Da ich mit Nietzsche mangels Lebenszeitüberschneidung nicht persönlich zu tun hatte, habe ich auch nicht mit ihm sprechen können und kann dir nicht versichern, dass er das, was ich mir darauf zusammenreime, auch wirklich gemeint hat. Aber im Folgenden ein paar Anregungen:
Der Glaube an die Zukunft fängt mit dem Zweifel an allen bisherigen Wahrheiten an.
Dass Zukunft irgendwann Gegenwart und dann Vergangenheit wird, ist unbestreitbar. Also ist der "Glaube an die Zukunft" nicht als Glaube an die Existenz einer wertneutralen Zukunft gemeint, sondern als Glaube an die Zukunft als Hoffnungsträger. Hoffnung macht Zukunft dann, wenn sich etwas in ihr verändert, was in der Gegenwart nicht verwirklicht ist. Bisherige Wahrheiten bestimmen unser Alltagsleben. Sie können durch den Zweifel auf den Prüfstand gesetellt werden. Dadurch zeigt sich, welche Wahrheiten weiterhin als solche anerkannt und welche vielleicht angesichts moderner Erkenntnisse widerlegt werden können. Widerlegte "Wahrheiten von gestern" sind Punkte, in denen Veränderung einsetzen wird.
Nietzsche war dafür bekannt, dass er die Menschheit nicht sonderlich hoch schätzte. Er sah in ihr ein großes Potenzial, was sich in der Idee des Übermenschen niederschlägt, aber im Grunde war er mit der aktuellen gesellschaftlichen Situation seinerzeit unzufrieden. Wo in der Zukunft Veränderung einsetzen würde, konnte endlich etwas wachsen, was Probleme der Gesellschaft seiner Zeit überwinden würde. Der Zweifel war übrigens in der gesamten Philosophiegeschichte immer wesentlicher Treibstoff des Erkenntnisgewinns.
Kann man nicht alle Werke umdrehen? Und ist Gut vielleicht Böse? Und Gott nur eine Erfindung und Feinheit des Teufels?
Ein paar Klassiker des Umdrehens von Werken: A rettet B das Leben. A tut dies aber nicht, weil B dann leben wird, sondern weil As Freunde, Familie und Bekannte ihn dafür loben, umschmeicheln, bewundern und feiern werden. Die Rettung hat zwar sozialen Charakter, ist im Grunde aber eine selbstsüchtige Handlung. Oder: A stiehlt. Er tut dies aber nicht, um seinen kleptomanen Bedürfnissen entgegenzukommen oder um den Ladeninhaber zu schädigen, sondern weil seine Kinder hungrig sind und er kein Geld hat, um ihnen Essen zu kaufen. Im Grunde macht er es aus Hilflosigkeit und aus Liebe zu seinen Nachkommen.
Generell gibt es bei der ganzen gut-böse-Thematik das Problem, dass eine Handlung nicht als solche gut oder böse sein kann, sondern nur in Relation zu den Motiven des Handelnden. Wer handelt, handelt in guter oder in böser Absicht, aus konstruktiven oder destruktiven Motiven heraus. Wie wir wissen, hat jede Medaille außerdem zwei Seiten, also auch die Konsequenzen der Handlung sind nicht leicht als Kriterium für gut und schlecht zu sehen.
Auch wieder zwei Beispiele: A misshandelt sein Kind, B behandelt seines liebevoll und umsorgend. As Kind wächst mit schweren Traumata heran, hat Schwierigkeiten in der Schule, wird zum Außenseiter, braucht später 13 Therapien, um die Traumata zu überwinden. As Kind wird durch die Erfahrungen und die Überwindungen der Traumata so stark, dass es Anführer einer revolutionären Bewegung wird. Durch diese Bewegung, die sogar nach dem Tod dieses Menschen noch erhalten bleibt, wird ein riesiger Entwicklungsprozess angestoßen, an dessen Ende jeder Mensch auf dem Planeten Erde Zugang zu sauberem Trinkwasser hat. Bs Kind hingegen kommt ganz gut durch die Schule und knüpft leicht neue Freundschaften. Weil Bs Kind nie von B manipuliert oder geächtet wurde, kann es allerdings nicht erkennen, wenn "Freunde" das machen. Bs Kind ist so gutgläubig und naiv, dass es immer wieder ausgenutzt und sitzen gelassen wird. Mit Mitte 30 schon wieder single, schon wieder von Freunden enttäuscht und total unerfahren in der Überwindung von Traumata, fällt Bs Kind dem Alkoholismus anheim und gerät in eine Abwärtsspirale, an deren Ende Depressionen, Gefängnisaufenthalte und letztlich die Selbstzerstörung stehen.
Man kann also die Sonnen- oder die Schattenseiten beleuchten und je nachdem, wie man die Dinge sieht, kann etwas, was intuitiv schlecht ist, etwas Gutes zur Folge haben und anders herum. Vielleicht hat sich der Teufel, die Repräsentation des Bösen, also Gott, die Repräsentation des Guten ausgedacht, als Gegenspieler für seine Machenschaften.
Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse.
Diese Aussage ist schon einfacher. Liebe ist ein verrückter Zustand. Was aus Liebe passiert, passiert im Affekt und nicht unter Berücksichtigung von Moral oder Regeln des sozialen Zusammenlebens. Wenn "Gut" und "Böse" Dimensionen der Moral sind und wenn Moral etwas ist, was mit Rationalität zu tun hat, müssen Handlungen, die aus Liebe geschehen, einem irrationalen Gefühl, frei von Moral sein.
Hast du eine große Freude an etwas gehabt, so nimm Abschied! Nie kommt es zum zweiten Male.
Auch das ist relativ einfach. Nimmst du keinen Abschied von dem, woran du Freude hattest, hältst du dich daran fest. Wenn der Moment der Freude vorbei ist, liegt er bereits in der Vergangenheit und rückt immer weiter in die Ferne. Dabei wird deine Empfänglichkeit für Freuden der Gegenwart gedämpft. Wenn du dich beispielsweise in deinem Auslandsurlaub an der atemberaubenden neuartigen Natur erfreut hast, dich davon aber nicht verabschiedest, sehnst du dich möglicherweise immer wieder danach, dort zu sein. Du misst Freuden deines Lebens daran, ob sie diesen Moment übertreffen können, plagst dich mit Fernweh und verlierst den Blick für die kleinen Freuden, die diesen Moment bei weitem nicht übertreffen können, aber dein Leben dennoch bereichern könnten, wenn du dich ihnen nur zuwenden würdest. Nimmst du hingegen Abschied, denkst du vielleicht ab und zu mal daran, wie schön dieser Moment war, findest dich aber damit ab, dass du nie wieder an diesem Ort zum ersten Mal die wunderschöne Landschaft bestaunen wirst. Genau dieser magische Moment ist vorbei und es ist okay. Dadurch, dass du loslässt, bist du wieder frei für andere Momente der Freude.
Ich weiß zwar nicht, ob dir das eine Hilfe ist, aber ich hoffe es.