Meinungsbild: Freund verlagert sein Leben ins Internet, wie dazu stehen?
Hallo!
Dass mein Mitbewohner viel am Computer zockt, dass war mir schon beim Zusammenziehen schnell klar geworden. Jedoch ist es über die Jahre immer mehr geworden. Und "seit Corona" macht er auch noch ausschließlich HomeOffice und sitzt dazu auch während der Arbeitszeit zu Hause am Rechner.
Result: Er geht nicht mehr raus, nur noch zum Einkaufen. Er ist den ganzen Tag zu Hause - ich habe inzwischen einfach ne "Inflation" von ihm. Ich bin zwar selbst nicht den ganzen Tag zu Hause, aber dass er quasi immer da ist, ist mir einfach zu viel. Weiter hat er von nix mehr einen Plan. Kennt die Welt nur aus dem Internet. Die Freundschaft hat ihre Grundlage - gemütliche, anregende Gespräche und ab und zu gemeinsame Unternehmungen - verloren. Er ist geistig stehen geblieben. Bringt seit zwei Jahren keinerlei neue Gedanken in ein Gespräch ein. Und da er seine Kindheit zum größten Teil vor dem Computer verbracht hat, gibt es auch keine Reserve, auf die er zurückgreifen kann. Egal, ob Thema Umwelt, Migration, Beziehungen, Kultur etc, eine Vertiefung ist nicht möglich. Ich habe das mit ihm besprochen und ihm drei Monate später die WG aufgekündigt.
Wie sieht das bei Euch aus? Habt ihr - insbesondere während Corona - ähnliche Erfahrungen mit "Internet-/Computer-Ganzes-Tages-Menschen" gemacht? ..kann man da was machen(helfen)?
3 Antworten
Nein. Ich bin auch so ein Pc-Einsiedler. Es gibt keine Hoffnung, keine Lösung. Es ist alles verloren.
Nein. Wenn alles andere wegfällt und nur noch das Internet übrig bleibt, hört man langsam auf zu "leben". Es wird ein Selbstverstärker. Manche nennen es sogar Sucht. Aber wenn das Leben keine Alternativen bietet...
OK, dann erst mal danke für Deine Offenheit.
Hast Du denn das Gefühl dabei abzustumpfen? Oder empfindest Du Dich als „souverän“ und bildest Dir selbst ne Meinung zu Internetbeitragen anstatt das Gefühl zu haben, Du verlierst sowas wie ne eigene Perspektive?
Ich bin langsam nicht mehr wirklich ein Mensch, weil ich nicht mehr Teil menschlichen Lebens bin. Ich sage den Leuten auf Arbeit sogar: "Du siehst mich gar nicht; ich bin eine rosa Logikwolke." aus Scherz. Aber da ist mehr Wahrheit drin, als sie ahnen. Ich muss Gefühle langsam absterben lassen, weil sie mir nichts mehr nützen. Es interessiert niemanden, sie schaden nur noch. Kennst Du den Begriff "uncanny valley"? Ich habe diesen Effekt auf Leute. Selbst mein Chef ist völlig verunsichert, wenn er mit mir redet, weil er die Hälfte nicht versteht oder erst sehr viel später. Ich werde zu einem Meme. Wenn ich im Homeoffice bin und per Fernwartung herumgeister, verstärkt sich das noch. Frage mich im falschen Moment etwas und ich antworte wie Wikipedia.
Ohne jede Leidenschaft. Ohne Leben. Ich bin da.
OK, das klingt (leider) gefühlskarg. Vielleicht auch depressiv. Nachvollziehbar, wenn Dein Alltag nicht den Raum gibt, sich mal so richtig in Gefühle fallen zu lassen. Gefühle zeigen macht vielleicht auch angreifbar (gibt jedoch auch gegenteilige Meinungen dazu). Ich wünsche Dir in jedem Fall, dass Du Dir Raum für Gefühle einrichten kannst.
