Wie ist die These von Michael Pauen zu Freiheit und personalen Präferenzen zu verstehen?

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Der Philosoph Michael Pauen hat seinen Standpunkt in meheren Veröffentlichungen dargelegt, insbesondere:

Michael Pauen, Illusion Freiheit? : mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung. Frankfurt am Main : Fischer, 2004. ISBN 3-10-061910-2

Er vertritt zum Thema Willensfreieit eine kompatibilistische Theorie. Kompatibilismus ist die Auffassung, die Determiniertheit/Determination und Existenz von Freiheit (sowie Verantwortung, die Freiheit zur Voraussetzung hat, um sinnvoll behauptet werden zu können) für miteinander vereinbar hält.

Dabei entwickelt er eine Minimalkonzeption von Freiheit, das heißt Mindestbedingungen, die nur ziemlich kleine erforderliche Voraussetzungen als vorhanden annehmen, damit Freiheit vorliegt.

Freiheit ist nicht nur von äußerem Zwang bedroht, sondern auch von innnen. Sie kann durch eigene Wünsche und Bedürfnisse in Frage gestellt werden, wenn diese zwanghaft oder gar krankhaft sind (z. B. Suchtverhalten eines Alkoholikers). Überzeugungen, Bedürfnisse und Wünsche, die eine Wahl bestimmnen, können Ergebnis der Anlagen (Vererbung, Erfahrung, Erziehung und andere soziale Einflüsse) sein.

Pauen beginnt mit Überlegungen zum Freiheitsbegriff. Menschen haben ein gewisses (meistens eher verschwommenes und möglicherweise nicht widerspruchsfreies) Vorverständnis, was Freiheit/eine freie Handlung ist. Aufgabe der Philosophie ist, daraus eine zusammenhängende und schlüssige/widerspruchsfreie/in sich stimmige Aufassung zu entwicklen, die gegen Einwände verteidigt werden kann und klare Kriterien/Maßstäbe für die Beurteilung liefert, ob Handlungen frei sind/waren oder nicht.

Freiheit grenzt sich ab von:

a) Zwang

b) Zufall

Freie Handlungen werden von erzwungenen Geschehnissen unterschieden. Eine Handlung, die unter Zwang zustande kommt, kann nicht als frei gelten.

Freie Handlungen sind aber auch nicht bloß zufällige Geschehnisse. Denn freie Handlungen werden Personen zugeschreiben. Wenn Geschehnisse überhaupt nicht von Personen abhängen, sondern nur von einem Zufall, können sie keine freien Handlungen sein. Bei freien Handlungen liegt es auch bei den Handelnden, wie die Handlungen sind. Dies ist bei bloßem Zufall nicht der Fall.

Michael Pauen versteht Freiheit als Selbstbestimmung. Selbstbestimmung beruht auf:

1) Autonomie (Selbstgesetzgebung): Autonomie wird als innengeleitetes Handeln gedeutet. Sie besteht gegenüber äußeren Einflüssen.

2) Urheberschaft: Eine freie Handlung ist von einem Urheber abhängig. Es gibt jemand, auf den sie zurückgeführt werden kann und dem sie zugeschrieben werden kann.

Dagegen gleicht ein unbedingtes, voraussetzungsloses Handeln, unabhängig von allen Überzeugungen, Bedürfnisse und Wünschen, grundloser Beliebigkeit. Wenn ein Ereignis nicht bestimmt ist, kann es auch nicht durch die Person bestimmt sein.

Pauen hält ein Verständnis von Freiheit als Selbstbestimmung für wesentlich sinnvoller als ein Verständnis von Freiheit als Bestehen alternativer Handlungsmöglichkeiten. Seiner Meinung nach ist es weder erforderlich noch sinnvoll, aus einer Forderung nach alternativer Handlungsmöglichkeiten abzuleiten, unter gleichen Bedingungen und damit unabhängig von den Überzeugungen, Bedürfnisse und Wünschen der Handelnden müsse sowohl die eine Handlung als auch eine andere Handlung tatsächlich möglich sein. Denn dann hinge es offenbar nicht von den Handelnden ab, welche Möglichkeit verwirklicht wird, sondern dies wäre eine Sache des Zufalls. Doch dann ließe sich nicht sagen, in diesem Fall hätte eine Person anders handeln können, sondern nur, zufällig hätte etwas anderes geschehen können.

