Einige Fragen zu den 70ern?

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Bin in den 60er und 70er Jahren auf dem Gelände eines Altersheimes groß geworden.

Ja, damals hießen diese Einrichtungen noch Altersheim und nicht Pflegeheim.

Damals gingen viele Leute, auch Ehepaare noch freiwillig ins Altersheim, auch wenn sie noch absolut rüstig waren und durften auch ihre eigenen Möbel mitbringen und sich nach ihrem Geschmack dort einrichten. Da war das Altersheim eher wie eine Art Hotel. Es gab auch eine Pflegestation, auf der die Alten lagen, die nicht mehr selbständig leben konnten, das war aber nicht die Mehrzahl.

Die Alten sahen sich als Alte und damals wares vor allem auch aus Mangel an Geld (wohlhabende Alte gabs nur selten) die Alten bei weitem nicht so "lebenslustig" und aktiv, wie heutzutage. Durch die harte Arbeit in ihrem Leben zuvor waren die körperlich auch nicht mehr so gut drauf. Die Arbeitsbedingungen in den 1940er bis 1970er Jahren waren weit härter und gesundheitsschädlicher als heutzutage. Ein Lebensalter über 70 war schon viel und nur selten wurden welche über 80. 70-jährige waren damals in einem körperlichen und geistigen Zustand, den heutzutage viele erst Ende 80, Anfang 90 erreichen. Viele Alte waren auch noch durch ihre schlimmen Kriegserlebnisse geprägt.

Insgesamt war das Famlienbild und auch das Rollenbild der Frau noch sehr konservativ. Für Frauen galt KKK (Kinder, Kirche, Küche) und als Familie galt nur Vater als Verdiener, Muttter (macht Haushalt und erzieht Kinder) und Kinder als "normal". Bei den Kindern war es noch häufig so, dass die Söhne weitgehend in ihrer sozialen Klasse bleiben sollten. Arbeiterkinder mussten eine Lehre machen und wurden nur selten aufs Gymnasium geschickt. Mädchen brauchten überhaupt keine höhere Bildung, da sie ja sowieso heiraten und zu Hause bleiben sollten.

Das begann sich allerdings ab Anfang der 70er mehr und mehr zu ändern, wobei sich diese Aufbruchstimmung auch im Regierungswechsel 1972 von der religiös-konservativen CDU zur reformorientierten sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt manifestierte.

Von welchem Land sprichst du, es koennten somit verschiedene Situationen um 1970 gegeben haben?

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Ich war in den 70gern Teenager. Unsere Oma mütterlicherseits lebte bei uns, das war für uns ganz normal, mit drei Generationen unter einem Dach zu leben. Die Oma väterlicherseits lebte in Australien, sie habe ich nie kennengelernt, das Verhältnis unseres Vaters zu seinen Eltern war aber auch nicht gut. Unser Haushalt war von "starken Frauen" geprägt, mein Vater ist praktisch nie als erster ans Telefon gegangen, meine Mutter hat im Familienbetrieb die Rolle der Buchhalterin und Chefsekretärin übernommen. Oma "schmiss" den Haushalt und kochte für uns alle (meine Brüder waren damals schon erwachsen, wohnten aber noch zuhause und oft saßen ihre Freundinnen mit am Abendbrottisch).

Ja, es war die Zeit der Indienblusen, der lila Latzhosen, der Frauenbewegung, des Verzichts auf BHs. Oma und Mutter hielten allerdings an ihren "Korseletts" noch fest, ich hingegen trage bis heute keine BHs. Habe mit 14 oder 15 meinen ersten anprobiert, für unnötig befunden und mich bis heute nicht an das Einschnüren des Oberkörpers gewöhnen können (und wollen!). Mir wurde beigebracht, nie von einem Mann abhängig zu werden, weder finanziell noch emotional. Und auch bei meinen Freundinnen war das so, obwohl diese zum Teil aus noch wesentlich konservativeren (oder sollte ich sagen "konventionelleren"?) Familien stammten.

