Mikro- und Makroevolution - gibt es diese Trennung wirklich und wo genau verläuft sie?

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Auf der Ebene der Elementarteilchen, der Moleküle und der makroskopischen Körper wirken die gleichen Kräfte, sie fallen aber unterschiedlich ins Gewicht. Atome verbinden sich nicht wegen ihrer Gravitation, das Sonnensystem wird hingegen von der Gravitation beherrscht. Trotzdem würde niemand leugnen, dass Planeten nicht auch aus Atomen aufgebaut wären.

Das lässt sich auf die Biologie übertragen. Bei der Betrachtung eines Gens muss man andere Maßstäbe ansetzen als bei einem Organismus, einer Art oder einem höheren Taxon. Da es z.B. sehr umständlich wäre, die Entstehung von neuen Familien oder Ordnungen von der Ebene der Moleküle zu erklären, wird hier oft zwischen Mirko- und Makroevolution differenziert. Unter Mikroevolution fallen dann alle evolutiven Vorgänge innerhalb einer Art, unter Makroevolution fallen hingegen langfristige Trends oder andere Phänomene oberhalb der Artebene.

Allerdings ist außer der Zeit kein Faktor bekannt, der der Mikroevolution Grenzen aufzeigen und verhindern würde, dass sie in Makroevolution übergeht. Genauso wie man einen Menschen in Atome zerlegen könnte, könnte man auch Makroevolution in mikroevolutionäre Vorgänge zerlegen. Ökosysteme sind aber ebenso wie einzelne Organismen emergente Systeme, dass heißt, nicht alle ihre Eigenschaften lassen sich durch die Betrachtung ihrer Einzelteile verstehen. Das Begriffspaar Mikroevolution/Makroevolution ist also keine Erfindung der Kreationisten, sondern wird auch in der Biologie angewendet.

Kreationisten verdrehen aber in der Regel die Bedeutung dieser Worte. Mikroevolution wird hier zu jeder Form von Evolution, die man nicht einfach so abstreiten kann (z.B. Zucht, Gendrift, einige Artbildungen), Makroevolution wird zu jeder Form von Evolution, die nicht unmittelbar beobachtbar ist. Das hat dazu geführt, dass viele Kreationisten nicht mehr der biologischen Definition einer Art als Fortpflanzungsgemeinschaft folgen, sondern der sog. "Grundtypenlehre" folgen.

Demnach wäre z.B. die Hybridisierung von Löwe und Tiger und damit der Nachweis einer kurz zurückliegenden Speziation "nur" der Nachweis von Mikroevolution innerhalb des Grundtyps der Katzenfamilie. Dieses Konzept wird schon dadurch ad absurdum geführt, dass sich durch abgestufte Ähnlichkeiten auf eine nahe Verwandtschaft von Katzen mit Hyänen und Schleichkatzen schließen lässt, und eine etwas weitere Verwandtschaft mit Hunden, Robben, Bären etc. 

Würde ein Anhänger der Grundtypenlehre also der Beweislast folgen, müsste er die Grenze zwischen Mikroevolution innerhalb eines Grundtyps und Makroevolution außerhalb immer weiter nach hinten verschieben, sodass er den Grundtyp zunächst als den der Katzenartigen, dann den der Raubtiere, dann den der Säugetiere usw. definiert, bis er alle Lebewesen auf dem Planeten als einen einzigen riesigen Grundtyp versteht, in dem "nur" Mikroevolution von der Mikrobe zum Menschen möglich ist, Makroevolution aber weiter ausgeschlossen bleibt.

Lazybear  07.02.2017, 10:59

Sehr gute Antwort! lg

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danhof  07.02.2017, 12:16

die Hybridisierung von Löwe und Tiger

Das wäre dann aber ein intelligent design, da Löwe und Tiger sich nicht auf natürlichem Wege zu einem Hybriden entwickeln könnten, oder?

Das heißt, diese "Zucht" wäre nur durch den Einfluss des Menschen möglich.

Viel interessanter ist für viele glaub ich die Entstehung der Art Löwe aus [nächst niedere Art]. Wie kann sich das Genom auf einmal vergrößern, verlängern, komplexer werden?

Die Menschen haben sich unterschiedlich entwickelt. Schwarz, weiß, asiatisch. Aber es ist und bleibt dieselbe Art, sexuell kompatibel.

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DiegoderAeltere  07.02.2017, 14:49
@danhof

Das wäre dann aber ein intelligent design, da Löwe und Tiger sich nicht auf natürlichem Wege zu einem Hybriden entwickeln könnten, oder?

