Faust Innerer Monolog?

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Faust verzweifelt an seinem felsenfesten Gottesglauben, denn sein ihn quälender Forscherdrang schenkte ihm immer mehr Wissen, aber keine göttliche Gelassenheit für das Leben und auch keine menschliche Liebe einer Frau... Das wird er als greiser Mann nicht mehr erreichen können... so versucht er als letzten Halt in dieser Welt die biblischen Worte vom Anfang dieser Welt "richtig" zu übersetzen, zweifelt jedoch noch mehr und sieht den einzigen Ausweg im Selbstmord, aber der Osterglockenklang hindert ihn, weil im christlichen Glauben der Selbstmord eine schwere Sünde ist... so wäre er ja ein Verräter seines geliebten Gottes... und so ist er "reif" für die böse Verführungskunst des Mephistopheles, die mit dem Pakt beginnen kann... eine neue Jugend kann beginnen...

Und jetzt rede das so ähnlich einige Male vor Dich hin: Stelle Dir, Gott und der Welt diese grundsätzlichen Fragen über Weisheit und Liebe, Glauben und Wissenschaft, Leben und Hoffnung - Verzweifle daran, keine Lösung zu finden! Bitte eindringlich, schimpfe ausführlich, trauere um all Deine Verluste und sei wütend tobend, stehe auf mit letzter Kraft gegen Gott und seine Menschen, verzeihe Dir wiederum, bitte um Vergebung und sei demütig zerbrochen, kniee Dich hin zum Freitod als Freiheit aus der Sackgasse Deines fehlgeschlagenen Lebens.... - und so erhältst Du einen inneren Monolog zur Niederschrift.

McCollins 
Fragesteller
 02.11.2017, 19:27

Gab es nochmehr Gründe die ihn in den Selbstmord stürzten?


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Skoph  02.11.2017, 20:47
@McCollins

Wie könnte es mehr Gründe zur Verzweiflung eines alten, höchstgebildeten Mannes geben? Goethes Faustfigur ist ja nicht sterbenskrank, nicht bettelarm, nicht ein strengstens zu bestrafender Verbrecher... Faust ist Ausgestoßener wegen seiner zu hohen Intelligenz und seiner ewigen Wissensgier... Er ist der Sucht nach Wissen verfallen, er will sein Leben lang erkennen, "was die Welt im Innersten zusammenhält".

Er hat den heute noch typischen Wissenschaftsweg erlernt und verinnerlicht, den sokratisch absichtlichen Zweifel an jeder neuen Erkenntnis (Mäeutik - Häbammenkunst), aber sie findet kein Ende, keine Zufriedenheit - und schrecklicherweise entfremdet sie den Suchenden vom Menschsein, vom Mannsein, da es ihn entsinnlicht und total vergeistigt. Die Menschen meiden ihn, betrachten ihn irgendwann nicht mehr als Gelehrten, sondern als ständigen Besserwisser... wie ein wandelndes Lexikon ohne Leidenschaft am Leben (vgl. I. Kants Leben).

Das macht keine Freunde, das zieht seltenst Frauen an, erst recht nicht zu dieser Zeit, in der Frauen nichts lernen durften, außer attraktive Geliebte und zugleich Mutter sein zu müssen... 

Diese Einsamkeit schenkt Zeit für noch mehr Nachdenken und Forschen... Faust muss diesen als Sackgasse empfundenen Wissenschaftsweg entgrenzen, er versteigt sich verzweifelt in die verbotene Magie, unwissenschaftliche Zauberkünste einer Zweitwelt, um endlich zur Wurzel der Erstwelt zu gelangen (damalige Idee einer Weltformel); der Erdgeist erscheint auch, aber er weist ihn, den einfältigen Menschenwurm zurück... Wie könnte er auch nur Irgendetwas Großes wissen können!?

Faust liest auch die pessimistischen Vieldeutereien des Nostradamus´, aber damit wird er als an das Gute glaubende katholischer Christ nicht beruhigt, nicht glückselig...

Sein Assistent Wagner kommt auch noch zu Besuch wegen Fausts lauter Unruhe, doch Wagner ist nur der brav angepasste, zeugnissammelnde Student und wahrscheinlich eines Tages ein fader Hochschullehrer für das Immer-schon-Gewusste; Faust spottet behutsam im Dialog über ihn - aus eigener Verzweiflung, dass er selbst nie so selbstzufrieden sein könnte...

Der Giftselbstmord ist vielleicht nicht der Tod, sondern der Eintritt in eine andere Welt der Schatten, der ewigen Seelen, die alles wissen, der Noch-Gott-Ähnlicheren als er, Faust, der Gott-Ähnliche selbst... Faust ist zwar als Mensch verzweifelt, aber immer noch der nicht zu bezwingende Wahrheitssuchende....

.... Genügt Dir das?

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McCollins 
Fragesteller
 02.11.2017, 21:02
@Skoph

Danke für die ausführliche Beschreibung. Und danke das du dir die zeit nimmst mir zu helfen!(:

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Skoph  02.11.2017, 22:00
@McCollins

Bitte, nichts zu danken.... Ich bin kein Goethe-Fan, aber seine Tragödien Faust I und Faust II, an welchen er sein Leben lang schrieb, gehören zu den bedeutendsten Werken der Deutschen Kultur:

Sie erzählen zwar "nur" von dem Gelehrtenleben als Mann des so genannten christlich-deutschen Bildungsbürgertums, also auch von einem Teil von Goethe selbst, aber man muss sie kennen, muss sie gelesen und als Theater oder Verfilmungen erlebt haben, damit man versteht, in welcher Kultur von Gut und Böse, Glauben und Aberglauben, Wissenschaft und Religion, Liebe zwischen Mann und Frau und deren Wertigkeiten in der Gesellschaft man in Deutschland einst jahrhundertelang lebte...

