Ich bin erwachsen und habe aus anderen Gründen eine sehr schwierige Beziehung zu meiner Mutter. Eine meiner besten Kindheitserinnerung ist meine erste schlechte Zensur in der Schule. Ich habe es geschafft in meiner ersten Physikarbeit direkt eine sechs zu schreiben.
Als ich kleinlaut nach Hause kam (ich war sonst ganz gut in der Schule) und meiner Mutter die Arbeit zeigte, schimpfte sie nicht. Ehrlich gesagt weiß ich die direkte Reaktion nicht mehr, aber ich weiß wie sie meinen Vater an der Tür abfing und ihm mit Blicken und Tonfall klar machte, wie er zu reagieren hatte.
Mutter (strahlend): „Wir haben etwas zu feiern. Pausenraum hat ihre erste schlechte Zensur geschrieben.“
Vater (versteht den Blick und Tonfall und strahlt mich an): „HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!“
Ich bekam dann einen Trostkuchen.
Die meisten Leute , denen ich das erzähle, verstehen das nicht. Aber für mich ist es eine der pädagogisch sinnvollsten Entscheidungen meiner Eltern.
Wir mussten natürlich für die Arbeiten lernen. Das tat ich sowieso. Es war frustrierend genug, wenn man dann trotzdem eine schlechte Zensur schrieb. Also gab es einen Apfelkuchen zum Trost….und man lernte das entsprechende Fach in nächster Zeit verstärkt. Eine Stunde am Tag. Im Fall meiner Physikzensur, besorgten mir meine Eltern übrigens so einen Experimentierkasten.
Hab ich deshalb mit Absicht schlechte Zensuren geschrieben, um einen Kuchen zu bekommen? Nein. Der war ein Trost, keine Belohnung. Bei einer eins gab es auch einen Kuchen, plus zwei Mark….und da ich es ja konnte, musste ich nicht Extrazeiten üben (musste ich bei irgendwelchen „Mittelzensuren“ aber auch nicht).
Lange Rede, kurzer Sinn: ob die Schule ein Drama in der Familie auslöst, kommt viel darauf an, was die Familie draus macht.
Ich hatte Klassenkameraden, die Angst hatten mit schlechten Zensuren nach Hause zu gehen. Ich nicht. Ich wusste, dass mich ein Kuchen und viel üben erwartete.🤷♀️