So richtig passen in mein obiges Stumpfsinnbild passt Du jedoch nicht. „Stumpfsinn“ trifft es eigentlich nicht, ich meinte eher sowas wie „ungebildet“ und „unkritisch“ oder „Unfähigkeit zur Reflexion“. Und wer Wikipedia auswendig kann, ist sicher nicht ungebildet…
Leider ist da jede Menge Gefühl. Furcht, Schmerz, Zorn. Nur keine vernünftige Art, damit umzugehen oder es zu kommunizieren. Es ist schlicht weg irrelevant für Andere. Etwas, wo andere drüber lachen können. Darum verweigere ich mich dem üblichen Zirkus. Sie brauchen mich. Noch.
Ich arbeite an einer Totmannschaltung. Wenn ich nicht mehr bin, vernichtet sich meine Arbeit von allein. Unwiderruflich. Ich lösche alles aus, was ich war. Vielleicht wirft das Echo des Lochs größere Wellen als meine Existenz im Jetzt. Dann kann es mir aber auch egal sein.
Mmhm, ich würde das als "Integrationsprobleme" bezeichnen. Und zwar in beide Richtungen. Du integrierst Dich nicht (samt Deine Gefühle und Haltungen) in Deine Umwelt (=Mitmenschen) und/oder Du integrierst Deine Umwelt nicht in Deine Welt.
(Das ist jetzt nicht vorwurfsvoll noch auffordernd gemeint - das geht eh nicht mal eben so. Sondern eher ein Erklärungsversuch, warum Du ein Distanzgefühl gegenüber Deiner Umwelt hast. Gefühle zeigen erfordert Nähe und Vertrauen. Die Beziehungen müssen dieses Vertrauen hergeben.)
Ich finde es nicht verwunderlich, dass Du solchen Zustand als sinnentleerend empfindest, Gefühle sind das Salz in der Suppe. Und Du scheinst es ja auch gerne anders haben zu wollen.
Du könntest ja mitspielen anstatt ihm deine vorstellung wie man zu leben hat aufzuzwingen, klingt ja wirklich nervig von dir
Und vor allem was geht dich das an was dein Mitbewohner in seiner Freizeit tut, wie mich solche Leute wie du wütend machen, richtig ätzend
Klar, kann er machen was will.
Aber Freundschaft ist für mich schwierig, wenn jemand nur stumpfsinnige Gedanken einbringt. Und 24 h die Bude belagern ist mehr als ne Zwangsehe.
Und: Er und Du können/könnt seinen Lifestyle gerne abfeiern, das ist sein/Dein gutes Recht.
Aber es ist auch mein gutes Recht, dieses Abstumpfen traurig zu finden und mich davon zu distanzieren.
Schonmal daran gedacht das er deine "Geistreichen Gespächsthemen" für Stumpfsinnig hält ? nicht jeder hat bock über irgendwelche Öko, Migrations oder sonst was zu labern, man wird damit ja eh schon tagtäglich medial beschallt, da braucht man nicht noch irgendwelche aufgezwungene konversationen führen. Man muss als Mitbewohner ja nicht befreundet sein und ständig miteinaner abhängen oder teilt ihr euch ein Zimmer ?
OK. Dein Fingerzeig, dass Du mich moralisierend und/oder anmaßend hältst, ist angekommen. Vielleicht hast Du damit zum Teil recht. In dieser Richtung macht meine Frage natürlich weniger Sinn.
Zu den Gesprächen: Mein Ziel ist mit ihm nicht "gesellschaftlich-etabliert--fühlen"-Vorzeige-Gespräche führen, um maximale Außenwirkung (a la "Oh, wir haben ja gestern ein so toll intellektuelles Gespräch geführt!!") zu erzielen. Es geht mir mehr darum, dass jemand "im Leben steht".
