Die Frage kann man in zwei Teile aufspalten:
- Was spricht für eine Einzelperson dafür oder dagegen, Esperanto zu lernen?
- Was spricht für einen Staat dafür oder dagegen, Esperanto zu unterstützen, über Esperanto zu informieren und Esperanto in den Schulen als Wahlfach anzubieten?
Wenn man Esperanto lernt, macht man schnell Fortschritte, weil die Grammatik einfach und logisch aufgebaut ist und keine Ausnahmen kennt. Viele Wörter kennt man auch schon: Taso ist Tasse, glaso ist Glas, fenestro ist Fenster. (Auf -o enden alle Substantive.) Insgesamt braucht man etwa ein Viertel der Lernzeit, die z. B. für Italienisch oder Spanisch nötig ist - die meisten Lerner können nach drei Esperanto-Wochenenden schon ganz gut Esperanto sprechen. Um das nachvollziehen zu können, schlage ich vor, einfach mal zehn Minuten Esperanto zu lernen, z. B. bei https://lernu.net/de
Wenn man etwas mutig ist, kann man schon nach etwa 20 Lernstunden anfangen z. B. bei Facebook in einer der Esperanto-Gruppen zu lesen. Das ist wirklich ein rascher Einstieg, wie ihn sonst keine andere Sprache bietet.
Außerdem hat man das Netz von Esperanto-Sprechern weltweit zur Verfügung. Es gibt Esperanto-Adressen in über hundert Ländern. Das ist schon nett, egal ob bei Facebook, Instagram, auf Reisen oder bei Esperanto-Treffen. Man kriegt irgendwie viel mehr vom Land mit, als wenn man nur ein einfacher Tourist ist.
Gegen das Erlernen von Esperanto spricht für den einzelnen eigentlich nur, dass man sagt, das interessiert mich nicht. "Ich habe genug Freunde, auf meinen Reisen will ich ohnehin vor allem mit meinen Freunden oder meiner Familie zusammen sein, ich will mir nur das Land anschauen oder am Strand liegen, aber der Kontakt mit den Einheimischen, das muss nicht sein." Kann ich akzeptieren, auch wenn ich Urlaub mit Esperanto immer total interessant finde. Jeder wie er oder sie mag.
Esperanto und Staaten
China fördert Esperanto seit vielen Jahrzehnten. Da gibt es tägliche Nachrichten in Esperanto, auf http://esperanto.china.org.cn/
eine Esperanto-Zeitschrift im Netz, http://www.espero.com.cn/
ein Esperanto-Radio http://esperanto.cri.cn/
In Ungarn ist Esperanto an Hochschulen zum Fremdsprachen-Nachweis zugelassen; seit 2001 haben dort mehr als 35.000 Ungarn eine staatlich anerkannte Esperanto-Sprachprüfung abgelegt. Vgl. z. B. https://nyak.oh.gov.hu/doc/statisztika.asp?strId=_43_
In Polen ist Esperanto als Teil des immateriellen Kulturerbes anerkannt. Die Universität in Posen/Poznan bietet ein Studium der Interlinguistik/Esperantologie an, http://www.staff.amu.edu.pl/~interl/interlingvistiko/index.html
In Amsterdam gibt es einen Lehrstuhl für Interlinguistik und Esperanto, http://www.uva.nl/en/profile/g/o/f.gobbo/f.gobbo.html
In Brasilien wurde die Förderung von Esperanto (Angebot als Wahlfach an Schulen) immerhin schon mal in beiden Kammern des Parlaments behandelt, das Erziehungsministerium beschäftigt sich nun damit. In Burundi hat das Erziehungsministerium mit einer kulturellen Vereinigung eine Vereinbarung über Esperanto-Unterricht an Schulen getroffen.
All diese Länder fördern Esperanto ein wenig, weil es halt große Vorteile bietet - insbesondere die schnellere Erlernbarkeit. Der Aufwand für den Fremdsprachen-Unterricht ist schon enorm, etwa ein Zehntel der Ausgaben für die Schulen; in Frankreich ist das eine Summe von etwa 8 Milliarden Euro pro Jahr, mehr als 100 Euro pro Bürger des Landes, jedes Jahr, allein für Fremdsprachen-Unterricht. Mit Esperanto könnte man etwa drei Viertel davon sparen, 75 Euro pro Bürger und Jahr.
