Wie erklärt der Darwinismus das Phänomen des irreduziblen Komplexes...?

6 Antworten

Von Experte Andrastor bestätigt
bei denen alle Teile gleichzeitig vorhanden sein müssen, damit das System funktioniert, und einfache schrittweise Evolution nicht ausreicht?

Ganz einfach: durch einfache, schrittweise Evolution. Die reicht nämlich sehr wohl aus. Der auch Uhrmacher-Argument genannte Einwand ist ein beliebter Taschenspielertrick der Kreationisten, der aber längst widerlegt ist. Als Lieblingsbeispiel der Kreationisten wird oft das Linsenauge genannt. Eine schrittweise Evolution wäre angesichts des komplexen Aufbaus unmöglich. Tatsächlich aber ist das sehr wohl der Fall und dass es so war, lässt sich durch morphologische Stufenreihen zweifelsfrei belegen. Bei den Weichtieren finden wir die unterschiedlichsten Organisationsstufen von Augen, von "primitiven" Augengruben über Becheraugen bis hin zum "hochkomplexen" Linsenauge. Wir können hier die schrittweise Evolution des komplexen Linsenauges über verschiedene Zwischenstufen buchstäblich sehen:

Bild zum Beitrag

Abb: verschieden komplexe Augenformen bei Weichtieren. © Wikimedia Commons, Public domain.

Jede einzelne dieser Zwischenstufen für sich funktioniert. Dass von Anfang an jedes Teil an seinem Platz sein muss, ist somit eindeutig widerlegt.

Hinzu kommt, dass evolutionär entstandene Merkmale auch einen Funktionswandel erfahren können. Unsere Lunge ist eigentlich ein Stück Darm, das unseren noch im Wasser lebenden Vorfahren ermöglichte, bei Sauerstoffknappheit oder wenn das Gewässer austrocknete, zusätzlich atmosphärischen Sauerstoff aufnehmen zu können. Das machen Fische selbst heute noch. Wenn in einem Karpfenteich im Sommer das Wasser wenig Sauerstoff enthält, kann man die Fische nach Luft schnappen sehen. Über den Darm nehmen sie den Sauerstoff auf. Bei den Landwirbeltieren erfuhr die Lunge dann einen Funktionswechsel, indem sie den Landgang ermöglichte. Dort entwickelten sich aus "primitiveren" Lungen immer "komplexere". Die "fortschrittlichsten" finden wir bei Säugern und Vögeln. Bei den meisten "Fischen" erfuhr die Lunge eine ganz andere Form der Umwandlung, sie wurde zur Schwimmblase, die den Auftrieb reguliert.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig
 - (Psychologie, Mathematik, Menschen)
bei denen alle Teile gleichzeitig vorhanden sein müssen, damit das System funktioniert, und einfache schrittweise Evolution nicht ausreicht?

Der große Denkfehler hierbei ist, dass man davon ausgeht, dass bei der Evolution ausschließlich Teile hinzugefügt werden. Teile können aber auch wegfallen, ihre Funktion wechseln (Exaptation), neue Funktionen erlangen, neutral sein und vieles mehr. Solche Mechanismen sind in der Evolution alltäglich. Es ist also nicht überraschend, dass biologische Systeme sich mit der Zeit derart verflechten, dass eine Reduzierung nicht mehr möglich ist.

Letztendlich ist es eine zu erwartende Folge der Evolution. Und das ist keine Vermutung meinerseits; in Experimenten kann man tatsächlich beobachten, wie irreduzible Komplexitäten entstehen, wie Vpu bei HIV oder Cit+ bei E. Coli. Die Tatsache, dass das Entfernen eines Teils ein System zerstört, ist völlig irrelevant dafür, ob es sich weiterentwickelt hat oder nicht.

Wie erklärt der Darwinismus

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wird die Theorie von Darwin (Darwinismus) nicht mehr vertreten. Der Darwinismus ist unvollständig und ein paar Dinge stellten sich sogar als nicht ganz korrekt heraus. Darwins Beitrag ist ein kleiner, wenn auch sehr wichtiger Teil der modernen Synthese in der Evolutionsbiologie. Heute sprechen wir von der (Integrated) Evolutionary Synthesis.

Der Begriff Darwinismus wird nur noch von Kreationisten oder Historikern verwendet.

Die heutige Synthetische Evolutionstheorie ist die Weiterentwicklung der klassischen Evolutionstheorien von Charles Darwin und Alfred Russel Wallace.

Gibt kein »ist zu komplex, um ohne Designer entstanden zu sein«:

Bislang konnte keine nichtreduzierbar komplexe Struktur nachgewiesen werden, deren Entstehung durch natürliche Mechanismen nachweislich ausgeschlossen werden.

https://de.wikipedia.org/wiki/Nichtreduzierbare_Komplexit%C3%A4t

Von Scherer ist das Buch "Evolution - ein kritisches Lehrbuch". In diesem vertreten Junker und Scherer die These des "Intelligent Design": die Lebewesen sind so komplex aufgebaut, dass sie nur ein intelligenter Designer entwerfen konnte.

Und sie werden immer vorsichtiger in ihren Formulierungen:

In der aktuellen siebten Auflage muss dagegen eingeräumt werden, dass die Datenlage „eine schrittweise Entwicklung zu Endosymbionten zunehmend plausibel“ mache (Seite 199). Von „Design-Signalen“ und „nicht reduzierbarer Komplexität“ ist hier nicht mehr die Rede.
Auch das Kapitel über die Entstehung bakterieller Flagellen haben die Autoren grundlegend revidiert. Während in der 6. Auflage die Flagellenevolution noch transastronomisch unwahrscheinlich gerechnet wird, finden sich in der aktuellen Auflage keine derartigen Berechnungen mehr.
Statt der ehemals postulierten 160 sollen jeweils nur noch etwa 10 Mutationen zwischen zwei positiv selektierbaren „Basisfunktionszuständen“ liegen. Offenbar stirbt das Argument der nicht reduzierbaren Komplexität einen Tod auf Raten

https://laborjournal.de/rubric/buch/2014/b_03_01.php

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Kreationisten hüpfen von einem »das könnt ihr nicht erklären« zum nächsten:

Die Komplexität des Wirbeltierauges gab in der Vergangenheit wiederholt Anlass zu Kritik an der Evolutionstheorie. Die Unklarheiten in dieser Frage können heute als historisch und überwunden gelten. Die Evolutionsschritte von einfachen Augenflecken und Lochaugen bis zum hochentwickelten Wirbeltierauge sind heute als Progressionsreihe darstellbar.

https://de.wikipedia.org/wiki/Augenevolution

bei denen alle Teile gleichzeitig vorhanden sein müssen, damit das System funktioniert, und einfache schrittweise Evolution nicht ausreicht

Evolution bildet nicht einzelne Teile eines Systems schrittweise nacheinander, sondern unterschiedliche Formen des Gesamtsystems in schrittweiser Komplexität, von primitiv bis komplex. So entwickelten sich nicht Teile des Auges nacheinander, sondern Gesamtaugen von einfachen lichtempfindlichen Zellen bis zu dem optimierten Apparat der das Auge heute noch ist, von Hell-Dunkel-Wahrnehmung bis zu scharfen Bildern. Die Komplexitätsstufen gibt es bei verschiedenen Tieren noch heute.

Derpsycholog3 
Fragesteller
 08.01.2024, 06:05

Wie erklärt die Evolutionstheorie den Übergang von einfacheren zu komplexeren Augenstrukturen im Detail, insbesondere angesichts der Tatsache, dass jede Stufe der Augenentwicklung funktional sein muss, um einen evolutionären Vorteil zu bieten?

Wie wurde sichergestellt, dass jede evolutionäre Veränderung, auch wenn sie klein und schrittweise war, das Gesamtsystem des Auges in einer Art und Weise verbesserte, die das Überleben und die Fortpflanzung der Spezies förderte?

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hologence  08.01.2024, 07:05
@Derpsycholog3
Übergang von einfacheren zu komplexeren Augenstrukturen

bessere Konstrukte setzen sich durch, wenn sie einen Vorteil zum Überleben bedeuten. Wenn sich über den lichtempfindlichen Oberflächenzellen zufällig mal ein paar transparente Zellen bilden, ist wegen der Fokussierung die Lichtwahrnehmung stärker (kann man bei Wassertropfen beobachten), und schon setzt sich der erste Schritt zu einem Augen-Glaskörper durch. Und so geht es weiter - jetzt können vielleicht ein paar Exemplare der Spezies die lichtempfindliche Hautoberfläche durch Kontraktion in zwei Richtungen neigen (es soll Menschen geben, die mit den Ohren wackeln können), schon haben sie einen Vorteil, weil sie die Fokussierungsrichtung schneller drehen können als andere, und irgendwann können alle einen Glaskörper hin- und herrollen. etc. etc. etc.

Das Problem von Kreationisten ist immer, dass sie die menschliche Art des Konstruierens für einen überlegenen Weg halten (obwohl menschliche Konstrukte Fehlfunktionen haben und kurz nach dem Bau wieder zerfallen) und denken, so müsste auch die Natur oder eine höhere Macht agieren. Hochmut und Anmaßung ersetzt Flexibilität.

