Vieles bisher gesagt enthält auch wahres. Aber eben meist nur zum Teil. Wenn es um das hormonelle geht (auch wenn es viel komplexer ist und es nicht nur das Testosteron alleine ist) stimme ich zwar zu, allerdings ist in sexueller Hinsicht ein Zusammenhang von Testosteron und Dominanz nicht hinreichend belegt. In jüngster Zeit wankt diese These immer stärker, da viele Männer, aus allen Schichten und Berufsgruppen, angeben, sich als sexuell devot/submissiv zu betrachten. Es ist demnach nicht mehr möglich, hierauf eine These zu stützen.
Ebenso wanken die hier getroffenen Aussagen zu Biologie und der Rollenverteilung in der Geschichte der menschlichen Zivilisation. Der Bedarf an Stärke und der Fähigkeit zu beschützen stellt zwar in der Theorie einen zunächst sinnvoll erscheinenden Zusammenhang dar. Allerdings befinden sich unter den sexuell devoten/submissiven Männern ein großer Anteil an Personen wie Soldaten, Vorgesetzte, Firmengründer, Selbständige usw., während in der BDSM-Szene die dominanten Rollen mittlerweile am häufigsten bei Männern aus kreativen Branchen, Künstlern u.ä. besteht. Der Dominante Mann wie aus Fifty Shades of Grey u.ä. ist eben vor allem Fiktion.
Zudem stellt sich nach wie vor die Frage (und in diesen Zusammenhängen gleich in mehrerlei Hinsicht) wie Menschen noch immer denken können, dass devote Menschen unbedingt emotionale oder weiche Menschen sind. Im Falle von Männern trifft es nur in den allerseltensten Fällen zu.
Besonders wenn man bedenkt, wieviel mentale Stärke es braucht, um sich als Mann dazu zu bekennen. Die Angst, dafür negativ bewertet, abgestempelt, in eine Schublade gepackt oder in der Partnerschaft deswegen nicht mehr als "ganzer Mann" betrachtet zu werden, ist ja durchaus real. Das sehe ich in unserer Psychologischen Praxis nur allzu häufig.
Wenn eine Frau hingegen sagt "Ich bin devot", dann stehen nur alle da, zucken mit den Schultern und sagen "Na und?". Stellt sie sich hingegen hin und sagt "Ich bin dominant", dann reißen sich die Männer entweder ein Bein aus vor Freude. Den übrigen ist es zumeist entweder egal oder sie nehmen es nicht ernst.
Aber all das beantwortet ja nicht die Frage, warum Frauen seltener sexuell dominant sind oder auch nur auf die Idee kommen, diese Rolle überhaupt mal einzunehmen. Hierzu gibt es auch keine wissenschaftlich fundierte Begründung. Es wird sich da bisher nur mit den Ergebnissen von Befragungen beholfen, und da sind die Ergebnisse sehr breit gefächert. Legt man sie aus, kommt man zu dem Ergebnis, dass viele Frauen sich
a) gar nicht mit diesen Themen auseinander setzen,
b) sie bisherige Rollenbilder zu erfüllen versuchen, ohne sie jedoch für sich selbst zu hinterfagen,
c) sie sich selbst wenig bis teilweise gar nicht mit ihrer eigenen Sexualität auseinander gesetzt haben.
Interessant ist lediglich, dass Frauen die sich mit sich selbst und ihrer eigenen Sexualität auseinandergesetzt und ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse erforscht haben am aufgeschlossensten sind. Die meisten Frauen die sexuell gerne dominant sind, und sei es nur hin und wieder, sind i.d.R. solche Frauen. Es scheint hier also einen Zusammenhang zu geben. Solche Frauen bilden allerdings einen sehr, sehr geringen (einstelligen) Prozentsatz - und sind entsprechend begehrt bei den Männern.
Ich persönlich denke, dass ein weiterer Grund darin zu finden ist, dass die wenigsten Frauen (im Gegensatz zu Männern) sich aus eigener Motivation heraus mit sexuellen Themen auseinander setzen. Wenn, dann passiert es meist Reaktiv, also erst dann, wenn etwas Thematisiert wird. Es scheint bei vielen Frauen also entweder keine Neugier diesbezüglich vorhanden zu sein oder ihnen erscheint es als nicht relevant genug. Mir fiele ansonsten jedenfalls keine sinnvolle Begründung dazu ein.