Das heißt, diese "Zucht" wäre nur durch den Einfluss des Menschen möglich.

Löwe und Tiger leben auf unterschiedlichen Kontinenten und begegnen sich ohne Einfluss des Menschen daher nicht. Es geht ja auch nicht darum, dass die Hybride eine neue Art darstellen würden, sondern darum, dass die Möglichkeit einer Fortpflanzung, also eine unvollständige genetische Fortpflanzungsbarriere zwischen beiden Art, auf ein (erdgeschichtlich) kurz zurückliegendes Artbildungsereignis schließen lässt. Das ist nur ein Beispiel von mehreren, die zeigen, dass Arten keine statischen Einheiten sind.

Viel interessanter ist für viele glaub ich die Entstehung der Art Löwe aus [nächst niedere Art]. Wie kann sich das Genom auf einmal vergrößern, verlängern, komplexer werden?

Warum sollte das Genom eines Löwen größer oder komplexer sein als das seines Vorfahren? Die Evolution verläuft nicht gerichtet, darum gibt es auch keine "nächst niederen" Arten.

Davon abgesehen kannst du vielleicht hieraus eine Übersicht über die vielfältigen Weisen gewinnen, wie ein Genom sich wandeln kann:

https://de.wikipedia.org/wiki/Mutation

Die Menschen haben sich unterschiedlich entwickelt. Schwarz, weiß, asiatisch. Aber es ist und bleibt dieselbe Art, sexuell kompatibel.

Du verfällst hier wieder in die gleiche Argumentation, die ich in meinem ursprünglichen Beitrag kritisiert habe. Hast du den denn überhaupt gelesen?

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Hallo quest01,

Kreationisten gebrauchen das Begriffspaar Mikro/Makroevolution in einer Weise, in der es die Biologie nicht einsetzt.

Natürlich kann man prinzipiell unterscheiden zwischen sehr großen, über lange Zeiträume ablaufenden Veränderungen und kleineren Veränderungen innerhalb der Art. Nur das Problem bei einer solchen Unterscheidung ist genau das, worauf Deine Frage abzielt: Die Definition der Trennlinie.

Eine solche exakte Trennlinie gibt es nämlich in der Biologie nicht, genauso wenig, wie es eine wirklich scharfe und eindeutige "Artgrenze" gibt. So machen wir im fossilen Befund die Artzugehörigkeit notgedrungen allein an den äußeren Merkmalen, dem "Phänotyp" fest  - was aber z.B. dazu führen würde, dass wir Fossilien von Chihuahua und Schäferhund zwei Arten zuordnen würden. Da wir rezente Arten anders einteilen, gehören beide in dieselbe Art.

Auf der Suche nach einer eindeutigen Trennung von Mikro-/Makroevolution scheitert man genau an derselben Frage: Ab wann will man von Makroevolution sprechen?

Gerade aufgrund dieser Problematik ist das Begriffspaar innerhalb der Biologie ungebräuchlich, bzw. wird nur und ausschließlich in Zusammenhängen verwendet, in denen eine Zuordnung wirklich eindeutig und weitab jeder "Grauzone" ist.

Der Kreationismus mit seiner grundsätzlichen Leugnung des Evolutionsprozesses versucht sich jedoch hinter diesem Begriffspaar zu verstecken: Da man überall in der Natur um uns herum eindeutig evolutionäre Prozesse nachweisen kann, geht der Kreationismus den Weg, diese einfach "Mikroevolution" zu nennen, um zu behaupten, Makroevolution wäre nicht nachgewiesen.

Anders als das in einer wissenschaftlichen Disziplin der Fall wäre, wird die Grenze zwischen den Begriffen im Kreationismus nicht sauber definiert, sondern die Grenze, ab der man denn auch die Makroevolution anerkennen würde, wird immer wieder verschoben, so dass sie immer gerade außerhalb der mittlerweile nachgewiesenen Veränderungen liegt. Man nennt dieses Vorgehen "Verschieben des Torpfostens" (hier erklärt: https://www.ratioblog.de/entry/fehlschluss-6-verschieben-des-torpfostens).

Ein gutes Beispiel für dieses Verschiebe-Spielchen findet sich in diesem Artikel hier, der aus einem von mehreren Wissenschaftlern geschriebenen Buch stammt, in dem kreationistische EInwände gegen die Evolution wirklich sehr detailiert betrachtet und entkräftet werden:

http://www.evolution-im-fadenkreuz.info/KapXIII.pdf

In mehreren kreationistischen Schriften, wird Makroevolution mit der Entstehung etwas "qualitativ Neuem" in Verbindung gebracht.