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Derpsycholog3 
Fragesteller
 08.01.2024, 07:09
@hologence

Evolution durch natürliche Selektion ist nicht einfach ein linearer Prozess, bei dem sich "bessere Konstrukte" automatisch durchsetzen 😉

Jede evolutionäre Veränderung muss innerhalb des Gesamtkontextes des Organismus und seiner Umwelt betrachtet werden.

Erstens sind nicht alle evolutionären Veränderungen vorteilhaft oder führen zu einer Verbesserung. Viele Mutationen sind neutral oder sogar nachteilig. Der Prozess der natürlichen Selektion ist oft ein Prozess des "guten Genug" und nicht unbedingt der Optimierung.

Zweitens ist der Prozess der Evolution nicht zielgerichtet. Evolutionäre Veränderungen sind das Ergebnis zufälliger Mutationen, die entweder durch natürliche Selektion gefördert oder verworfen werden, abhängig davon, wie gut sie den Organismen helfen, in ihrer spezifischen Umgebung zu überleben und sich fortzupflanzen.

Deine Unterstellung, dass Kreationisten menschliches Konstruieren als überlegenen Weg ansehen, vereinfacht und verallgemeinert die Ansichten einer diversen Gruppe. Während einige Kreationisten vielleicht annehmen, dass eine höhere Macht in einem menschenähnlichen Konstruktionsstil wirkt, erkennen viele andere die Komplexität und Vielfalt natürlicher Prozesse an😉

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hologence  08.01.2024, 07:23
@Derpsycholog3
... nicht zielgerichtet. ... das Ergebnis zufälliger Mutationen

Zufall wird überbewertet und falsch verstanden. Zufall bedeutet nicht, dass alles möglich ist - schließlich gelten immer physikalische Gesetze und Randbedingungen.

Beispiel: die Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Zahl beim Würfeln ist 1/6. Wer jetzt 6 Würfel wirft und erwartet, dass jede Zahl genau einmal vorkommt, wird enttäuscht, denn die Würfel verabreden sich nicht, wer die 1, wer die 2 usw zeigt. Wer aber 6000 Würfel wirft, wird sehen dass ungefähr 1000 die 1 zeigen. Je mehr Würfel es werden, desto schärfer kommt die Randbedingung zum Vorschein, die durch die Form des Würfels gegeben ist.

Zufall bestimmt also nicht das Ergebnis, er sorgt nur dafür, dass es überhaupt ein Ergebnis gibt.

Das Ziel biologischer Systeme ist immer eine funktionierende ökologische Umgebung aus verschiedenen Spezies. Und Evolution ist ein robustes Optimierungsverfahren, das auf dieses Ziel hinführt. Es gibt auch Softwareverfahren, die die drei Säulen der Evolution (Selektion, Mutation, Crossover) erfolgreich zur Optimierung benutzen.

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Die erklären das gar nicht, weil dieses "Phänomen" von Kreationisten lediglich postuliert, aber nie belegt wird.
Nachdem früher der Vogelflug das Paradebeispiel war, wurde es nach der Entdeckung gefiederter (Nichtvogel-)Dinosaurier durch die Bakteriengeißel ersetzt.

Kreationisten sind in der Beweispflicht. Wenn du dich hinstellst und eine lückenlose Entwicklungsgeschichte des Wirbeltierauges einforderst, während du nur ein "kann nicht sein" raushaust und die Erklärungen mutmaßlich gar nicht verstehst oder zumindest nicht darauf eingehst, ist das unredlich von dir und zermürbend für dein Gegenüber.

Mayahuel  08.01.2024, 12:37
 Vogelflug das Paradebeispiel war,

und das Auge.

Die Komplexität des Wirbeltierauges gab in der Vergangenheit wiederholt Anlass zu Kritik an der Evolutionstheorie. Die Unklarheiten in dieser Frage können heute als historisch und überwunden gelten. Die Evolutionsschritte von einfachen Augenflecken und Lochaugen bis zum hochentwickelten Wirbeltierauge sind heute als Progressionsreihe darstellbar.

https://de.wikipedia.org/wiki/Augenevolution

Kreationisten hüpfen von einem "das könnt ihr nicht erklären" zum nächsten.

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ThomasJNewton  08.01.2024, 14:41
@Mayahuel

Das Auge ist ein alter Hut und zugleich ein Dauerbrenner. Las letztens "Begründungen", warum diverse "Konstruktionsfehler" doch sooo sinnvoll seien, die inverse Lage der Retina z.B.

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