Die 100-Milliarden-Euro-Frage
Man kann auch den Aufwand für die Schüler sehen: Für das Erlernen des Englischen müssen in Deutschland viele Schüler etwa 1500 Schulstunden aufwenden, hinzu kommen Hausaufgaben, Sprachreisen usw. Mit Esperanto lassen sich drei Viertel davon einsparen; das Sparpotential ist etwa ein Arbeitsjahr. Da der Mensch so etwa 50 Jahre lernt und arbeitet, liegt das in der Größenordnung von 2 % der gesamten Lern- und Arbeitszeit des Menschen, zumindest für Akademiker. Für die gesamte Bevölkerung liegt es vielleicht etwa bei 1 %. Das bedeutet auch ein Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der Länder. Die EU hat eine Wirtschaftsleistung von über 10 Billionen Euro, ein Prozent davon sind 100 Milliarden Euro jährlich. Das ist eine untere Grenze für das Einsparpotential mit Esperanto. Ich spreche daher in Zusammenhang mit Esperanto gerne von der "100-Milliarden-Euro-Frage".
Für China besonders attraktiv
Schon für uns ist der Aufwand für das Englische erheblich - noch größer ist er für Länder, deren Sprachen weit weg vom Englischen sind, etwa Ungarn und China. Wenn ein Erwachsener eine Sprache wie Englisch lernt, dann rechnet man etwa 600 Stunden bis zu einem guten Niveau; bei Chinesisch muss man etwa 2000 Stunden rechnen. Ein ähnlicher Aufwand ist für Chinesen nötig, wenn sie Englisch lernen. Wenn sie stattdessen Esperanto lernen, dann brauchen sie nur etwa ein Viertel der Zeit, drei Viertel können gespart werden.
Esperanto bedeutet für China somit ein noch größeres Sparpotential als für Europa. Deshalb ist es kein Wunder, dass die Chinesen Esperanto so stark fördern und etwa 40 Personen im Esperanto-Bereich staatlich bezahlen. China hat sich auch bei der Unesco für die Herausgabe des Unesco-Kurier in Esperanto eingesetzt und finanziert das auch.
Natürlich ist Englisch nicht im Handumdrehen aus dem Rennen. Manche Chinesen kombinieren - Grundkenntnisse in Englisch, bessere Kenntnisse in Esperanto. Es gibt sogar zumindest einen chinesischen Import-Export-Händler, der seine Geschäfte auf Esperanto abwickelt.
Dazu kommt das Ungleichgewicht in der Weltpolitik durch das Englische. Wenn Englisch die Haupt-Sprache ist, dann gehen die Schüler zum Weiterlernen in englischsprachige Länder, Studenten gehen dorthin, Wissenschaftler werden in diese Länder gezogen, weil nach dem Erlernen der Sprache dort eine geringere Sprachbarriere besteht. Das gibt diesen Ländern einen erheblichen Vorteil und den anderen einen Nachteil.
Hinzu kommt der Vorteil im Kultur-Export, dass z. B. US-amerikanische Filme in Originalfassung in sehr vielen Ländern gesehen werden können. Das benachteiligt die anderen Länder und deren Filmindustrie.
Wenn sehr viele Menschen Esperanto sprechen, dann ist man freier in der Wahl, wohin man gehen will. Insofern hat China auch aus Gründen der internationalen Politik ein Interesse daran, Esperanto zu fördern. Auch Chinesisch - aber auch die Chinesen wissen, dass Chinesisch weit schwieriger ist und insofern immer nur ein geringer Teil der Bevölkerung der Welt Chinesisch lernen wird. Und die Frage ist, bis zu welchem Niveau die Chinesisch-Lerner kommen...
