Hattet ihr schon eine unvergessliche Begegnung mit einem Fremden?

9 Antworten

Ich habe schon einige Male Menschen treffen dürfen die ich bis heute in Erinnerung habe. Manche kannte bzw. kenne ich schon länger und andere habe ich wirklich nur einmal getroffen.

Ja, da gab bzw. gibt es tatsächlich etwas, das nachhaltige Eindrücke hinterlassen hat. Es ist genau 20 Jahre her. Kann mich dennoch sehr gut dran erinnern. Ich musste auch nicht lang überlegen, die Begegnung ging mir auch ziemlich nach - aber eher im Positiven, weil es eine angenehme Erinnerung ist.

Ich traf in der Fußgängerzone einer süddeutschen Großstadt einen damals schon 80 Jahre alten Mann. Es war extrem heiß (Sommer 2005), der Mann stand da und wurde von den meisten entweder angepöbelt, beschimpft oder bespuckt. Er hat sich dabei was mir auffiel nicht geregt, stand trotz aller Anfeindungen einfach nur da und ich habe das Ganze einige Minuten lang beobachtet, bis ich zu ihm einfach mal hingegangen bin. Ich wusste zu dem Zeitpunkt gar nicht, warum er da steht, aber er tat mir einfach nur leid.

Wir haben uns daraufhin gut unterhalten und ich glaube, das Gespräch hat ihm gut getan. Er hat sich richtig gefreut, dass er mir etwas über sich und sein Leben erzählen konnte und sich tausendmal bedankt, dass er nicht beleidigt wurde und man einfach nur anständig miteinander redete. Das kam wirklich von ganzem Herzen. Eine solche Dankbarkeit kann man wahrscheinlich nicht vorspielen.

Dabei kam vieles raus: Er stammte eigentlich aus Thüringen, siedelte 1990 in den Westen um und schloss sich nach der Wende den Zeugen Jehovas an, für die er nun an diesem Ort Schriften verteilte. Er erklärte mir, dass er sich nach der Wende allein und haltlos fühlte, keinerlei Achtung mehr erfuhr, alles verloren hatte was ihm mal wichtig war und bei den Jehovas dann wieder neuen Halt bekam, sich verstanden und aufgenommen/akzeptiert fühlte. Er sprach sehr wortreich von einer geringen Rente, Desillusionierung, Isolation, Mentalitätsproblemen mit dem "kalten" Süddeutschland, fehlender Akzeptanz durch andere und erwog es, seinen Lebensabend wieder in Thüringen verbringen zu wollen. Ich habe ihm das alles geglaubt, weil es absolut plausibel klang. Er erzählte mir auch, wie das war mit Geschäftemachern aus dem Westen, rechtsfreiem Raum unmittelbar nach der Wende, heilloser Überforderung und rechten Gruppierungen, die teilweise gezielt auf Suche nach haltlosen Jugendlichen gegangen sind - und ich habe einige Zeit später aus Dokus und Büchern gelesen, dass es echt exakt so gewesen ist, wie der alte Mann mir es erklärt hatte.

Kann mich noch sehr gut erinnern. Ich sagte ihm, dass ich zwar katholisch bin kein großes Interesse an den Zeugen Jehovas habe jedoch dafür immer Interesse an guten Unterhaltungen, und die führten wir dann. Er war gar nicht böse, dass ich nicht über den Glauben reden wollte. Wir sprachen über Kultur, deutsche Geschichte, Soziales, die Politik ... das war ein sehr emotionales und gutes Gespräch, das mir auch im Nachhinein wirklich zu Herzen ging!

Dieser alte Mann war übrigens echt der einzige herzliche, freundliche und gesprächsbereite Mensch, der mir in dieser Stadt begegnet ist, zusammen mit einem Opa aus Memmingen in Bayern, der mich nach dem Weg zu einem Denkmal fragte und mich ansprach, weil ihm mein Dialekt auch "bayrisch" vorkam (womit er ja auch Recht hatte!). Ich hielt mich eine Woche lang dort auf und sah sehr viele Menschen dort. Aber nur zwei, die wirklich freundlich und dankbar waren. Und einer davon war dieser Rentner aus Thüringen. Wer weiß - vielleicht lebt er ja noch (er dürfte jetzt 99 oder 100 sein, war damals jedenfalls 80) und denkt auch an mich.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Ja, das hatte ich schon oft.

Besonders im Gedächtnis ist mir ein Mann auf dem Friedhof geblieben bei Schnee im Winter, er hatte nur einen intakten Clog ohne Socken an, der andere Clog hatte keine Sohle mehr.

Ich sprach ihn an, ob ich ihm helfen könne, er sagte, "Ach, ich hab doch noch einen Schuh, das wird gehen".

Das war regelrecht ein Schock und ich gab ihm Geld für Schuhe, leider war es unter der Corona Zeit, wo viele Geschäfte nur unter besonderen Bedingungen auf hatten. Ich hoffte, dass er bei Aldi oder einem anderen Supermarkt Schuhe finden würde.

Während ich das jetzt erzähle tut mir das immer noch so wahnsinnig leid, das hat mich schon geprägt, das Jammern vieler Menschen auf hohem Niveau, wo es nur um noch mehr Geld und Gut geht.

Ja, mehrfach. Z.B. lernte ich im KH eine Frau kennen, die kaum älter war als ich und Krebs im Endstadium hatte. Wir sprachen ein bisschen. Als sie von Verwandten nach Hause gebracht wurde, wollte sie nochmal zu mir. Wir haben dann einige Minuten über Leid, Angst, Schmerzen und Tod gesprochen. Um uns herum standen die Angehörigen, Pfleger, Ärzte - und alle haben geweint.

Einmal hatte ich ein Gespräch mit einem Mann, der war so Anfang/Mitte 50. Ich saß links von ihm und habe deshalb gar nicht gesehen, das er keinen rechten Arm hatte. Er erzählte mit von seinem Motorradunfall Anfang 20, bei dem ihm der komplette Arm abgerissen wurde, weshalb er auch nie eine Prothese tragen konnte und schreckliche Phantomschmerzen hatte. Er sagte mir, ich solle mich niemals auf so eine "Höllenmaschine" setzen. Ich habe mich daran gehalten.

Das Gehirn ist schon ist faszinierendes Objekt. Es war nur ein Augenkontakt mit einer damals gleichaltrigen Schwedin während eines Urlaubs. Nie haben wir ein einziges Wort gesprochen oder uns jemals wiedergesehen und doch sind ihre Augen mir immer noch näher, als viele die physisch in greifbarer Nähe liegen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung