David Hume und Gerechtigkeit

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1) Gerechtigkeit bei Hume

Gerechtigkeit/Rechtssinn (justice) ist laut David Hume eine besonders bedeutsame soziale Tugend. Sie hat nach seiner Auffassunggkeinen Wert in sich, sondern aufgrund ihres Nutzens. Sie ist für andere nützlich, insbesondere für die Gesellschaft/Allgemeinheit.

Hume erwähnt ihre Definition als beständiger und immerwährender Wille, jedem das zu geben, was ihm zukommt. Allgemeiner ausgedrückt besteht sie in dem Vorsatz, die Rechte anderer zu wahren und zu achten. Hume denkt dabei vor allem an Eigentumsrechte. Diese gibt es nicht von Natur aus, sondern sie sind von Menschen hervorgebracht und zu bestimmten Zwecken erfunden, insofern etwas Künstliches. Mein und Dein gibt es, wenn Menschen übereingekommen sind, etwas als eigenes und fremdes Eigentum anzusehen und anzuerkennen. Infolgegessen bezeichnet David Hume die Tugend der Gerechtigkeit als künstliche Tugend (artificial virtue). Sie gilt deswegen aber nichts als gekünstelt oder widernatürlich. Sie ist für Menschen aufgrund ihrer Lage in der Welt unerläßlich. In einem Gedankenexperiment zeigt Hume, wie Gerechtigkeit/Rechtssinn einerseits bei ständigem Vorhandensein eines sehr starken Überflusses oder bei durchgängigem Wohlwollen, Altruismus und Freundschaft aller Menschen allen Menschen gegenüber unnötig ist, andererseits bei sehr starkem Mangel an Gütern es nicht leisten kann, allgemeines Glück und Sicherheit zu bewirken. Menschen sind auf andere angewiesen, um ihre Bedürfnisse und Ansprüche gut zu erfüllen. Um ein Zusammenleben in einer Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, ist eine Rechtsordnung erforderlich. Sie entsteht durch Vereinbarung/Übereinkommen/Konvention. Die Befolgung der Rechtsregeln geschieht nicht aufgrund ursprünglicher natürlicher Impulse und Motive. Das Gefühl für Recht und Rechstswidrigkeit stammt nicht aus der Natur (auch wenn es natürlich ist, sich an Rechtstregeln zu halten, wenn sie einmal anerkannt sind), sondern ist ein Ergebnis von Erziehung und Übereinkunft. Zur Vorbeugung gegen zerstörerische Folgen eines schrankenlosen persönlichen Besitzstrebens ist eine Übereinkunft nötig, Besitz als rechtmäßig erworben anzuerkennen.

Auch die Einführung einer Staatsgewalt und Regierung entspricht menschlichem Interesse, indem sie die Einhaltung der Rechtsordnung sichern. Eine Theorie eines Gesellschaftsvertrages mit einer Verpflichtung zum Gehorsam lehnt Hume aber ab.

Die Aussagen Humes über Gerechtigkeit stehen in seinern Darlegungen zur Ethik:

A treatise of human nature (Ein Traktat über die menschliche Vernunft; abgekürzt T), Buch 3

An enquiry concerning human understandung (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand ; abgekürzt EHU), Buch 3

An enquiry concerning the principles of morals (Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral ; abgekürzt EPM)

Helmut K. Kohlenberger, Gerechtigkeit II.1. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 3: G – H. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1974, Spalte 335:
„Für D. Hume ist der öffentliche Nutzen die ausschließliche Quelle der G.[erechtigkeit]. Sie hat ihre Bedeutung im gesellschaftlichen Normalzustand, der weder überreiche Fülle äußerer Güter noch äußersten Mangel kennt. Der Nutzen und ausschließliche Zweck dieser Tugend besteht darin, durch Aufrechterhaltung der Gesellschaftsordnung Glück und Sicherhiet zu schaffen. Ihre Unentbehrlichkeit sichert ihre Dignität. «Natürlich» ist die G.[erechtigkeit in dem Sinne, daß sie notwendig aus der Betätigung intellektueller Anlagen entspringt.“

2) Die Ethik von David Hume

Die Ethik bei David Hume hat hauptsächlich die Aufgabe, die Tatsache positiver oder negativer Bewertungen von Handlungen und deren Motiven bzw. der zugrundeliegenden Charaktereigenschaften begreiflich/nachvollziehbar zu machen.