Esperanto öffnet die Welt
Ein weiterer Grund, warum die Staaten Esperanto zumindest ein wenig fördern sollten, ist der, dass Esperanto die Welt öffnet. Man hat mehr Anreiz, in Länder zu fahren, deren Sprache man gar nicht kennt - man weiß, dass man sich auch dort nicht verloren fühlen wird, weil man schon mal ein paar Anknüpfungspunkte hat. Das bedeutet, dass immerhin die Esperanto-Sprecher eines Landes sich in sehr vielen anderen Ländern auskennen - einfach so, ohne dass der Staat irgendwas besonderes dafür tun muss. Das bietet ein gewisses Potential.
Dagegen könnte für Staaten sprechen, dass ein gewisser Aufwand zu treiben wäre und dass ein Gesamterfolg in den Sternen steht. Den Aufwand kann man klein halten, wenn man es wie Ungarn macht: Dort ist Esperanto einfach ein Wahlfach - besondere Ausgaben hat der Staat damit nicht. (In der heutigen Phase halte ich es für illusorisch Esperanto als Pflichtfach haben zu wollen.)
Eine Schulstunde über Esperanto
Außerdem kommt in Betracht, dass die Schüler erstmal ein wenig über Esperanto erfahren, "eine Schulstunde über Esperanto". Da können sie dann erfahren, was Esperanto ist, wie es aufgebaut ist, wie sich das anhört, wo es gesprochen wird, was man damit heute schon machen kann usw. Ich finde, eine Schulstunde über Esperanto für jeden Schüler ist nun wirklich nicht zuviel - schließlich fordert der gesamte Fremdsprachunterricht meist mehr als tausend Stunden. Und die Information über Esperanto kann sogar in einer Fremdsprache erfolgen, anhand von Texten in der Sprache, s. http://www.esperantoland.org/de/raportoj.html
Ansonsten halte ich es für angebracht, dass Staaten die Forschung zu Esperanto wie zu anderen Sprachen fördern. Schließlich gibt es eine weltweite Esperanto-Sprachgemeinschaft und das ist ein besonderes Phänomen: Zum einen entstanden aus einem geplanten Entwurf, zum anderen ist die internationale Zusammensetzung und die Verbundenheit in dieser internationalen Gemeinschaft wohl ziemlich einzigartig.
Nicht der Liebling der meisten Linguistik-Professoren...
Vielleicht zum Abschluss noch die Frage, ob es Berufsgruppen gibt, für die Esperanto Nachteile bietet. Es sieht so aus, dass das für Sprachprofessoren, für Dolmetscher, Übersetzer, Sprachlehrer und für diejenigen gilt, die bereits viel Zeit und Geld in das Erlernen des Englischen gesteckt haben. Wenn man als Prof. für Englisch zuständig ist, dann ist Esperanto unerwünschte Konkurrenz. So ist es vielleicht nicht erstaunlich, dass der Anglistik-Professor Anatol Stefanowitsch über das "leidige, nicht tot zu kriegende Esperanto" schrieb, https://scilogs.spektrum.de/sprachlog/sprachbrocken-2012-24-28/ ; s. auch https://scilogs.spektrum.de/sprachlog/vundo-pasas-vorto-restas/ (hier behauptet Prof. Stefanowitsch, dass Esperanto für die Sprachwissenschaft wenig interessant sei - eine Aussage, die auf unzureichende Informiertheit zurückzuführen sein dürfte).
Ärgerlich ist, dass viele Sprachwissenschaftler Falsch-Informationen über Esperanto verbreiten. Manche wissen z. B. nicht, dass bisher schon über zehntausend Esperanto-Bücher erschienen sind...
Auch ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen scheinen zu befürchten, dass Esperanto sie überflüssig machen würde. Das ist sicher nur zum Teil so - ich habe schon so manches Mal Esperanto und Deutsch gedolmetscht und ich übersetze auch alle Naselang. In dem Maße, in dem sich Esperanto verbreitet, wird auch der Bedarf an Esperanto-Übersetzungsleistungen erstmal steigen. Bis "alle" Esperanto sprechen, das kann ewig dauern.
Manchmal gibt es also persönliche Gründe gegen Esperanto, leider. Für die anderen bietet Esperanto eher Vorteile. Und jeder Sprachwissenschaftler, Dolmetscher, Lehrer usw. kann ja Esperanto lernen und in seinen Beruf einbeziehen.