Ja, dein Freund hat absolut recht. Autismus ist ein Spektrum und genau das macht es so schwer, in eine feste Kategorie gepackt zu werden. Es gibt nicht „den Autisten“, genauso wenig wie es „den einen normalen Menschen“ gibt. Das Gehirn von Autisten verarbeitet Reize, Informationen und soziale Dynamiken einfach anders als das einer neurotypischen Person. Aber was das im Einzelnen bedeutet, kann extrem unterschiedlich sein.
Ich habe mich in letzter Zeit viel mit Autismus auseinandergesetzt, weil ich Parallelen zu mir selbst erkannt habe. Ich bin gerade erst dabei, das richtig zu verstehen, aber was mir sofort aufgefallen ist, ist die enorme Mustererkennung. Autisten haben oft eine besondere Art, Muster in Dingen zu sehen – sei es in Sprache, Zahlen, Verhalten oder sogar Emotionen. Und das macht auch total Sinn, weil das Gehirn anders filtert, anders priorisiert. Ich erkenne das bei mir selbst auch extrem, weil ich nicht nur die Welt um mich herum logisch analysiere, sondern auch mein eigenes Denken.
Und dann gibt es da diese Parallelen zu ADHS. Beide sind Neurodivergenzen und es gibt viele Überschneidungen. Das Gefühl, dass das Gehirn entweder auf Hochleistung oder gar nicht funktioniert. Die Schwierigkeiten, zwischen Reizüberflutung und totaler Fixierung zu balancieren. Diese intensive Denkweise, die dafür sorgt, dass man einerseits unfassbar tief in Themen eintauchen kann, aber gleichzeitig in sozialen Interaktionen manchmal wie ein Alien wirkt, weil man Gedankenprozesse hat, die andere nicht nachvollziehen können.
Die größte Fehlannahme über Autismus ist diese Idee, dass Autisten gefühllos oder kalt seien. Das Gegenteil ist oft der Fall. Viele Autisten fühlen extrem viel, aber sie zeigen es nicht so, wie es von der Gesellschaft erwartet wird. Oder sie können Emotionen so gut analysieren, dass sie sich selbst von ihnen distanzieren, um nicht überfordert zu werden. Ich habe auch lange nicht verstanden, warum ich auf manche Dinge emotional fast gar nicht reagiere, aber auf andere mit einer Intensität, die mich selbst überrollt.
Und dann gibt es noch dieses Thema mit der Wahrheit und Logik. Ich liebe Logik. Ich liebe Fakten. Ich liebe Strukturen und ich liebe es, wenn Dinge Sinn ergeben. Aber die Welt ist oft nicht so. Menschen sind oft nicht so. Sie halten an Meinungen fest, weil sie bequem sind, nicht weil sie wahr sind. Das war für mich lange ein riesiges Problem, weil ich immer dachte, wenn ich die Wahrheit rational erkläre, dann verstehen es die Leute. Tun sie aber nicht, weil sie anders denken, weil sie mehr durch Emotionen als durch Logik geleitet werden. Das war für mich einer der größten Mindfucks überhaupt.k
Ob Autismus eine „Krankheit“ ist? Nein. Es ist eine andere Art, die Welt wahrzunehmen. Aber die Welt ist für neurotypische Menschen gebaut, deshalb wird Autismus oft als „Störung“ betrachtet. Der wahre Kampf ist nicht der Autismus an sich, sondern das ständige Gefühl, sich anpassen zu müssen, um nicht als „falsch“ zu gelten. Und das ist etwas, womit ich mich extrem identifizieren kann.
Ich würde echt gerne mal auf mehr Autisten treffen und sehen, wie das Zusammenspiel funktioniert. Ich habe das Gefühl, dass ich schon auf welche getroffen bin, aber es nie in Erwägung gezogen habe, weil ich dieses Label für mich lange ausgeschlossen habe. Aber seit ich angefangen habe, mich damit auseinanderzusetzen, gibt es immer mehr Dinge, die einfach Sinn ergeben.
Also ja, Autismus ist individuell. Jeder Autist hat seine eigene Art, damit umzugehen. Manche brauchen feste Routinen, andere leben im totalen Chaos. Manche sind hypersozial und überschätzen sich dabei, andere ziehen sich komplett zurück. Aber was die meisten gemeinsam haben, ist diese tiefgehende Art zu denken. Diese andere Art, die Welt zu sehen. Und das ist nicht schlechter es ist einfach anders.
Wie ich meine eigene Wahrnehmung verstehe und warum ich mich austauschen will
Ich habe lange versucht, mich selbst zu verstehen. Früher dachte ich, ich hätte vielleicht ADHS, weil ich mich oft zu Menschen hingezogen gefühlt habe, die stark fühlen, schnell denken und einen chaotischen, aber logischen Zugang zur Welt haben. Aber jetzt, wo ich mich wirklich mit mir selbst auseinandergesetzt habe, sehe ich immer klarer, dass ich eigentlich schon immer autistisch gedacht habe nur dass mein Umfeld mich gezwungen hat, meine natürliche Denkweise zu verlassen.