Hume verwendet eine empirische Methode der Zurückführung von beobachteten Erscheinungen auf ihre Ursachen. Die Erklärung wird im Rahmen der Psychologie vorgenommen. Die Vernunft wirkt seiner Meinung nach bei Entscheidungen mit, indem sie den Menschen Dinge vergegenwärtigt, auf die sich Werturteile beziehen und über Ursache-Wirkungs-Verhältnisse informiert, auf deren Grundlage Zusammenhänge von Zwecken und Mitteln festgestellt werden können. Handlungsauslösend sind nach Hume aber Gefühle/Empfindungen/Affekte. Die Unterschiedung zwischen Tugend und Laster beruht auf dem Gefühl der Billigung bzw. Mißbilligung. Motive (von Handlungen wird auf ihre Ursachen geschlossen) werden in der Vorstellung mit dem üblichen Wirkungen verbunden, wenn sie als allgemeine Charaktereigenschaften vorhanden sind. Motive können eine allgemeine Tendenz haben, nützliche oder schädliche Handlungen zu bewirken.

Albrecht  10.08.2012, 08:38

Billigung und Mißbilligung werden ausdrücklich als ruhige, indirekte Affekte dargestellt. Dabei wird aus Interesse an einer Verständigung miteinander ein fester und allgemeiner Standpunkt eingenommen mit der Perspektive eines verständigen, unparteiischen/überparteilichen Beobachters, der zu Abstand zum beurteilten Geschehen fähig ist, aber es nahe genug an sich heranläßt, um sich in alle Betroffenen einfühlen zu können. Wesentlich für das moralische Urteil ist die Sympathie, die eine lebhafte Vorstellung in einen Eindruck umwandelt. Dieser Eindruck ist die affektive Ursache des moralischen Gefühls. Lust/Vergnügen (pleasure) oder Unlust/Mißvergnügen (uneasiness) treten auf. Bei nützlichen Tendenzen bewirkt die Sympathie einen angenehmen Eindruck, bei schädlichen einen unangenehmen. Charaktereigenschaften, die auf diese Weise moralische Billigung erzeugen, werden Tugenden genannt, Charaktereigenschaften, die moralische Mißbilligung erzeugen, Laster. Die moralische Bewertung gründet also auf der Wahrnehmung von Nützlichkeit (utility). Diese Bewertung wird durch die angenehme emotionale Gestimmtheit ausgelöst, sie auf eine solche Wahrnehmung unmittelbar folgt. Das ursprüngliche moralische Gefühl der spontanen Freude an allem, was menschliche Gemeinschaft fördert, nennt Hume fellow-feeling, sympathy oder humanity.

3) künstliche Tugenden

Die Unterschiedung zwischen natürlichen und künstlichen Tugenden trifft David Hume in seinem Traktat über die menschliche Natur, nicht in den späteren Werken zur Ethik.

Natürliche Tugenden sind in der menschlichen Natur verankerte Einstellungen und Geneigtheiten. Sie werden direkt gebilligt, indem auf Eindrücke von Lust und Unlust reagiert wird. Ein besonders wichtiges Beispiel ist tätiges Wohlwollen. Künstliche Tugenden sind künstliche, nämlich von Menschen geschaffene Einrichtungen, normative Konstuktionen, die kulturelle Erzeugnisse sind. Sie werden indirekt gebilligt. Eine Zusammenarbeit mit anderen ist langfristig vorteilhaft. Künstliche Tugenden bestehen darin, sich an Regeln, (stillschweigende) Konventionen und Gesetze einer Gesellschaft zu halten. Erst wenn diese akzeptiert und befolgt werden, ergibt sich meistens ein Nutzen.

David Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur = A treatise of human nature. Übersetzt, mit Anmerkungen und Register versehen von Theodor Lipps. Bdand2: Über die Affekte. Über Moral. Unveränderter Nachdruck der 1. Auflage von 1906. Hamburg : Meiner, 1978 (Philosophische Bibliothek ; 283b), S. 219:
„Ich habe schon angedeutet, daß unser Bewußtsein der Tugend nicht bei allen Arten derselben ein natürliches ist, daß es vielmehr einige Tugenden gibt, die Lust und Zustimmung nur erwecken auf Grund einer künstlichen Veranstaltung, die aus den Lebensverhältnissen und Bedürfnissen der Menschheit entsteht. Ich behaupt, daß der Rechtssinn zu diesen gehört […].“

S. 283: „Nach allen dem müssen wir annehmen, daß die Unterscheidung zwischen Rechtlichkeit und Rechtswidrigkeit zwei verschiedene Grundlagen hat, nämlich die Grundlage des Interesses, das dann sich einstellt, wenn die Menschen die Unmöglichkeit einsehen, in der Gesellschaft zu leben, ohne daß sie sich durch gewisse Regeln einschränken, und die Grundlage der Sittlichkeit, die dann sich ergibt, wenn die Forderung dieses Interesses einmal verstanden ist, und die Menschen Lust fühlen bei der Betrachtung von Handlugen, die zum Frieden der Gesellschaft beitragen, und Unlust bei der Betrachtung solcher, die demselben entgegenstehen.

Die willkürliche und künstliche Übereinkunft von Menschen schafft jenem Interesse Geltung. Insofern sind jene Rechtsnormen als künstliche anzusehen. Ist aber jenes Interesse einmal zur Geltung gebracht und anerkannt, so folgt das Gefühl der Sittlichkeit der Beobachtung dieser Normen als etwas Natürliches und ganz von selbst nach. Doch wird dies Gefühl ohne Zweifel noch durch künstliche Mittel gesteigert. Die öffentliche Unterweisung der Politiker und die private Erziehung der Eltern trägt dazu bei, daß wir das Gefühl des Ehrenvollen und Pflichtmäßigen gewinnen, wenn wir unsere Handlungen in bezug auf das Eigentum anderer strenge Regeln.“

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Albrecht  10.08.2012, 08:41

Neben den Texten von Hume können Bücher über seine Philosophie weiterhelfen, iddem sie zum Verstehen der Aussagen beitragen, z. B.:

Frank Brosow, Hume. Stuttgart : Reclam, 2011 (Reclam-Taschenbuch : Grundwissen Philosophie ; Nr. 20334), S. 72 – 93

S. 80: „Das Prinzip der Sympathie sorgt dafür, dass wir auf Charaktereigenschaften, die ihrem Träger oder den Menschen in seinem Umfeld angenehm oder nützlich sind, mit dem moralischen Gefühl der Billigung reagieren. Ist eine Charakterisierung in diesem Sinne angenehm oder nützlich, bezeichnen wir sie als Tugend, ist sie unangenehm oder schädlich, bezeichnen wir sie als Laster.

Tugenden, die anderen angenehm oder nützlich sind, fasst Hume unter dem Begriff der sozialen Tugenden zusammen (vgl. EPM 1,11; […]) Da sie das für alle Menschen nützliche Zusammenleben in der Gesellschaft ermöglichen, stellen sie für Hume die wichtigsten aller Tugenden dar. Wir verstehen jedoch auch solche Charaktereigenschaften als Tugenden, die wie Weisheit oder Gelassenheit in erster Linie ihrem Träger selbst zugutekommen. Für einen Menschen mit gesunden moralischen Gefühlen steht moralisches Handeln nach Hume nicht im Gegensatz zur Selbstliebe.

Im Traktat unterscheidet Hume zusätzlich zwischen natürlichen und künstlichen Tugenden (natural and artificial virtues). (vgl. T 3.1.2.7-11; […] Unter «natürlichen Tugenden» versteht Hume dabei diejenigen, die unabhängig vom Bestehen einer Gesellschaft und in jedem Einzelfall nützliche Folgen nach sich ziehten. (Vgl. 3.3.1.12; […]. Ein wohlowllender Mensch wird in der Regel jedes Mal, wenn er sich wohlwollend verhält, irgendjemandem nutzen.“

S. 82 - 83: „Mit der Gerechtigkeit oder dem Rechtssinn (justice) haben wir im gerade geannten beispiel bereits die wichtigste künstliche Tugend angesprochen. Anders als im Fall der natürlichen Tugenden ergibt sich der Nutzen der künstlichen Tugenden in der Regel erst daraus, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft sich an bestimmte, von Menschen eingerichtete und in diesem Sinne künstliche Konventionen (conventions) halten.“

S. 83: „Künstliche Tugenden bestehen für Hume also darin, sich an die Konventionen und Gesetze einer Gesellschaft zu halten. […] Nach Hume enstehen sie aus der Einsicht der Menschen in die Vorteile gegenseitiger Kooperation. (Vg. T 3.3.3.10; […].“

Heiner F. Klemme, David Hume zur Einführung. Hamburg : Junius, 2007 (Zur Einführung ; 337), S. 120 – 154

S. 143: „Nach Hume verdient das tätige Wohlwollen einer Person zwar Lob und Anerkennung, ist aber weniger bedeutend als die künstliche Tugend der Gerechtigkeit. Wir loben diese Tugend, obwohl einzelne Akte der gerechtigkiet auch schädlich sein könnne. Denn ohne die Institution der Gerechtigkeit kann keine Geselllschaft bestehen. Hume konzipiert die Tugend der gerechtigkiet zum einen als eine Theorie des Erwerbs, der verteilung und des Besitzes von Eigentum und zum anderen als Ergänzung zur natürlichen Tugend des Wohlwollens.“

S. 144: „Sodann setzt Gerechtigkeit eine (relativ stark ausgepägte) natürliche Gleichheit der Menschen an Körper und Geist voraus. Gäbe es in dieser Hinsicht exterme Differenzen zwischen uns, könnte die Gerechtigkeit ihre Funktion, der Gesellschaft zu nutzen, nicht erfüllen. Die Gerechtigkeit betrifft somit nicht unser Verhältnis zu Tieren. Wir unterscheiden uns zu sehr von ihnen, als dass wir ihnen gegenüber in irgeneiner Hinsicht verpflichtet sein können.“

Jens Kulenkampff, David Hume. Originalausgabe, 2., neubearbeitet Auflage. München : Beck, 2003 (Beck'sche Reihe : Denker ; 517), S. 99 – 147

S. 115: „Wenn Hume nun den Wert der Tugend der Gerechtigkeit (ebenso wie den der anderen sozialen Tugenden) in den Nutzen setzt, den sie stiftet, so liegt darin zugleich die Behauptung, daß sie nichts ist, was seinen Wert in sich selbst hat.“

Hume vertritt damit eine Auffassung, die man heute als Konsequentialismus bezeichnet: daß sich nämlich der Wert moralischer Qualitäten, Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen aus ihren Folgen bestimmt.“

S. 116: „Nun bestreitet Hume nicht, daß es ein Handeln gibt, das aus keinem anderem geschieht als dem, daß es das rechte ist. Er räumt ein, daß es Pflichtgefühl, Rechtssinn und das Gefühl der unverbrüchlichen Gebundenheit an das eigene Wort gibt […]. Aber es bestreitet, daß Pflichtgefühl und Rechtssinn die Quellen der Gerechtigkeit sind und erklären können, worin der Wert der Tugend der Gerechtigkeit besteht. Sie sind vielmehr psychische Strukturen, die durch Erziehung erzeugt werden und ohne großes Nachdenken ein moralisch richtiges Verhalten produzieren.“

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Albrecht  10.08.2012, 08:42

Rudolf Lüthe, David Hume. In: Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, Band 1: Grossbritannien und Nordamerika, Niederlande (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts – Band 5/1). Herausgeben von Helmut Holzhey und Vilem Mudroch unter Mitarbeit von Daniel Brühlmeier, Francis Cheneval und Simone Zurbuchen . Basel : Schwabe, 2004, S. 476 – 479 und S. 491 – 495

S. 476: „Im zentralen zweiten Teil wird die Gerechtigkeit (justice) erörtert. Sie ist für Hume keine «natürliche», sondern eine «künstliche» Tugend, weil sie sich nicht aus schon aus dem naturgegebenen menschlichen Affekten selbst, sondern erst aus dem im Rahmen der Ziviliserung der Menschen entstehenden Interesse an staatlich garantierter Sicherheit und Ordnung ergibt. Als seine wichtigste realisierunfsform behandelt er das Eigentum (nebst seinen verschiedenen Ursprüngen) sowie die Verbindlichkeit von Versprechen. Die spezifisch politischen Teile dieser Theorie betrfefen den Ursprung der regierung – Hume lehnt die zu seiner Zeit weitgehend akzeptierte Vertragstheorie wegen ihrer Zirkularität ab – und das Problem der Loyalität gegenüber einer regierung. Ein weiteres Thema ist das Problem der Gerechtigkeit zwischen Staaten (Völkerrecht).“

„Natürliche Tugenden (wie Dankbarkeit) entwicklen sich aus affektiven Orientierungen, die in der menschlichen Natur selbst angelegt sind. Künstliche Tugenden (wie gerechtigkeit, Verlässlichkiet und – politische – Loyalität) dagegen werden über die Erfahrung der Nützlichkeit zur Erhaltung von Sicherheit und Ordnung eigens erlernt.“

S. 491: „«Sympathie» bedeutet eine affektive Bezogenheit der Menschen aufeinaner, eine Art von einvernehmlichem Einverständnis zwischen ihnen, wie es der Ausdruck «fellow-feeling» verdeutlicht. Darunter ist mehr als eine ursprüngliche Befähigung zum zwischenmenschlichem Verständnis zu sehen, vielmehr ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen, eine ursprüngliche Sozialität, die wider alle egoistischen Tendenzen ein Urteilen und Handeln auf der Grundlage gemeinsamer Zwecke und fundamentaler Interessen ermöglicht. Auf dieser Gemeinsamkeit beruht die Stabilität moralischer Beurteilung. Der wichtigste Ausdruck ihrer Sozialität ist das die Menschen verbindende Interesse, den Staat zu erhalten. Daher gestaltet Hume Ethik im Wesentlichen als Lehre von den staatserhaltenden Tugenden. Diese Ausrichtung beruht auf der Annahme, dass bei allen Menschen gleichermassen angenehme Affekte durch Handlungen sowie Personen ausgelöst werden, die einen Beitrag zur Staatserhaltung leisten. Aus diesem Grund steht der Gerechtigkeitssinn (justice) im Mittelpunkt der Hume’schen Ethik. Er wird in einem engen Zusammenhang mit dem Problem des Privateigentums erörtert. Daher kommt aich der verpflichtende Charakter von Versprechen (promise) zur Sprache (T. III, II, V).“

S. 492: „Als künstliche sieht Hume alle Tugenden an, die einen Nutzen für die Erhaltung solcher Institutionen verbürgen und aus diesem Grund nicht den individuellen Menschen, sondern den Staatsbürger ansprechen (staatserhaltende Tugenden). Die natürlichen Tugenden, die die man auch private Tugenden nennen könnte, charakterisieren den Menschen losgelöst von seiner Funktion als Staatsbürger. Diese Unterscheidung fehlt in Humes zweitem Ethikentwurf, der ‹enquiry concerning the principles of morals›, da der Terminus «artificial virtue» den zeitgenösssischen Lesern oft Anlass zu Missverständnissen gab, weil sie die künstlichen Tugenden als weniger notwendig oder gar gekünstelt betrachteten. Durch ihre detailliertere Betrachtung im ‹Treatise› und ihre funktionsbetsimmung verdeutliht Hume demgegenüber, dass er Gerechtigkeitssinn (justice) und Verlässlichkeit (fidelity) höher einschätzt als z. B. Bescheidenheit (modesty).“

