Hallo. Ich arbeite in einem Heim in Österreich für UMF (unbegleitete minderjährige Fremde). Ich kann dir aber trotzdem nicht alle Antworten liefern, da es nicht leicht ist. Trotzdem ein paar Gedanken, vielleicht helfen sie dir:
Erstens sagen wir meist alle Flüchtlinge. Es heißt aber Fremde, weil nicht jeder Fremde ein Flüchtling sein muss.
Zweitens ist die Frage zu klären, will er Asyl (Schutz) oder nicht? Asyl kann ich nicht 2 mal oder öfters beantragen. D.h. beantrage ich Asyl in Italien (weil ich aus Somalia über den Sudan, Libyen und Italien nach Österreich gekommen bin) und dann in Österreich noch einmal, so wird mein 2. Asylantrag in Österreich abgelehnt werden, ich werde in das Land, in dem ich erstmalig Asyl beantragt habe (Italien) abgeschoben. Irgendwie logisch, denn ich kann nicht Italien bitten mich zu beschützen, etwas später oder fast gleichzeitig Österreich und dann vielleicht noch Deutschland und Schweden. Ich habe keinen Anspruch, die ganze EU zu beschäftigen - ein Staat muss reichen. (Brauche ich als Österreicher in Österreich Hilfe, rufe ich ja auch nicht zuerst die Polizei in Graz, dann in Linz und St. Pölten, Wien und Innsbruck an).
Viele wissen das und wollen deshalb nicht sofort einen Asylantrag stellen, sobald sie in der EU angekommen sind. Die meisten, die das wissen, wollen erst in Deutschland um Asyl ansuchen und nicht schon am Rand von Europa in Griechenland, Mazedonien, Ungarn oder Italien. Allerdings kann man auch das umgehen: Z.B. komme ich als ALI Mohamed nach Italien, irgendwer überredet mich einen Asylantrag zu stellen. Später komme ich darauf, dass das nicht klug war (ich will ja nach Deutschland). Also gehe ich (illegal) als ALI Mohamed nach Deutschland. Dort greifen sie mich auf und schicken mich nach Italien zurück. Ich lerne dazu, werfe alle Unterlagen weg und gehe als MOHAMMAD Ali nach Deutschland (bin ein unbeschriebenes Blatt) und stelle dort meinen 2. (aber aus deutscher Sicht 1. Asylantrag).
Drittens ist es nicht leicht auseinander zu halten wer wann welchen Status bekommt: Zuerst Fremder, dann Asylwerber, dann Asylberechtigter (Asyl auf Zeit oder auf Dauer) oder aber "nur subsidiärer Schutz" - wer hat Bleiberecht, wer wird abgeschoben, wer fällt in die Grundversorgung, wer wieder heraus ... Dafür musst du dich an das Flüchtlingsreferat deiner Landesregierung wenden.
Viertens ist nicht jeder der, wofür er sich ausgibt. Du weißt nicht ob dein Freund aus Somalia kommt, nur weil er etwas über Somalia und die Al Shabaab Milizen erzählt. Er könnte auch aus Kenia, Äthiopien oder dem Sudan kommen. Kontrolliert wird das im Interview, in dem der Sache intensiv auf den Grund gegangen wird. Stell dir das so vor: in Deutschland würde Krieg herrschen und alle Deutschen würden deshalb in den USA Asyl bekommen. Viele arbeitsscheue Österreicher, Südtiroler, Liechtensteiner, Luxemburger, Holländer und Schweizer würden jetzt auf die Idee kommen sich als Deutsche auszugeben und in den USA ein neues Leben anzufangen. Bei der ersten Behörde am Airport oder im Hafen gehe ich Österreicher (Schweizer, ...) ziemlich sicher als Deutscher durch, aber dem Dolmetscher beim Interview fällt sofort auf, dass ich Wiener (oder Züricher, ...) bin und sicher nicht Hamburger oder Berliner. Und das wäre ja auch nur fair gegenüber allen kriegsgebeutelten Deutschen.
Fünftens ist eine Flucht nicht einfach. Entweder kostet sie viel Geld (Schlepper) und damit stellt sich die Frage wie kommt er zu so viel Geld (Devisen?!) oder aber er ist nicht allein. D.h. sehr bald hast du es auch mit seinen Freunden oder seiner Familie zu tun. Weiters sind die Gründe, dass er nicht nur sein Land, sondern sogar seinen Kontinent verlassen musste, meist derart gravierend, dass du es mit einem sehr traumatisierten (oder, wenn du Pech hast, mit einem sehr ausgefuchsten, kriminellen) Menschen zu tun hast. Da er jedenfalls in einer, aus seiner Sicht, wirklichen Notlage ist, wird er auch kein Problem haben, dich anzulügen oder zu übervorteilen (der Zweck heiligt die Mittel, warum soll er dir vertrauen?). Glaube mir, das alles wird dich schnell überfordern!
Was ich sagen will, die Flüchtlingskrise ist nicht deshalb eine Krise, weil es viele Flüchtlinge sind, sondern weil es extrem kompliziert ist als helfender Mensch oder helfender Staat oder helfende EU fair zu bleiben. Auch fair denen gegenüber, die, verfolgt und traumatisiert, sofort und soviel Schutz als möglich brauchen würden und ihn nicht in diesem Ausmaß bekommen - weil sich wie immer gewitzte Schlitzohren vordrängen und wir oft denen mehr Gehör schenken als den leisen Traumatisierten. Je größer eine Hilfsorganisation ist, je mehr Mitarbeiter sie hat (viele Augen sehen mehr als 2), desto fairer für alle wird das ablaufen. Mach das Helfen nicht zu deinem persönlichen Projekt, wenn du einen Schwerverletzten auf der Straße findest, fängst du ja auch nicht an ihn zu operieren, sondern du rufst hoffentlich die Rettung.
Aber ich freue mich, dass es Leute wie dich gibt!!