...und überlegt, wie wir sie weiterentwickelt haben... Kultur wird durch den Menschen geschaffen oder auch nicht...

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McCollins 
Fragesteller
 02.11.2017, 22:39
@Skoph

entschuldige bitte, wenn ich dich nerve. Aber ich hab noch eine Frage. Als Faust die Phiole ansetzt und kurz darauf der engelsgesang ertönt, Was könnte in diesem Moment in ihm vorgehen. Über was würde er nachdenken?

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Skoph  03.11.2017, 09:47
@McCollins

... nervt nicht, sondern ist für mich spannend, dass Du Dich dafür interessierst!

Ab Vs 690 denkt Goethes Faust mittels des Todestrankes in das "jenseitige Reich Gottes" eintreten zu können (Vs 696 f Der Schmerz wird gelindert, das Streben wird gemindert. Vs 701 Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.). Ja, er freut sich von ganzem Herzen in hoffnungsvoller Erwartung auf das Ewige Leben nach dem Tod (Vs 735 f Der letzte Trunk sei nun mit ganzer Seele als festlich hoher Gruß dem Morgen zugebracht!). - Da hat er die Phiole am Mund...

Plötzlich hört er die Botschaft (Engel = Botschaft), für ihn, den fehlbaren wissbegierigen Mann - mit kirchlichem Glockenklang (Vs 737 ff Christ ist erstanden! Freude dem Sterblichen, den die verderblichen, schleichenden, erblichen Mängel umwanden.) Und später Vs 757 ff hört er, dass Christus auch seine eigene Prüfung bestanden hat. Vs 767 ff die weltberühmte Antwort Fausts: Die Botschaft hör´ ich wohl, allein (= nur) mir fehlt der Glaube! Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind. Zu jenen Sphären wag ich nicht zu streben, woher die holde Nachricht tönt; Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt, ruft er mich auch jetzt zurück mich in das Leben. - Der christliche Glaube besagt, dass Christus nicht von Gottvater verlassen wurde, sondern durch den menschlichen Kreuzigungstod und die göttliche Auferstehung die Menschen vor dem ewigen Bösen ins ewige Leben gerettet hat: Das ist die Botschaft der christlichen Religion, die nicht zu verstehen ist, sondern zu erfühlen; sie überwindet die menschliche Urangst vor dem Sterben, vor dem Tod als Ende, vor dem Bewusstsein der Endlichkeit ohne.... ohne... ohne... die irgendwann jeder Mensch einsam selbst erfahren muss...

Und die Botschaft der Rettung Fausts (Vs 801 ff tätig ihn Preisenden, Liebe Beweisenden, brüderlich Speisenden, predigend Reisenden, Wonne Verheißenden, Euch ist der Meister nah, Euch ist er da!) - Aus diesem Grund ist es ungläubig, Selbstmord zu begehen, ist es eine Schande gegen Gott, sich selbst als Geschöpf Gottes zu ermorden... es besteht die Pflicht sich selbst zu lieben, ja, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst, auch wenn es der Feind ist! Denn einzig dadurch ist der Mensch ein göttlicher Mensch und nur danach hat er zu streben, nicht nach Gütern und Wissen... und Wissen... und Wissen... - Die Engel bieten Faust den Glauben an - als vollendetes Wissen.

Und nun macht Goethe einen riesigen Bruch als Überraschung für neue Spannung: Spaziergänger vor dem Tor der Stadt in der Natur Vs 808 ff.: Die triebhafte Einfachheit der Männer durch das Gerede über Mädchen wird lustig-lustvoll dargestellt. Es ist aber nicht banal-primitiv, sondern die andere Welt des irdischen Lebens, die ja Faust fehlte, die er nicht erleben konnte... und so erscheint bald auch der Pudel in dieser Welt ... Faust ahnt schon dessen übernatürlichen "Inhalt".... usw. usw...

Grüße!

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McCollins 
Fragesteller
 04.11.2017, 11:56
@Skoph

ich habe auch irgendwo gelesen das der Glockenklang Faust an Kindertage erinnert an Erlebnisse die er in seine Jugend erlebt hat, weißt du was das für Erinnerungen sein könnten?


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Skoph  04.11.2017, 16:09
@McCollins

Das sind Vse 765 bis 784: Normalerweise wird es so gedeutet, dass nicht der Glaube, sondern nur diese Jugenderinnerungen (genussvolles Beten, durch Wald und Wiese spazieren, die Welt noch als Neues erfahren, Frühlingsfeier - Spiele, Freiheit - Glück) Faust am Selbstmord hindern, weil er damals glücklich und hoffnungs-sehnsuchtsvoll gewesen ist.

Als Philosoph sehe ich das aber anders: Der Glaube an Gott kann nur auf einem kindlich-naiven Urvertrauen zur Welt entstehen; Gott ist nämlich nur dann der Vater, der belohnt und straft, der Hilfe gibt, nur wenn er es will... Also sind diese Jugenderinnerungen der "Rückschritt" des altehrwürdigen, nicht-mehr-gläubigen und verzweifelten "Wissenschaftlers" Faust in seinen alten Glauben als neuer Glaube - und deshalb ist der Selbstmord plötzlich vor Gottvater ein strikes Verbot - UND zugleich entsteht die jugendliche Lebenslust wieder: Fausts Angelhaken, an den sich dann Mephisto absichtlich hängt...

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