liebe Wildcat, deine Frage klingt ganz, ganz bitter. Bist du schon so sehr enttäuscht worden, so schlimm?
Ich würde es eher "Risiko" nennen. Wenn ich mich öffne und jemanden nah an mich heranlasse, näher als meine Schutzmauern das sonst erlauben, dann mache ich mich auch verwundbar. Es kann passieren, dass ich verletzt werde.
Sex kann in sicherer Entfernung von diesen Schutzmauern sein, ohne gefühlsmäßige Tiefe und rein körperlich. Sex kann aber auch gerade ein Ausdruck dieser tiefen Nähe sein, da bleibt das Herz nicht außen vor und die Verletzlichkeit ist groß. Eben weil das beides möglich ist, würde ich nie so allgemein sagen, dass Beziehungen nichts anderes als eine Art Täuschung, Illusion, Show auf sexueller Basis sind.
Sich täuschen, enttäuscht zu werden, aus der Illusion in die Verzweiflung zu stürzen ... das hat auch was mit den Erwartungen und Vorstellungen zu tun, die ich aufgebaut hatte oder an die ich mich geklammert hatte.
Liebe ist zuerst die Anziehungskraft und Verliebtheit. Das bleibt aber nicht so, niemand könnte es durchhalten, irgendwann zieht der Alltag ein und es gibt auch Unterschiede, Konflikte, wieder mehr "ich" und "du" statt ein einziges verschmolzenes "wir". Das muss so sein, um sich selbst zu bewahren und nicht zu verlieren. Jetzt kommt es drauf an, ob beide sich in Liebe durch diese schwierige Veränderung durcharbeiten können und wollen oder ob es um zerplatzende Illusionen geht, ohne dass etwas Neues entsteht.
Danach ist Liebe für mich etwas sehr Realistisches, einschließlich meiner und seiner Fehler und einschließlich der Arbeit daran, mit Problemen klarzukommen und Konflikte zu bewältigen. Wir haben schon so viele schwierige Zeiten gemeinsam überstanden. Und wir lassen uns "trotz allem" nicht im Stich. Mein Vertrauen ist immer mehr gewachsen. Und ich bin zutiefst glücklich, dass da ein Mensch ist, mit dem ich gemeinsam durchs Leben gehe.
"Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst ... es ist unmöglich, sagt die Erfahrung ... es ist was es ist, sagt die Liebe" schreibt Erich Fried u.a. in seinem wunderbaren Gedicht: http://www.erichfried.de/Was%20es%20ist.htm