Nun hat man tatsächlich die Entstehung von etwas Neuem schon in der Natur beobachtet  ich zitiere aus dem Buch:

Darüber hinaus konnten die Forscher auch ein gänzlich neues Merkmal im Verdauungstrakt identifizieren. Dabei handelt es sich um sog. Blinddarmklappen, die den Verdauungsvorgang verlangsamen und so den Aufschluss schwer verdaulicher pflanzlicher Nahrung ermöglichen. Diese Strukturen sind anscheinend innerhalb von 30 Generationen de novo entstanden. Nehmen wir nun an, diese Eidechsen würden in einem sehr feinkörnigen Tonstein oder Kalkstein fossilisieren. Dann könnten sie von einem Paläontologen eines fernen Tages gut erhalten gefunden werden. In diesem Fall würden möglicherweise auch Weichteilstrukturen und vielleicht Abdrücke der Darmklappen gefunden werden. Der Paläontologe erkennt in den erhaltenen Darmklappen zweifelsfrei eine qualitative Neuerung. Er sieht darin ein paläontologisches Beispiel für Makroevolution, ähnlich wie die Federn der Coelurosaurier – und dieser Prozess wurde im Rahmen evolutionärer Studien beobachtet!

Der Punkt ist nun, dass die Kreationisten - obwohl eindeutig eine Neuerung vorlag - diesen Fund ebenfalls als "Mikroevolution" einstufen, also von ihrer ursprünglichen Definition einfach abwichen.

Es ist also weder so, dass den Kreationisten die Problematik dieser Begriffe nicht schon mehrfach erläutert wurde, noch ist es so, dass nicht in der Natur Entwicklungen über bisherige von Kreationisten gezogene (künstliche) Trennlinien hinweg beobachtet worden wären - da für den Kreationisten das Ergebnis von vorneherein feststeht, wird den Befunden - egal, was man vorlegt - einfach die Anerkennung als Makroevolution versagt.

Grüße

quest01 
Fragesteller
 09.02.2017, 21:36

Vielen Dank für die Antwort. Ich habe lange überlegt welche Antwort ich als beste nehmen sollte aber leider kann ich nur eine auszeichnen

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uteausmuenchen  09.02.2017, 23:00
@quest01

Danke für den Gruß!

Die Antwort von Diego ist prima und verdient erste. =)

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Zwar gibt es durchaus eine Trennung einzelner Evolutionszweige, die jedoch haben einen ganz anderen Hintergrund, als die Kreationisten annehmen. Im Prinzip läuft es aber bei IDlern/Kreationisten sowieso darauf hinaus, dass in ihrem Weltbild Evolution einfach nicht sein darf und von daher wird mit jedem Fund, mit jeder neuen Erkenntnis die Messlatte einfach ein Stück verschoben, so dass man immer wieder aufs Neue behaupten kann, dass es das ja gar nicht gäbe. 

Du wirst auch keine vernünftige Antwort (der Kreationisten/IDler) erhalten, da eine Festlegung ein Grundstein für Falsifikation sein könnte, deshalb findest du in der kreationistischen Literatur ausser Kritik eigtl. wenig argumentativ nachvollziehbares... z.B. wird die Artdefinition bei jeder Argumentation immer so angepasst, wie sie gerade gebraucht wird, Makro- und Mikro? Mikro ist zur Not einfach immer das was erklärt wurde, alles was nicht 100%ig nachgewiesen wurde ist automatisch Makro... 

Dann gibt es ja noch die Anhänger der Grundtypen... wurde eingeführt, damit die Sintflutgeschichte nicht ganz so abstrus klingen soll und man etwas als "Erklärung" vorweisen kann... Zwar ist diese These nichtmal ausformuliert (was genau ist denn ein Grundtyp und wie sollen die ausgesehen haben und wie erklärt man sich die explosionsartige Entwicklung abertausender bis millionen Arten in kürzester Zeit -also wenn man an die Sintflut glaubt, muss das ja in ein paar tausend Jahren passiert sein-, genetische Grenzen etc.), wird aber dennoch immer wieder als "Erklärung" angebracht.

Um es kurz zu machen: Diese vermeintliche harte Grenze ist -wie du schon richtigerweise vermutet hast- ein Totschlagargument, nicht mehr. 

https://youtube.com/watch?v=vIl7hrk7Q_o

Aus dem Kreationismus ist mittlerweile das Intelligent Design geworden. Die Leute und der Inhalt sind immer noch derselbe, lediglich der Begriff ist neu und soll den Versuch unterstreichen, das ID wissenschaftlich zu begründen.