Solange Freiheit als Selbstbestimmung verstanden wird und gegen Zwang und Zufall abgegrenzt wird, komme es nicht darauf an, ob eine Handlung determiniert (bestimmt) ist. Entscheidend sei vielmehr, wodurch sie bestimmt wird: Wenn sie durch den Handelnden selbst bestimmt ist, dann ist sie selbstbestimmt und damit frei, wenn sie dagegen von äußeren Einflüssen oder von Zufällen abhängt, dann ist sie nicht selbstbestimmt und daher auch nicht frei.

Beim dem Selbst, auf das in Selbstbestimmung Bezug genommen wird, bündeln sich Fähigkeiten und Eigenschaften. Sie werden bewußt als eigene Fähigkeiten und Eigenschaften erlebt.

Die Merkmale, die das Selbst ausmachen, werden personale Merkmale genannt. Die personalen Merkmale sind unterteilt in:

1) personale Fähigkeiten

2) personale Präferenzen

Personale Fähigkeiten heißen die Fähigkeiten, die allgemein jede Person notwendig haben muss, um selbstbestimmt entscheiden zu können. Dazu gehören:

  • Mindestmaß an Rationalität
  • Fähigkeit, Folgen des Handen zu erkennen
  • Fähigkeit, unterschiedliche Wünsche, Überzeugungen und Bedürfnisse und die ihnen entsprechenden Handlungsmöglichkeiten (zwischen denen es Konflikte geben kann) abzuwägen und zu bewerten
  • Mindestmaß an Willensstärke: Nur wer in der Lage ist, als richtig erkannte Handlungsmöglichkeiten auch tatsächlich in getroffene Entscheidungen und Handlungen umzusetzen, kann sich selbst bestimmen.
Personale Präferenzen

sind innere Einstellungen einer Person, etwas zu bevorzugen (z. B. immer ehrlich zu sein, eine Speise lieber zu esen als eine andere, in der Freizeit gerne Sport zu treiben, zu musizieren, sich gerne bei lebhaften Massenveranstaltungen aufzuhalten oder in ziemlich stiller Natur) wenn die Präferenzen (Bevorzugungen) möglicher Gegenstand einer wirksamen selbstbestimmten Entscheidung sind. Bei den personalen Präferenzen handelt es sich um besondere Überzeugungen, Wünsche und Dispositionen (Geneigheiten/Veranlagungen), die ein ganz bestimmtes Individuum kennzeichnen.

Den

Willen

einer Person versteht Michael Pauen als ihren handlungswirksamen Wunsch.

Personale Präferenzen hält Pauen für einen möglichen Gegenstand einer wirksamen selbstbestimmten Entscheidung sind, weil es möglich sei, zu ihnen auf Distanz (Abstand) zu gehen, sie aufzugeben, auf sie zu verzichten, in theoretischen Überlegungen aufgrund von Gründen und vor dem Hintergrund des Ganzen des Selbst und seinen Erlebnissen und Gefühlen andere Präferenzen entwickeln.

Woher die Präferenzen stammen und wie sie zustande gekommen sind, sei für die Frage, ob eine Person frei handelt, nicht von Belang. Für die Freiheitsfrage sei entscheidend, ob eine Person die Präferenzen, die sich aufgrund ihrer Lebensgeschichte entwickelt haben, bewusst als eigene anerkennt und als Grundlage eigenen Handelns annimmt.

Frei handelt nach der Minimalkonzeption von Pauen eine Person, die in einer bestimmten Situation eine Option (Handlungsmöglichkeit) x statt einer Option (Handlungsmöglichkeit) y wählt, genau dann, wenn sich die Entscheidung für x und gegen y auf die personalen Präferenzen der Person zurückführen lässt.

Die Entscheidung, eine Ware zu stehlen oder zu bezahlen, kann z. B. für das Bezahlen getroffen worden sein und dahinter steht die Überzeugung, Diesbstahl sei verwerflich (diese Überzeugung ist eine personale Präferenz). Die Handlung hat sich nach der personalen Präferenz der Person ausgerichtet und ist somit frei. Die Wahl eines Studienfaches (z. B. Medizin oder Germanistik) kann aufgrund von personaler Präferenzen getroffen worden sein und die Person ist frei, indem sie selbstbestimmt entscheidet, auf welche Weise sie leben will.