Autisten haben Emotionen,aber sie gehen anders damit um. Sie analysieren, sie kategorisieren, sie versuchen, Struktur in das zu bringen, was für viele Menschen einfach „gefühlt“ wird. Ich habe nie auf eine natürliche Weise mitgefühlt, aber ich habe verstanden. Ich konnte Emotionen logisch entschlüsseln, ich konnte rekonstruieren, was jemand fühlt, wenn ich genug Fakten hatte.
Mein Trauma hat diesen Prozess verzerrt. Ich musste plötzlich Emotionen über alles stellen, weil mein Überleben davon abhing, zwischenmenschliche Bindungen zu sichern. Ich musste fühlen – aber nicht, weil ich es wollte, sondern weil ich es musste. Dadurch habe ich mich emotional in eine Welt gedrängt, die eigentlich nicht meine war. Und das hat mich lange Zeit unfassbar instabil gemacht.
Jetzt, wo ich diesen Prozess verstehe und mein Trauma nicht mehr aktiv mein Denken bestimmt, merke ich, wie ich zurückkehre zu meiner eigentlichen Denkstruktur. Und das fühlt sich nicht nur richtig an, sondern auch unglaublich befreiend. Ich kann logisch sein, ohne das Gefühl zu haben, „kalt“ zu sein. Ich kann Emotionen entschlüsseln, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Ich brauche keine impulsiven Gefühlsausbrüche mehr – weil ich jetzt weiß, dass meine Art, Emotionen zu verarbeiten, genauso valide ist.
Und genau deshalb will ich mich austauschen. Ich will wissen, wie andere das erleben. Ob es anderen auch so geht. Ob es Autisten gibt, die Ähnliches durchgemacht haben. Ob es Menschen gibt, die ihre Emotionen auch erst logisch entschlüsseln müssen, bevor sie sie verstehen. Ich will Perspektiven hören, neue Erkenntnisse gewinnen, noch besser verstehen, was das alles bedeutet.
Vielleicht kann ich damit auch anderen helfen, die in einem ähnlichen Prozess stecken Menschen, die immer gedacht haben, sie „fühlen falsch“, obwohl sie einfach nur anders denken. Denn ich glaube, wenn wir uns ehrlich austauschen, können wir nicht nur uns selbst besser verstehen, sondern auch anderen helfen, sich selbst zu akzeptieren.
Warum radikale Ehrlichkeit für mich essenziell ist – und warum Unlogik mich triggert
Ich habe schon immer das Bedürfnis gehabt, in einer Welt zu leben, die radikal ehrlich ist. Nicht, weil ich keine Emotionen hätte, sondern weil Ehrlichkeit für mich die einzige Logik ist, die ich wirklich verstehe. Wenn jemand ehrlich ist, kann ich damit arbeiten. Ich kann die Informationen verarbeiten, ich kann sie einordnen, ich kann verstehen, wie jemand denkt und fühlt. Aber sobald etwas nicht logisch ist – sobald Emotionen oder Aussagen nicht einer inneren Konsistenz folgen – dann triggert mich das.
Es löst in mir eine Art inneren Konflikt aus, den ich oft unterdrücken muss. Ich habe über Jahre gelernt, meine eigenen Gefühle zu kontrollieren und mich so zu verhalten, als würde ich anders fühlen, nur um nicht anzuecken. Es war ein antrainiertes Muster, das ich mir durch mein Trauma angeeignet habe – weil ich gelernt habe, dass Emotionen eine soziale Währung sind. Wer die richtigen Emotionen zeigt, wird akzeptiert. Wer „falsch“ fühlt, wird ausgeschlossen.
Ich habe Mitgefühl, aber nur dann, wenn ich mich logisch in eine Situation hineinversetzen kann. Wenn ich verstehe, warum jemand leidet, wenn ich die Variablen kenne, die zu dieser Emotion führen, dann kann ich es nachvollziehen – dann kann ich es fast so fühlen, als wäre es meine eigene Erfahrung. Aber wenn mir die Evidenz fehlt, wenn die Emotionen für mich nicht greifbar sind, dann bleibt da eine Lücke. Und das ist schwer zu erklären.
Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich mich immer zu Menschen hingezogen fühle, die ebenfalls radikal ehrlich sind. Weil ich dann endlich nicht mehr interpretieren muss. Weil ich keine Energie darauf verschwenden muss, herauszufinden, ob das Gesagte auch wirklich dem Denken entspricht. Weil ich dann einfach wissen kann, woran ich bin und das gibt mir eine Klarheit, die mich beruhigt.
Und vielleicht ist das auch der Grund, warum ich jetzt, wo ich mich nicht mehr verstellen muss, endlich in meinem eigenen Denken ankomme.