Das Problem dabei ist, dass die ID-ler sich gar nicht an wissenschaftliche Erkenntnisse halten und auch nicht wissenschaftlich arbeiten. Bei verblendeten Gläubigen kommen sie aber wohl mit ihrer Pseudowissenschaft ziemlich gut an. Der Trick ist immer derselbe: es wird ein wissenschaftlicher Begriff oder eine Theorie genommen und der oder die wird dann so umgebogen, dass es ein "wissenschftlichger Betrug" wird, da die neue Interpretation durch keinerlöei Beobachtungen oder Messungen bestätigt werden kann. Das wird dann erfolgreich als "wissenschftlich" verkauft.

Die Makroevolution ist das beste Beispiel für diese Methode.

Bei genauerer Betrachtung laufen die Argumente der Kreationisten und IDler immer aufs selbe hinaus: "Das kann ich mir nicht vorstellen, also kann es so auch nicht sein."

Evolution wird von einigen Menschen als monolithisches, unteilbares Gesamtpaket angesehen.

Evolution gilt ihnen mit allen Teilaspekten und Theorien und Hypothesen als vollständig bewiesen und fertig.

Für mich sind das zwei Paar Schuhe. Die Mendelschen Gesetze, Vererbung, Zucht etc. Das ist alles empirisch erforscht und bewiesen. Kein normaler Mensch würde das abstreiten oder ableugnen. Wir sehen es vor unseren Augen. Ob das Galapagos-Schildkröten, Stubenfliegen oder Hunderassen sind.

Sie alle passen sich ihrer Umgebung und den Umständen an. Sie alle lassen sich durch Zucht verändern. Selektion, Rekombination, Mutation.

Alles klar. Kein Problem damit.

Jetzt geht es aber weiter. Es wird behauptet, die Landtiere kamen ursprünglich aus dem Wasser. Dafür gibt es höchstens Indizien, aber keinerlei Beweise. Und schon gar nicht lässt sich das im Versuch nachstellen. Nicht von aller Intelligentia zusammen. Wie hätten diese Tiere atmen sollen? Wachsen die Lungen im vorauseilenden Gehorsam? Oder steigern die Tiere die Verweildauer an der Luft schrittweise, bis eine Lunge zur Verfügung steht?

Ebenso ist noch nie gezeigt worden, wie aus einer niederen Art eine höhere (=komplexere) Art wird. Es wird VERMUTET, aber empirisch erforscht ist da noch nix. Du kannst Stubenfliegen mit drei Augen züchten. Du kannst die Gensequenz für "Auge" von einer Maus einer Fliege einsetzen. Dann wächst ihr ein... FLIEGENauge!

Und von der Abiogenese mal ganz zu schweigen. Sie wird häufig in den Topf Evolution mit reingeworfen, obwohl sie damit nichts zu tun hat. Aber selbst wenn: Auch hier gibt es nur Spekulationen. Die Faktenlage reicht noch nicht mal für eine Theorie. Und wieder: Alle Professoren und Doktoren haben es noch nicht geschafft, auch nur eine einzige Zelle im Labor zusammenzuschustern. Aus unbelebter Materie belebte Materie zu machen.

Interessant, dass du für die Frage Tags wie "Glaube", "Bibel" und "Christentum" verwendest. Bissl provozieren will man ja dann doch gerne, oder? :-)

Mich soll niemand falsch verstehen und mir die Worte im Munde umdrehen: Ich denke selbst sehr wissenschaftlich, bin ein rationaler Mensch und verschließe natürlich auch nicht die Augen vor der Forschung. Ich lese auch im Spektrum von quantenverschränken, schwarzen Löchern und staune.

Aber meinem Glauben widerspricht das nicht. Und die Schöpfungsgeschichte ist kein bisschen unglaubwürdiger als das dünne Eis der Abiogenese und der (MAKRO-) Evolution.

"Zeit heilt alle Wunden", sagen manche. Für Evolutionsjünger ist DAS das Totschlagargument. Eine Sandburg mit zwei schönen Türmen? Ja sicher, durch Zufall ist die entstanden. Das Universum braucht nur genug Zeit :-)

Beides sind Weltbilder. Kann gern jeder meiner Meinung sein :-)

NadarrVebb  07.02.2017, 14:38

Es gibt Lungenfische, die Unterwasser ersticken, da sie nur Luft atmen können.

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