Ich, Studiendirektor im Ruhestand, in Deinen Augen vielleicht ein ganz schlimmer Streber. Neusprachliches Gymnasium in den Jahren 1956 bis 1961. Ich war in einer Zubringerklasse für Spätbegabte. Doch diese äußerte sich darin , dass ich mit sprachlichen Fächern zu kämpfen hatte, dafür ein paar Lieblingsfächer, an denen ich viel Freude hatte, so kam es Ende der Obersekunda, heute ist das die Klasse 11 das Aus. Meiner Mutter wurde erklärt, dass ich keine Chance hätte, jemals zu akademischen Ehren zu komme, auch eine Wiederholung des Schuljahres oder Schulwechsel nichts brächte. Wenn ich noch vor dem 15.2.1961 die Schule verließe, käme kein Nichtversetzungsvermerk ins Abgangszeugnis. Fast ein Hoffnungsschimmer, an dem Tag eine Sonnenfinsternis, aber nur partiell. So empfing ich mein Abgangszeugnis mit den beiden Fünfen, die mein Ende bedeuteten Französisch und Latein. Immerhin da waren auch drei Einsen Religion, Geschichte und Chemie.
Was nun: Religion? Pastor konnte ich nicht werden - ohne Abitur. Geschichte? Historiker konnte ich nicht werden -ohne Abitur. Chemie: Chemiker konnte ich nicht werden - ohne Abitur. Doch da gab es neben dem Beruf des Diplom-Chemikers noch den seines Helfers, dem Chemielaborant. Nun, schon die erste Chemiestunde bei einem begnadeten Chemielehrer hatte die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Flattern gebracht. Ich fand zum 1.4.1961 auch eine Lehrstelle im Labor der Emschergenossenschaft. Im Februar und März war mein Lieblingsplatz in der Stadtbücherei, wo ich mich mit Begeisterung durch alle Chemiebücher fraß. (Ich hatte aus dieser Begeisterung bereits für fast alle Mitschüler am Gymnasium die Unterrichtsprotokolle verfasst - dafür sind Streber nämlich sehr beliebt.) Die Berufsschule hatte meine Anmeldungen auch noch verschlunzt, so fing ich erst im Sommer an.
So fragte ich meine Klassenkameraden: Hattet Ihr schon ... ... ... Antwort ? ? ?. Die erste Klassenarbeit folgte. Eine Eins. Auf dem Gymnasium gab es damals keine Klassenarbeiten in Nebenfächern, das hatten einige Ignoranten im Kultusministerium unterbunden. Aber jetzt lieber Fragesteller bitte ich im Verständnis. Jahrelang Ringen in den Hauptfächern: Reicht es noch zu einer Vier, klappt's mit der Versetzung? Und jetzt, es blieb nicht bei der einen Eins, ich war Primus. Jetzt war es mit sch...egal, Streber zu sein. Im Sportunterricht des Gymnasiums war ich in Mannschaften das Omega-Tier. Im 1000 m Lauf stürmte ich wild los, nur für ein paar Sekunden an der Spitze zu sein. nicht einmal drei Stadionrunden waren lang genug, um noch von den Besten überrundet zu werden. Wir trugen schwarze Trikots, damals schrieben alle Klassenkameraden entweder USA oder CCCP mit weißer Schulkreide. Bescheiden schrieb ich auf meins "Fürstentum Liechtenstein", eine Unverschämtheit, als ob es nicht auch dort Spitzensportler gab.
Ich wurde als Streber recht unbekümmert ausgenutzt, wenn es galt, Protokolle zu schreibe, oder Mitschülern zu helfen. Vielleicht war ich doch ein "guter" Streber, schaffte das Ausleseverfahren zur Ingenieurschule, machte als Ingenieur in Nachtschicht über einen Fernkurs das Abitur, ,sogar mit dem damals noch üblichen Großen Latinum (wenn schon, denn schon, Racheinstinkte eines Strebers, leider war von meinen damaligen Lehrern wohl schon fast alle verstorben). Nach Hochschulstudium ging ich an die Berufsschule und wurde 2009 in allen Ehren als Studiendirektor in den Ruhestand verabschiedet. Schüler schwenkten Fähnchen mit meinem Konterfei. Ich machte noch ein paar Jahre bei der Handwerkskammer und einer Privatfachschule weiter, war inzwischen auch Mitglied des Fachverbandes für Strahlenschutz geworden, bis meine liebe Frau die Reißleine zog. Ich bitte Sie, junger Freund, ein Streber kann auch jemand sein, den einfach die Leidenschaft für ein Fach gepackt hat. Ich besitze noch aus meiner Jugend ein mit Wasserfarben und Tusche selbst gestaltetes Periodensystem. Manche Streber haben einfach nur Freude am Fach, bunte Schmetterlinge im Bauch,