das Krierium des Nutzens nicht selbst utilitaristisch als aufweisbar und bei einer Gesamtbilanz des Nutzens fehlt für die Verteilung von Nutzen und Schaden auf Individuen ein Prinzip, das Gerechtigkeit herstellt); der „neue Imperativ“ ist ein weniger allgemeines Prinzip, das sich nicht auf alle Arten von Handlungssituationen bezieht, sondern auf bestimmte Arten von Handlungssituationen beschränkt ist. Denn nicht alle Handlungen beeinflussen die Überlebensmöglichkeiten der Menschheit und die Erhaltung der Biosphäre. Es gibt moralisch relevante Entscheidungen, die nicht zum Anwendungsbereich des „neuen Imperativs“ gehören. Dieser ist auf ganz elementare Dinge ausgerichtet.

  • Appell an Verantwortung der Menschen als Treuhänder für die Natur

Aufgrund ihrer Innerlichkeit und Freiheit sind die Menschen zu Verantwortung fähig. Sie stehen damit nach Auffassung von Hans Jonas innerhalb der Natur an der Spitze. Ohne Träger von Verantwortung kann es im Kosmos keine Verantwortung geben. Die Menschen sollen eine Bejahung des Seins in ihr eigenes Wollen als Treuhänder gegenüber dem, worüber sie Macht haben, übernehmen. Die Menschheit ist zur Existenz und zu einer bestimmten Qualität des Lebens (Wohlergehen und Glück gehören dazu) verpflichtet. Träger von Verantwortung sind verpflichtet, das Dasein künftiger Verantwortungsträger zu ermöglichen

Pro-Argument: Appell an Gefühl der Verantwortlichkeit verleiht dem ethischen Gebot subjektive Wirksamkeit.

Kontra-Argument: Unsicherheit eines Erfolgs von Appellen an Verantwortlichkeitsgefühl

  • Vorzug der schlechteren Prognose (Heuristik der Furcht)

Eine Heuristik der Furcht (als Beweggrund für Entscheidungen) dient dazu, die Pflicht zum Handeln zu erkennen und die (gesollte) Existenz künftiger Menschen zu ermöglichen. Hans Jonas vertritt das Prinzip, den erwartbaren maximalen Schaden möglichst kleinzuhalten. Nach seiner Heuristik der Furcht ist grundsätzlich die schlechtere Prognose (Vorhersage, die schlimmere zukünftige Ereignisse, Zustände und Entwicklungen annimmt) der besseren Prognose vorzuziehen, um der Versuchung des Herunterspielens, der Abwiegelung und des Beschwichtigen zu entgehen und um sich die mögliche Schadenshöhe deutlich zu machen.

Pro-Argument: Wichtigkeit, schlimme Katatstrophen zu vermeiden und nicht alles, was technisch machbar ist, auch tatsächlich zu machen

Kontra-Argument: Ein Vorzug der schlechteren Prognose bei der Technologiefolgenabschätzung, auch wenn die Wahrscheinlichkeit der Auslöung schlimmer Folgen sehr gering ist, kann zu schlechteren Ergebnissen führen. Ein Vorzug der schlechteren Prognose kann unter Umständen Entwicklungen behindern, die günstige Chancen für die Umwelt enthalten.