Jens Spahn verfolgt die Strategie, die AfD durch normale parlamentarische Behandlung zu entmystifizieren, institutionell einzubinden und ihre Protestwirkung zu neutralisieren. Er setzt darauf, dass der Verlust der Außenseiterrolle, die Notwendigkeit zur parlamentarischen Sacharbeit und die nüchterne Normalisierung die Partei schwächen werden. Ziel ist es, systemische Stabilität zu sichern, Radikalisierung zu bremsen und enttäuschte Wähler langfristig zurückzugewinnen.
Diese Strategie ist jedoch hochriskant und beruht auf mehreren Fehleinschätzungen. Erstens unterschätzt sie, dass die AfD von einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber dem gesamten politischen System lebt. Die Partei könnte die Integration nicht als Schwächung, sondern als Bestätigung ihrer Gegenerzählung nutzen. Zweitens ignoriert die Annahme, die AfD werde durch Verantwortung gemäßigt, die real existierenden antidemokratischen und systemverändernden Kräfte innerhalb der Partei. Drittens besteht die Gefahr, dass durch die Normalisierung eine schleichende Verschiebung politischer Diskurse nach rechts erfolgt und radikale Positionen an gesellschaftlicher Akzeptanz gewinnen. Schließlich geht moralische Klarheit verloren: Demokratische Systeme müssen sich aktiv gegen Kräfte verteidigen, die ihre Grundlagen untergraben wollen; eine rein formale Gleichbehandlung solcher Kräfte kann als Schwäche und Gleichgültigkeit gegenüber den eigenen Prinzipien wahrgenommen werden.
Zusammengefasst ist Spahns Ansatz ein kalkulierter Versuch, den Gegner durch Institutionalisierung zu entwaffnen, birgt aber erhebliche strukturelle Risiken: Er könnte die AfD stärken, die demokratische Kultur aushöhlen und langfristig genau die Instabilität erzeugen, die er zu verhindern sucht.