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David Hume ist Empirist, jemand, für den die Inputs des Wissens aus der Erfahrung stammen, der die Welt aus sich heraus erklären will. So sieht er Menschen als gesellschaftliche Wesen, die sich in Gesellschaften als Überlebensprinzip entwickelt haben. Gerechtigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Regelung des inneren Klimas der Sippe, des Stammes. Im Überlebenskampf mit äußeren Feinden müssen sich gesellschaftlich organisierte Menschen darauf konzentrieren und nicht durch Reibereien im Innern schwächen. Wenn Hume davon spricht, dass Gerechtigkeit sich als Innenregulator in Gesellschaften verankert, weil sie diesen zum Überleben nützlich ist, dann bedeutet dies, dass sich diese Nützlichkeit im evolutionären Überlebensprozess durchsetzt und nicht als Kopfgeburt. In dem Maße, wie sich Gesellschaften in ihren Innen- und Außenverhältnissen ändern, ändern sich auch konkrete Vorstellungen von Gerechtigkeit. So kann es in frühen Jagdgesellschaften als gerecht empfunden werden, wenn der beste Jäger als erster das meiste bekommt, weil von seiner Stärke das Wohl des ganzen Stammes abhängt.

Natürliche Tugenden sind Einstellungen, die sich aus dem Leben heraus ergeben wie Gerechtigkeit, Tapferkeit, Standhaftigkeit. Gesellschaften, die diese Tugenden pflegen, haben mehr Chancen des Überlebens. Künstliche Tugenden ergeben sich nicht aus dem Leben heraus sondern auf Grund von theoretischen Vorstellungen wie das Zölibat oder Rosenkranzbeten.

Albrecht  10.08.2012, 08:56

Gerechtigkeit ist in diesem Zusammenhang kein Beispiel für eine natürliche Tugend. Wo David Hume zwischen natürlichen und künstlichen Tugenden unterscheidet, ist Gerechtgkeit ein besonders bedeutendes Beispiel für eine künstliche Tugend.

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berkersheim  10.08.2012, 14:32
@Albrecht

Karl Vorländer, Geschichte der Philosophie, Hume §21B, 1: "Mit der Lehre von der Gerechtigkeit, die übrigens keine schlechtweg natürliche, sondern eher eine »künstliche« Tugend zu nennen ist, da sie mit der Menschenliebe keineswegs zusammenfällt, hängt Humes staatsrechtliche und politische Theorie zusammen. Der Ursprung der Gerechtigkeit liegt in den Interessen der Gesellschaft begründet. Nicht zwar durch einen förmlichen ursprünglichen Vertrag, wie Hobbes und Locke meinen, wohl aber durch stillschweigende Übereinkunft (Konvention) ist das Recht entstanden, welches den Zweck hat, die Güter, ohne welche die Gesellschaft nicht bestehen könnte, nämlich das Eigentum, den bestehenden Besitz und die Aufrechthaltung des gegebenen Versprechens, zu schützen." Die Frage ist, ob Gerechtigkeit als Ergebnis eines Konsensdiskurses zustande kommt oder als evolutionäre Herausbildung wie Kinderliebe, als im evolutionären Prozess durchgesetztes Überlebensverhalten. Das schließt ein, dass selbst ein Konsens durch evolutionären Druck gebrochen werden kann. Die Frage ist, ob Gesellschaft etwas künstliches oder ein Überlebensprinzip des Menschen ist, zu dem er keine Wahl hat. Meines Wissens hat das sogar Aristoteles so gesehen, der Sprache als ein Produkt der "gesellschaftlichen NATUR" des Menschen angesehen hat. Zur weiteren Diskussion. Ich werde mir den Hume nochmal genau durchlesen.

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