Wie würdet ihr diese Karikatur deuten?

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Das Bild ist ein Entwurf zu einem Wahlplakat der SPD aus dem Jahr 1921. Anscheinend bezieht es sich auf eine Landtagswahl (Reichstagswahl war am 6. Juni 1920, danach am 4. Mai 1924). Am 23. Januar 1921 war Landtagswahl in Lippe, am 20. Februar 1921 waren Landtagswahlen in Preußen, in Hamburg und in Bremen, am 13. März 1921 Landtagswahl in Mecklenburg-Schwerin, am 11. September 1921 Landtagswahl in Thüringen, am 30. Oktober 1921 Landtagswahl in Baden, am 13. November Lübeck, am 27. November 1921 Landtagswahl in Hessen.

Beschreibung

Im Zentrum steht ein Mann mit kräftiger Gestalt und großen Händen in Arbeitshandschuhen. Als Oberbekleidung trägt er einen braunen Overall, eine einteiligen Schutzanzug, wie er zuerst als Arbeitskleidung entworfen worden ist. Das Kleidungsstück auf dem Plakat sieht aus wie ein zotteliges Fell.In seiner herabhängenden rechten Hand trägt der Mann einen Hammer, sein linker Arm ist vorgestreckt und der Unterarm mitsamt flacher Hand etwas nach oben gerichtet, als suche er unsicher und tastend nach Orientierung. Über den Augen trägt der Mann eine weiße Augenbinde. Er kann daher seine Umwelt zur Zeit nicht sehen.

Auf den Seiten sind in unterschiedlichen Farben politisch-gesellschaftliche Positionen mit Schlagwörtern und Bildern dargestellt.

Links steht in rotem Farbton „Moskau“ (mit Zwiebeltürmen, wie es sie bei Gebäuden dort gibt), „Diktatur“, „Rote Armee“ (Mann in Uniform und mit weit aufgerissenem Mund, der eine Mütze mit einem fünfzackigen Stern trägt, seine linke Hand drohend erhoben) und „ Arbeitszwang“ (Arbeiter, der gebückt und kaum bekleidet schwere Arbeit verrichtet).

Rechts steht in blauem Farbton „Potsdam“ (mit Gebäude, vielleicht Neues Palais von Schloss Sanssouci), „Monarchie (mit Krone), „Drill“ (strenges Exerzieren/Einüben; mit Soldat mit Gewehr, der in Paradeschritt marschiert), „12 Std Arbeit“ (12 Stunden Arbeit; mit Mann, der Zylinder trägt, und Arbeiter, der gebückt und kaum bekleidet schwere Arbeit verrichtet).

Der Rotarmist und der Mann mit Zylinder (Unternehmer/Kapitalist) haben beide ein Seil ausgeworfen, das um einen Fuß des Arbeiter liegt und mit dem sie dabei sind, ihn wie in einer Schlinge einzufangen.

In Schwarz und Rot steht unten ein Aufruf:

„Arbeiter, Augen auf!

Wählt S.P.D:

Mehrheits-Sozialdemokratie“

Deutung

Die SPD ruft mit dem Plakat dazu, auf sie zu wählen. Der Mann im Mittelpunkt steht für den Arbeiter, der unten mit dem Text angesprochen wird. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) war eine Partei, die aus der Arbeiterbewegung stammte. Sie behielt ihren offiziellen Namen, wurde im Zeitraum 1917 bis 1922 aber daneben inoffiziell auch als Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands (MSPD) bezeichnet (daher auf dem Plakat: „Mehrheits-Sozialdemokratie“), als es als linke Abspaltung von der SPD die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) gab und sie eine wichtige Rolle spielte. Der linke Flügel der USPD vereinigte sich im Dezember 1921 mit der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), der rechte Flügel der USPD im September 1922 mit der SPD. Ein kleiner Rest führte die USPD bis 1931 fort, aber nur mit geringen Wahlergebnissen.

