Danke für die Antworten, Anregungen und die Ermutigungen. Es tut gut, das zu lesen.
Aber ich merke, ich muss konkreter werden, damit man mein Problem versteht. Das wollte ich eigentlich vermeiden. Aber ich habe eh nix mehr zu verlieren.
Also: Meine Angststörung ist wie folgt. Ich habe einige riesige Angst davor, dass Menschen meinen Po hässlich finden. Also dass sie die Form und/oder Proportion richtig abstoßend finden. Und dass ich deshalb gehasst und sozial ausgegrenzt werde.
Diese Gedanken begannen mit etwa 15 Jahren. Ich habe ein Foto von mir gesehen, wo ich völlig entsetzt war von meinem Anblick. Es folgten weitere Fotos, die mich entsetzt haben. Vorher hatte ich nix dergleichen von meinem Po befürchtet. Mein Leben hat sich dadurch von einer auf die andere Woche geändert. Ich versuchte zu vermeiden, dass Leute meinen Po bzw. mich von hinten sehen. Ich bekam Angst vor der Schule und besonders vorm Sportunterricht. Was ziemlich „komisch“ war, weil ich weder unsportlich und noch sonst wie schlecht in der Schule war. Ich fing an, meinen Po immer mehr zu hassen. Ich fand es völlig einleuchtend/richtig, dass andere mich hassen für meinen Po. Tatsächliche abwertende Kommentare habe ich faktisch kaum bekommen. Ab und zu mal ein Lachen, dass ich als mit hoher Wahrscheinlichkeit auf mich bezogen einordnete. Dh die Angst bezieht sich mehr auf Befürchtungen, was Menschen über mich denken/wie sie mich sehen, als auf tatsächlich stattgefundene Ausgrenzung. Parallel versuchte ich meinen „Makel“ durch viel Sport „wieder gut zu machen“. Ich beschäftige mich fortwährend mit meinem Po. Versuchte abzuschätzen, wie sehr unnormal er sei. Studierte Fotos, Videoaufnahmen, verglich mich mit anderen Menschen. Irgendwann konnte ich fast jeden Schüler und jede Schülerin an seinem/ihrem Po identifizieren. Meine Eltern habe ich mit meinem Wahn zur Verzweiflung gebracht. Meine Mutter veranlasste, dass ich eine Psychotherapie begann. Die Therapeuten war sehr einfühlsam und versuchte drei Jahre herauszufinden, warum ich diesen Blick auf meinen Körper entwickelt habe. Nach der Therapie bestand die Angst weiter. Hinzugekommen war Schlaflosigkeit. Auch nachts ließ mich die Angst nicht los. Ich bekam Antidepressiver, ich merkte keine Veränderung. Ein Jahr lang war ich kaum in der Schule. Ich wiederholte das Jahr. Danach war es nicht besser. Ich machte die Schule weiter mit der Angst und ohne Schlaf.
Nach der Schule versuchte ich zu studieren. Das funktionierte nicht gut. Nach einem Jahr wusste ich nicht mehr weiter. Ich entdeckte dann in einem Internetforum, dass es eine psychische Störung (Dysmorphophobie) gibt, die genau so funktioniert, wie das, was ich tue. Ich konnte das erste mal die Perspektive wechseln. Und fand das auf einmal ziemlich albern und unnötig, wie sich dort im Forum jemand über die Form seines Kopfes Sorgen machte. Und ich tauschte mich dort schriftlich mit Mitbetroffenen aus. Mit Freunden sprechen über meine Po-Gedanken tat ich (leider) nicht. Ich hatte immer Angst, dass jemand meinen Makel entdeckt und wollte den weiter versteckt haben. Dass jemand das an mir entdecken könnte, war in meinem Kopf mit einem Todesurteil gleichgesetzt. Also dass ich die Hassreaktion nicht überleben würde. Nur sehr wenig Leute wussten von meinem Problem. Deren Versuche, mich zu beruhigen, waren angenehm für mich (im Sinne von Zuwendung und Vertrauen spüren), aber meine Angst blieb.
Ich ging wieder zu einem Psychiater, ich blieb wage mit meiner Problembeschreibung, indem ich nur über meine Schlafprobleme sprach. Der Psychiater verschrieb mir ein anderes Antidepressiver (war inzwischen schon das dritte oder vierte), ich erhoffte mir absolut keine Wirkung davon, weil die vorherigen auch keine Veränderung gebracht hatten. Aber es wirkte. Ich konnte wieder schlafen und hatte weniger Angstgedanken. Ich konnte richtig studieren und gab Gas. Wenn ich in einer Beziehung war, so ging es mir sogar ganz gut. Ich fühlte mich geborgen und mein Leben war relativ normal. Aber in mir drin war die Angst sicher nie richtig weg.