Namida57  09.04.2019, 04:30

Hallo :) Ich weiß deine ANtwirt ist schon alt aber ich habe mal eine Frage: Würdest du dann sagen Pauen ist ein agnostischer Kopatibilist, welcher sagt, dass Willensfreiheit in einer determinierten und in einer indeterminierten Welt existieren kann? Oder setzt er Indeterminismus mit "Alles geschieht zufällig" gleich? Weißt du welche Auffassung des Determinismus er genau hat? Sieht er einen Determinismus im Sinne einer Möglichen Kausalität durch (Handlungs-)Gründe bereits gegeben? LG Celine

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Albrecht  09.04.2019, 07:36
@Namida57

Bei allen Erörterungen über Willlensfreiheit kommt es auch darauf an, was die Auffassungen genau unter »determiniert« verstehen. Oft geht es um strikte Determiniertheit, also eine strenge und ausnahmslose Notwendigkeit, bei der alles festgelegt ist, mit einer Zwangsläufigkeit des Ablaufs. Bei der Annahme einer strikten Determiniertheit ist es schwierig, Willensfreiheit noch für möglich zu halten.

Michael Pauen gibt in seinem Buch nicht ausdrücklich ein ganz genaues Verständnis an, was »Determinismus«, »deterministisch«, »Determiniertheit« und »deternminiert« bedeuten.

Weil Michael Pauen nicht ausdrücklich erklärt, (strikten) Determinismus für wahr zu halten, kann, kann er einem agnostischen Kompatibilismus zugeordnet werden.

Allerdings scheint er eher von der Gültigkeit eines Determinismus überzeugt zu sein und auszugehen. In Bezug auf die Wahrheit oder Falschheit eines (strikten) Determinismus ist sein Standpunkt keiner, dem dies in gleichem Ausmaß plausibel oder nicht plausibel ist. Eine Existenz von Willensfreiheit in einer indeterminierten Welt hält er anscheinend für unmöglich. Michael Pauen vertritt den Standpunkt, es komme bei dem Thema auf die Art des Bestimmtseins (Art der Determiniertheit) an und Willlensfreiheit beruhe auf einer bestimmten Art des Bestimmtseins. Entscheiden und Handeln aufgrund von Gründen ist etwas, das er bei Willensfreiheit für wichtig hält.

Gegen die Auffassung eines Inkompatibilismus, der die Existenz von Willensfreiheit annimmt und eine strikte Determiniertheit bestreitet (ein Libertarismus oder Libertarianismus genannter Standpunkt) - es gibt beim Inkompatibilismus, der allgemein Willensfreiheit und (strikte) Determiniertheit für unvereinbar hält, auch eine entgegengesetzte Richtung, die (strikte) Determiniertheit annimmt und Willensfreiheit bestreitet – richtet Michael Pauen den Zufallseinwand. Freiheit kann nicht auf bloßem Zufall beruhen, weil dann der Mensch nichts steuern kann und keine Selbstbestimmung stattfindet.

Gewöhnlich wird Michael Pauen einem agnostischen Kompatibilismus zugerechnet. Weil er aber von einer Determiniertheit auszugehen scheint und gegen den Libertarismus den Zufallseinwand bringt, als gebe es nur bloßen Zufall oder strikte Determiniertheit, ist seine Ausrichtung auch deterministischer Kompatibilismus genannt worden.

Michael Pauen, Freiheit: Eine Minimalkonzeption. In: Der freie und der unfreie Wille : philosophische und theologische Perspektiven. Herausgegeben on Friedrich Hermanni und Peter Koslowski. Paderborn ; München : Fink, 2004, S. 80 - 81:

„Ausdrücklich hinweisen möchte ich auch darauf, dass das Problem des Determinismus nur erörtert wird, um damit näheren Aufschluss über die Kriterien freier Handlungen zu erlangen. Ich werde meinerseits jedoch keine Annahmen darüber machen, ob unsere Welt deterministisch ist oder nicht. Determinismus wird dabei verstanden als die These, dass der Zustand der Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt t den Zustand der Welt zu jedem beliebigen späteren Zeitpunkt vollständig festlegt. Es handelt sich um eine These über eine Beziehung zwischen Sachverhalten; es ist keine These, die sich auf mögliche Erkenntnisse über diese Sachverhalte bezieht. Es wird insbesondere nicht behauptet, dass Erkenntnisse über den Zustand der Welt zum Zeitpunkt t eine Prognose über den Zustand der Welt zu einem späteren Zeitpunkt t' erlauben.“

