2 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo Bernhard554,

vielen Dank für diese wichtige Frage, die uns immer wieder erreicht.

Die Eltern gibt es natürlich nicht - und auch nicht die klassische Missbrauchs-Situation. Wir verstehen aber natürlich worauf die Frage abzielt - müssen nur ein bißchen weiter ausholen, um darauf zu antworten :). 

Zunächst ist wichtig zu wissen, dass die allermeisten Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs im familiären und sozialen Umfeld von Kindern stattfinden. Die sogenannten Fremdtäter*innen sind ausgesprochen selten. Das heißt: Nahezu immer ist der Täter oder die Täterin sowohl den Eltern als auch den Kindern bekannt. Häufig sind es sogar gerade die Menschen, die von allen aus der Familie gemocht werden,  ein insgesamt hohes Ansehen und meistens auch das Vertrauen der Eltern genießen. Sehr oft sind auch die Eltern selbst oder ein Elternteil die Tatperson(en) - in diesem Fall beantwortet sich Ihre Frage von selbst... 

Zudem gehen Täter und Täterin in der Regel ausgesprochen strategisch vor: Sie “erschleichen” sich zunächst das Vertrauen von Kindern und Eltern, isolieren das Kind zunehmend von anderen, geben dem Kind ganz besondere Zuwendung (was dann meistens auch die Eltern erstmal gut finden und zu schätzen wissen) und übertreten nur Schritt für Schritt die Grenzen des Kindes. Wenn die Anbahnung “abgeschlossen” ist und der sexuelle Missbrauch im Vordergrund steht, erhöhen sie deutlich den Druck auf das Kind. Es darf nichts sagen, sonst passiert irgendwas Schlimmes. Häufig wird den Kindern gesagt, dass ihnen sowieso niemand glauben wird - und leider stimmt das auch allzu oft….gerade weil den Täter oder die Täterin ja eigentlich alle so gerne mögen und nett finden, kann und will es sich häufig niemand wirklich vorstellen. Wenn Kinder das wissen und merken, erzählen sie erst recht nicht, was ihnen passiert. Hinzu kommen Schuld-. und Schamgefühle. Die meisten betroffenen Kinder denken, dass sie doch auch irgendwie verantwortlich dafür sind und etwas falsch gemacht haben. Das ist, was der Täter/die Täterin ihnen sagt. Natürlich stimmt das nicht. 

Kurzum: Es ist wirklich sehr schwer, sexuellen Missbrauch zu erkennen. 

Eltern, die ihre Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen wollen, müssen das alles wissen. Sonst machen sie den Kindern Angst vor Fremden oder schränken sie durch übertriebene Vorsicht (an falscher Stelle) unnötig ein. Angst ist ohnehin kein guter Ratgeber. Ängstliche Kinder sind nicht besser geschützt - im Gegenteil. Wichtig ist vielmehr, eine präventive Erziehungshaltung. Das heißt vor allem: Kinder stärken! Alle Menschen, die mit Kindern zu tun haben, sollten ihnen mit Respekt begegnet, ihre Gefühle und Grenzen achtet und es ermutigen, es selbst zu sein. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass man das Kind nicht überredet, die Tante zu küssen. Oder dass man es unterbindet, wenn der Onkel dem Kind jovial auf den Po klatscht. Kinder sollten wissen, dass niemand sie anfassen darf, wenn sie das nicht möchten. Das ist die Aufgabe von uns Eltern. Und Kinder sollten eine Sprache für ihren Körper haben.

Das Schlimmste, was man machen kann, ist vor dem bösen Mann zu warnen und zu sagen: „Geh nicht mit dem Fremden mit.“ Das macht so eine diffuse Angst – und der Täter ist der Regel keine fremde Person. 

Um nun abschließend auf Ihre Frage zurückzukommen:

Es geht aus unserer Sicht weniger ums Aufpassen, als vielmehr darum, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und aufmerksam zu sein – sowohl direkt mit dem Kind als auch zum Beispiel mit den Institutionen, die ihr Kind besucht. Seien Sie gut im Kontakt mit Ihrem Kind, fragen Sie immer mal wieder, wie es ihrem Kind geht. Machen Sie Ihrem Kind das ehrliche Angebot, mit allen Sorgen zu Ihnen kommen zu können - und schimpfen Sie dann nicht mit Ihrem Kind, wenn es das tatsächlich tut...reagieren Sie verständnis- statt vorwurfsvoll, suchen Sie nach Lösungen, glauben Sie Ihrem Kind, halten Sie alles für möglich, bleiben Sie ruhig und suchen Sie sich Unterstützung.  Dann haben Sie schon richtig viel richtig gemacht!!

Viele Grüße und alles Gute vom N.I.N.A.-Team!

Bernhard554 
Fragesteller
 19.08.2021, 17:40

Zum Glück ist unser Sohn mittlerweile 31 Jahre alt, aber kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen

0