Wir waren noch stark von der Hippie-Bewegung beeinflusst, allerdings in unserem rheinischen Städtchen doch sehr "zahm", die wenigsten stürzten sich in den Konsum illegaler Drogen, der Mehrzahl reichten Räucherstäbchen und Altbier, manche kifften auch mal, das war's aber schon. Und auch sexuell fühlten wir uns zwar frei (wir hatten die Pille, aber es gab noch kein AIDS, also juchu!), waren aber doch seriell monogam, denn wir hatten unsere festen Freunde ja lieb!

Was uns allerdings vollkommen klar war: Uns stand auch als Mädchen die Welt offen, wir definierten uns nicht als Prinzessinnen und sahen die Jungs nicht als Ritter, wir wurden als Kinder zumindest von der Spielwarenindustrie nicht in geschlechtsnormierte Schubladen gepresst. Ja, es gab Barbie. Aber Ken war uncool mit seinen kurzen aufgemalten Haaren, ergo mutierte Barbies kleine Schwester Skipper zu einem coolen Beach Boy mit langen Haaren (Skipper hatte ja keine Brüste!). Es war die Zeit des Glam Rock und der Androgynität, David Bowie machte es vor und wir spielten es nach...

1970er und Frauen/Familie:

  • Volljährig war man mit 21, erst ab 1975 war es mit 18
  • Frauen mussten bis Ende der 1970er die Erlaubnis des Ehemannes haben, damit sie arbeiten durften. Bankkonto und Führerschein ebenso.
  • Frauen waren im Rollenbild eher Hausfrau und Mutter als selbständig denkende Menschen.
  • Frauen wurden ab 40 nicht mehr wirklich als Frauen wahrgenommen (und ab da sind die Frauen meiner Meinung nach erst richtige Frauen - nix gegen die jüngeren, aber 40+ ist ein super Alter für Frauen!).
  • Die 1968er haben mitgeholfen, das Frauenbild zu ändern.
  • Und es gab bis in die 1960er noch "Knechte und Mägde", die sich gegen Taschengeld, Kost und Logis im Haushalt, der Werkstatt oder dem Hof verdingt haben.

Zum Alter:

  • Altersheime kamen auf, da die Familien wegen zu kleiner Behausungen nicht mehr in mehr als zwei Generationen (Eltern/Kinder) zusammen gelebt haben.
  • Ab 50 war man alt, mit 60 schon sehr alt und 75+ hatte eher Seltenheitswert.

Gleichzeitig ist mit der außerparlamentarischen Politik, der Presse und der Musik der 1960er und der 1970er vieles aufgebrochen worden, was heute normal gesehen wird (und auch normal ist).

Man sollte dabei bedenken, dass die Menschen bis 1945 in einem totalitären System gelebt haben und nachher ohne große "Umschulung" weiter gelebt haben.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Opa und Oma waren noch in die Familie integriert und nicht in Altenverwahranstalten abgeschoben.

Das Frauenbild modernisierte sich zunehmend. Auch gesetzliche Rahmenbedingungen wurden geändert oder angepaßt. Ich will da nur an das Girokonto ohne Zustimmung des Mannes erinnern.

Das Familienbild war, jedenfalls in der Provinz, nicht so modern, wie es gerne für die 70er dargestellt wurde.

Frau = Hausfrau, Mann = Ernährer war noch vollkommen normal.

Dafür wurde aber auf ein familiäres Zusammenleben sehr viel mehr Wert gelegt, als heute.

Gemeinsame Essen, Spieleabende, gemeinsame Urlaube, etc.

Auch auf die Erziehung wurde, ebenfalls anders als heute, noch Wert gelegt.

Haben die Kinder Bockmist gebaut, wurde das auch handfest vermittelt.

Unabhängig von der in den großen Städten um sich greifenden antiautoritären Erziehung.

Unverheiratete Mütter waren auch damals noch "eine Schande".

Studentenkommunen kamen mehr und mehr auf.