Die Zielgruppe des Plakats ist die Arbeiterschaft, die Hauptwählergruppe der SPD. An die Arbeiter ist eine warnende Botschaft gerichtet. Sie warnt vor Gefahren von linksaußen (rot) und rechtsaußen (blau), die einen Arbeiter, wenn er politisch unaufmerksam ist (wie ein tapsiger Bär, der umhertappt), einzufangen drohen.

Als linksradikale Gefahr ist offenbar die KPD gemeint, sehr stark an dem Bolschewismus in der Sowjetunion orientierte Kommunisten, daneben wohl auch ein Stück weit linke USPD-Vertreter. Moskau war die Hauptstadt der Sowjetunion, die Rote Armee die Armee der Bolschewisten und der von ihnen beherrschten Sowjetunion. Die SPD wendet sich scharf gegen sie, beurteilt den Bolschewismus als Diktatur, die Arbeiter durch Arbeitszwang unterdrückt. Die Kommunisten forderten eine Diktatur des Proletariats. Die SPD lehnte dies als undemokratisch ab und stellt zusätzlich auf dem Plakat eine bolschewistische Praxis dar, die Arbeiter schlecht behandelt.

Als Gefahr von Rechtsradikalen wird Monarchismus (Kräfte, die einen deutschen Kaiser und preußischen Königs usw. zurückwünschen), autoritär-konservatives Militär und Militarismus und arbeiterfeindlicher Kapitalismus ( die SPD hatte 1918 eine Verkürzung der Arbeitszeit auf einen (Stundentag eingeführt, die Forderung von Unternehmern nach einem 12-Stundentag droht also eine soziale Errungenschaft gewaltig zurückzunehmen) dargestellt. Parteipolitisch waren diese Kräfte vor allem in der Deutschnationale Volkspartei (DNVP) vertreten.

Die SPD, als Mitte-Links (gemäßigt links) einordnen, ist für eine demokratischen Standpunkt eingetreten. Sie zeigt eine Gefahr von zwei Seiten, die für Arbeiter zu einem gleichermaßen schlimmen Ergebnis führt.

Der Arbeiter soll nicht blind den Gefahren unterliegen.

https://www.akg-images.fr/CS.aspx?VP3=SearchResult&ITEMID=2UMDHUU7MBJ4&LANGSWI=1&LANG=German

https://www.akg-images.de/archive/Arbeiter--Augen-auf!-Wahlt-SPD-2UMDHUWJGE6A.html

Hintergrundinformationen:

Die SPD hat sich als Folge der Novemberrevolution aufgespalten in USPD (Unabhängige SPD) und MSPD (offiziell immer noch SPD genannt, aber "Mehrheits-SPD" zur Abgrenzung von der USPD)

Die USPD hat sich dann auch wieder gespalten in einen linksradikalen Flügel, der mit dem Spartakusbund die KPD gründete und den Rest, der sich 1922 wieder der SPD anschloss.

Dieses Wahlplakat für die MSPD stammt also höchstwahrscheinlich aus dem Zeitraum 1919 - 1922

Es richtet sich an die Arbeitergesellschaft und warnt vor Links- und Rechtsradikalisierung, wie sie hier in blau und rot abgebildet sind. Die Rechtsradikalen (zB Parteien wie die DNVP oder die NSDAP) fordern u.A. die Rückkehr der Monarchie, den Rest kann ich nicht lesen. Die Linksradikalen fordern u.A. eine diktatorische kommunistische Regierung nach Vorbild Moskau (siehe Oktoberrevolution 1917)

Die SPD vertritt hier die Stellung der bürgerlichen Mitte / gemäßigten Linken und tritt für den sozialdemokratischen Geist der Weimarer Republik ein. Je nach Datum des Plakats dreht es sich entweder um die Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung (davon gehe ich aus, aber kann ich nicht garantieren) oder um die Wahl in den Weimarer Reichstag.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Wird aus dem Wahlkampf 1919 sein, wo es gegen die Unabhängigen Sozialdemokraten (später KPD) ging und deren Rätekommunismus wie in Rußland.