Beispiel: Er schaut sich ein YouTube-Video an, in dem Motor-Cross-Fahrer um irgendeinen See irgendwo in Deutschland herum fahren. Das Video ist aus Sicht der Helmkamera eines der Motorradfahrer gefilmt. Plötzlich kommen da so ein paar Badegäste und beschimpfen den Motorradfahrer auf übelste, weil er an diesem See Motorrad fährt (und sich die Badegäste offensichtlich gestört fühlen). Es geht sogar so weit, dass einer der Badegäste den Motorradfahrer schlägt. Tatsächlich ist an diesem See wohl Motorradfahren erlaubt. Und da der Motorradfahrer im Recht ist, wird also im Video die Verunglimpfung von Motorradfahrern dargestellt. Mein Mitbewohner zieht daraus: Oh, die armen Motorradfahrer werden ja alle so ungerecht behandelt.
Er zieht überhaupt nicht Erwägung, dass so ein Einzelfall total die Meinungsmache ist. Konsumiert solche Sachen einfach unkritisch, denkt nicht um die Ecke. Und das hat sich irgendwie ausgebreitet in den letzten Jahren. Oder: es fällt mir einfach nur mehr auf, weil wir nicht andere Sachen zusammen machen, über die wir dann reden. Weil er halt lieber vor seinem Rechner sitzen bleibt, als ne Radtour mit mir zu machen.
naja du bist doch nicht seine Mutter, wenn ich an meine WG's damals denke und mir vorstelle ich würde ständig kontrollieren was meine Mitbewohner machen oder umgekehrt muss ich ja lachen, vor allem was interessiert es dich was er für Youtube Videos schaut, mir kommt es so vor als würdest du zwanghaft versuchen ihn zu dingen zu dröngen auf die er schlicht keine lust hat, da kann ich verstehen wenn man sich dann distanziert.
Nein, er hat mir das Video gezeigt. Und das war eine von mehreren solcher Situationen, wo er Globalisierungen vornimmt, ohne einzuschätzen, ob er dazu genügend Erfahrungswerte besitzt. Und er drängt diese Sichtweisen auf.
Und nicht er distanziert sich aus Gesprächen, sondern ich.
Also mir kommt es eher so vor als wärst du da problem und nicht er, vielleicht solltest du dann einfach ausziehen wenn es dir so schwerfällt andere Lebensstile zu aktzeptieren
Vielleicht hast Du ja Angst, dass da was Wahres dran ist, dass man sich geistig nicht gerade weiterentwickelt, wenn man nicht an der realen Welt teilnimmt.
also ich verstehe einfach nicht was dich das überhaupt angeht was irgendjemand anderes macht, du bist nicht seine mutter, seine therapeutin oder sonst was, du weißt auch nicht was er genau macht, vermutlich hat er genug leute mit denen er sich austauscht und selbst wenn nicht kann es dir doch völlig egal sein, oder habt ihr eine Beziehung ?
Moment mal: Du redest allgemein von Akzeptanz eines Mitmenschen. Vollkommene Zustimmung - hatte ich oben schon geschrieben -, er/Du/wir alle dürfen den ganzen Tag im Internet sein.
Ich aber rede von Freundschaft oder zumindest einer WG-Beziehung, die über die bloße Zweckbeziehung hinausgeht. Und ich will darüber sprechen, das SOLCHE Beziehungen kaputt gehen können, wenn jemand sich aus die realen Welt fast komplett rauszieht und statt dessen im Internet seine Identität manifestiert.
Gegenargumente wären für mich eher solche, dass obiges Abstumpfen nicht passieren muss. Dass es vielleicht auch etwas mit der Person zu tun, wie die "Internetwelt" auf sie wirkt.
Aufgekündigt rausgeworfen?
Ich bin nicht der Position ihn "rauszuwerfen". Will einfach nur getrennte Wege gehen. Wie wer wo, ist noch nicht entschieden.
Wie soll ich Deine Antwort verstehen? Möchtest Du meine Frage als "übertrieben dramatisierend" ins Lächerliche stellen? Es ist mir nicht möglich, Deine Emotionen dazu herauszulesen. Und: PC-Dauernutzer ist nicht das gleiche wie "im Internet leben", oder?