Geert Keil, Replik : Freiheit, die ich meine. In: Erwägen-Wissen-Ethik (EWE) 20 (2009); Heft 1, S. 91 ( https://www.philosophie.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/anthro/mitarbeiter/keil/pdfs/C44%20Volltext%20frei )

„Kompatibilisten fordern vom Libertarier eine Erklärung für etwas, was sie selbst nicht erklären können. Deterministische Kompatibilisten fügen eine kostenlose und einstweilen uneinlösbare Erklärbarkeitsbehauptung hinzu, agnostische Kompatibilisten wie PAUEN, ROSENTHAL et al. nicht einmal dies.“

„Kompatibilisten argumentieren, dass der Determinismus ja immerhin wahr sein könnte, also brauche man einen damit vereinbaren Freiheitsbegriff. Umgekehrt gilt aber: Der Determinismus könnte falsch sein, und dann gibt es bei jeder Erklärung, der der Sache nach deterministische Standards zugrunde gelegt werden, einen unerklärten Rest. Und das erkennen viele Kompatibilisten nicht: Sie behaupten, einen agnostischen Kompatibilismus zu vertreten, manövrieren sich aber durch ihre Kritik am Libertarismus, insbesondere durch den Zufallseinwand, in die Lage des deterministischen Kompatibilisten.“

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Albrecht  09.04.2019, 07:37
@Namida57

Felix Manuel Nuss, Wie viel Wille ist gewollt? : Beitrag zum philosophischen Verständnis von Selbstbestimmung und Willensfreiheit im Kontext Sozialer Arbeit. Marburg : Tectum Verlag, 2017 (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag / Reihe Sozialwissenschaften ; Band 75), S. 26:

„Der Kern der Freiheit liege nicht in einem Gegensatz zum Bestimmtsein, so der in Berlin lehrende Philosoph Michael Pauen, sondern in einer bestimmten Art des Bestimmtseins. Frei ist demnach, wer sich in seinem Handeln an seinen Präferenzen auszurichten und somit selbst zu bestimmen vermag, auf welche Weise er sein Leben verbringen will […]. Der Schweizer Philosoph Peter Bieri, der genau wie Pauen dem agnostischen Kompatibilismus zugerechnet werden kann, unterstreicht die Position, dass wir zwar den üblichen Kausalitäten unterliegen, aber dennoch frei sein können, mit folgender Aussage […].“

Dietmar Langer, Erziehung zur Willensfreiheit : zur Auflösung der pädagogischen Antinomie: mit Zwang zur Freiheit. Frankfurt am Main ; Berlin ; Bern ; Bruxelles ; New York ; Oxford ; Wien : Lang, 2009, S. 46 – 47:

„Michael Pauen unternimmt z.B. als deterministisch-orientierter Kompatibilist den Versuch, Willensfreiheit als natürliche Fähigkeit zu explizieren, und erklärt sie als Selbstbestimmung, die freies und verantwortliches Handeln ermöglicht sowie Gründe und Entschlüsse in einer naturgesetzlichen Welt unter einen Hut bekommt.“

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Namida57  09.04.2019, 22:30
@Albrecht

Ich bedanke ich mich hier unten mal für beide Kommentare. Vielen lieben Dank! Vor allen Dingen noch mit den Quellenabgaben dazu. Die bringen mich wirklich weiter. Habe dummerweise etwas spät mit der Recherche zu meinem Thema begonnen, sodass dieser Überblick wirklich hilfreich war. Zudem werde ich mich mit Keil auch in dieser ARbeit auseinandersetzen, aber habe es bisher noch nicht so sehr getan, als dass ich die hier genannten Einwände finden konnte. Auch mit der EInordnung Pauens hab ich mir schwer getan - weil er eben imemr davon spricht "wenn determinismus wahr ist, dann stellt er keine Bedrohung dar", was irgendwie so wirkte, als würde er implizit sagen, dass Determinismus dies nicht wäre. Gleichzeitig hatte ich es aber auch so verstanden, dass er zumindest von einem psychologischen Determinismus fest ausgeht. Habe mir dann nur die Frage gestellt, ob für ihn Indeterminismus = "alles geschieht zufällig" bedeutet, weil er ja eben sagt, dass Zufall keine Freiheit ermöglicht.

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