Nach und nach wurde der Schlaf wieder schlechter. Das Medikament brachte mir zudem eine bleierne Müdigkeit und die zusätzliche Angst vor dem Kontrollverlust durch Schlaflosigkeit kamen als Belastung hinzu. Doch ich studierte weiter. Und schaffte es letztlich auch mit Schlaflosigkeit, Müdigkeit und Angst Prüfungen zu machen.
Ich hatte Schwierigkeiten in Beziehungen, also auch in Freundschaftsbeziehungen. Die Idee, dass Leute mich vielleicht „unterbewusst“ nicht leiden können, weil sie bereits Hässlichkeit meines Pos erahnen, machte mich sehr empfindlich und aggressiv bei Konflikten. Und die geheime Beschäftigung mit meinem Po wurde intensiver, also die Analyse von Videos und Fotos. Zwei mal beobachtete mich jemand bei meinen Zwangskontrollen und -betrachtungen vor spiegelnden Flächen und guckte mich völlig verwirrt an und konnte sich anscheinend keinen Reim darauf machen, was ich da tue.
Bis hierhin ist das alles massiv ätzend, traurig und wahrscheinlich auch unangenehm zu lesen. Damit zu leben ist die Hölle. Und natürlich wollte das schon lange nicht mehr. Und ich begann nach und nach darüber zu sprechen. Und wenn ich zu einer/m Therapeut/in ging, dann erzählte ich auch endlich, was ich für Gedanken habe und nicht bloß „ich habe Stress“. Und ich erzählte es meinen Partnerinnen. Es folgen nun viele Therapien und viele Medikamente. Und die Geschichte ist nun mehr als zwei Jahrzehnte lang. Und es gab Phasen, wo die Angst sehr weit weg aus meinem Bewussten gegangen war und ich den Raum mit schönen Dingen füllen konnte. Ich konnte Fuß fassen in vielerlei tollen Projekten und andere Fähigkeiten, als mich nur mit meinem Po zu beschäftigen, entdecken und weiterentwickeln. Mein Leben ist dadurch sicher nicht „einfach nur schlecht“ gewesen. ABER: Ich habe diese Angst um meinen Po nie wirklich überwinden können.
Es folgte eine schwierige Trennung vor ein paar Jahren und zack - die Angst kam wieder und war so stark, wie damals mit 15 Jahren, ich konnte nicht mehr schlafen. Ich musste meinen Beruf unterbrechen, es ging nicht mehr ohne Schlaf. Seit dem ist es leider so, dass diese Angst immer latent da ist. Und mein Leben sehr stark einschränkt. Ich begann wieder Therapien. Und auf diese Therapien bezog sich meine Kritik dieser Diskussion.
Ich nehme ein paar Fragen vorweg:
Findest Du es nicht schwachsinnig, Dich so viel mit Deinem Po zu beschäftigen?
Ja, das finde ich schwachsinnig.
Was glaubst Du denn, das passieren wird, wenn jemand Deinen Po hässlich findet?
rgendetwas schlimmes. ZB dass ich sterbe oder unwiderruflich sozial ausgegrenzt bin.
Glaubst Du nicht, dass Du eine Wahrnehmungsstörung hast?
Das ist zu schwammig formuliert. Ich kann ja generell Formen richtig einschätzen. Sonst würde ich wohl ständig daneben greifen, wenn ich aus einem Glas trinken will. In jedem Fall ist an meine Wahrnehmung direkt eine Bewertung und eine Angst gekoppelt.
Warum ist es überhaupt wichtig, wie Dein Po geformt ist?
Ich war vorher ein paar unglücklich verliebt. Ich hatte danach „für mich festgestellt“, dass es mit der Liebe bei mir wohl nicht geht, weil ich nicht gut genug aussehe (aufs Gesicht bezogen). Das war natürlich kein schöner Gedanke. Ich fing dann an Skateboard zu fahren und merkte, wie mir das richtig viel Freude machte. Alles andere war dann nicht mehr so wichtig, dafür war das Skateboard wichtig. Und ich blühte da richtig auf. Als mir dann mein Körper auf den Fotos nicht gefiel und ich auch in selbstgedrehten Skateboardvideos meinen Po als „nach hinten rausstehend (Entenpo-mäßig)“ und irgendwie komisch geformt wahrnahm, bin ich ausgerastet. Ich wollte, dass das gut bzw einfach normal aussieht bei mir, weil für es für mich ein logischer Schluss war "wenn es hässlich aussieht, dann muss es kaschieren".
Hast Du mal ganz konkret Menschen gefragt, ob sie Deinen Po hässlich finden?
Ja, ich habe mich dazu überwunden das zu tun. Und tatsächlich inzwischen vergessen gehabt, dass ich meist Entwarnung bekommen hab. Es sei damit nix, habe ich zur Antwort bekommen. Das tat mir in dem Moment gut. Aber die Befürchtungen kommen bald danach wieder.
Findest Du es sinnvoll, Menschen nach ihrem Aussehen zu bewerten?
Eine berechtigte Frage. Machen tue ich das wahrscheinlich genau so viel oder wenig wie andere Leute auch. Je länger ich den Menschen kenne, desto ganzheitlicher wird mein Bild von ihm. Dennoch habe ich eine riesige Angst, dass ich selbst nur als mein Po gesehen werde und das andere mich dafür ganzheitlich ablehnen.
Wie schaust Du heute auf Deinen Po?
Ich habe es aufgegeben, zu „erforschen“, ob mein Po denn nun schlimm ist oder nicht. Und auch keinerlei Lust mehr dazu. Ich gucke mich nicht mehr von der Seite im Spiegel an, ich schaue mir keine Bilder mehr von mir an. Ich versuche es zu vermeiden, auf die Pos von anderen zu schauen (wenn mein Antrieb der Vergleich ist). Aber mein Kopf ist voller Bilder von früher. Diese Bilder poppen an angstintensiven Tagen sehr häufig auf. Ich bin dann wie eingefroren. Und ich kann nicht schlafen.
Dennoch ist mir vom Verstand her irgendwie klar, dass diese Angst keine Entsprechung in der Realität hat. Und dass es höchstwahrscheinlich den meisten Menschen ziemlich wurscht ist, wie mein Po ist.
Was tust Du, um die Angst zu überwinden?
Ich weiche ihr nicht zu oft aus. Das passiert zB dadurch, dass ich zur Arbeit gehe. Und ich habe begonnen, mich gezielt der Angst auszusetzen, indem ich zB zum Yoga gehe und dort meinen Körper einer Gruppe fremder Leute zeige. Bisher klappt das mit dem Feedback nicht richtig. Denn ich müsste mich nicht nur Blicken aussetzen, sondern auch danach mit den Leuten Kontakt haben und zu spüren, dass ich tatsächlich nicht ablehnt werde. Hier ist meine Schwierigkeit - mit meiner starken Erschöpfung und Traurigkeit traue ich mich nicht auf (Blick-)Kontakt zu gehen. Aber ich mache es weiter.
Ansonsten probiere ich Therapien aus, ich gehe parallel zu mehreren Therapeuten. Geldmäßig ist das mir möglich, ich habe sonst keine größeren Ausgaben. Traurig ist das natürlich schon, dass ich mein Geld für TherapeutInnen statt für ein Konzert oder einen Ausflug ausgebe.
Trotz meines Zustandes gehe ich durchgehend arbeiten und habe keine Fehlzeiten. Es bringt mir schlichtweg nix, wenn ich zu Hause bleibe. Und durch den Fachkräftemangel, wäre es schwer, mich zu ersetzen. Ich mache meine Arbeit so gut es halt geht. Das ist wichtig für meine Selbstachtung. Und die Arbeit macht mir im Prinzip ja auch Spaß. Ich bin halt nur schnell erschöpft. Und am WoEnd und im Urlaub kann ich mich nicht erholen, weil ich kaum schlafe.
Ich suche nun weiter nach Hilfe, primär um wieder schlafen zu können. Wenn ich genügend Energie habe, so hoffe ich, werde ich es selbst hinbekommen, die Angst abzubauen und meine Beziehungen zu Menschen anders als in der Vergangenheit zu gestalten. So dass ich Vertrauen spüre. Alles was bis hierhin gruseliges passiert ist, das vergesse ich dann gerne, ich erhebe da keinen Anspruch auf Mitleid.
Aber Ruhe in meine Psyche zu bekommen ist sehr sehr schwierig. Ich habe mehrere Jahre lang Autogenes Training gemacht, nun ein paar Monate EMDR. Beide Verfahren entspannen mich, aber der Schlaf wird nur unwesentlich besser. Ein trizyklisches Antidepressiver, das speziell für die Wiederherstellung meines Schlafs gedacht war, verstärkte die Angst noch weiter, nach drei Tagen komplett ohne Schlaf brach ich die Behandlung ab.
Ich bin ziemlich ratlos, was mir noch helfen kann. In meiner Freizeit sitze ich oft weinend auf dem Stuhl. Weinen tut mir gut. Tja und wenn ich das jemandem erzähle, weil ich erklären möchte, warum ich nicht mitkomme auf einen WoEndTrip oä, dann bekomme ich den Tipp: „Vielleicht wäre es gut, wenn Du mal eine Therapie machst.“...