Wie soziale Probleme im Unterricht besprechen?
Für ein Uni-Projekt soll ich für den Englischunterricht an einem Gymnasium eine möglichst „perfekte“ Unterrichtseinheit zum Thema „Social Issues“ entwerfen. Ziel ist es, Schüler*innen der 10. Klasse für gesellschaftliche Probleme zu sensibilisieren und ihnen Raum zur Reflexion, Diskussion und Mitgestaltung zu geben.
Habt ihr gute Ideen für Inhalte, Methoden oder Materialien? Besonders hilfreich wären kreative Ansätze, interaktive Elemente oder Beispiele aus der Praxis.
1 Antwort
Zunächst solltest du für dich selbst festlegen, wie tief du in das Thema einsteigen möchtest, da "Social Issues" ein sehr breites Feld umfassen und unterschiedliche Aspekte relevant sein können. Einige Themenbereiche, über die du nachdenken könntest, sind:
- Drogen (in welcher Tiefe soll dieses Thema behandelt werden?)
- Kriminalität
- Chancengleichheit (systematische Ungerechtigkeiten in unserem gesellschaftlichen System)
- Diskriminierung in all ihren Formen
- Armut und soziale Ungleichheit
Diese Themen lassen sich gut miteinander verknüpfen, da sie viele Überschneidungen aufweisen.
Ich würde auch die Zusammensetzung deiner Klasse berücksichtigen. Wenn es beispielsweise Gymnasiasten aus eher privilegierten Verhältnissen sind, die wenig Berührungspunkte mit Drogen oder Kriminalität haben, wäre es möglicherweise kontraproduktiv, mit dem klassischen Bild der armen Person im Ghetto, Kriminalität und Drogen zu beginnen und dann über Chancengerechtigkeit zu sprechen. Dies könnte unter Umständen das Vorurteil verstärken, dass alle Armen kriminell und selbst schuld seien, weil sie Drogen nähmen (dies muss nicht der Fall sein und hängt stark von den Schülern und deiner Präsentation ab).
In diesem Fall würde ich vermutlich einen allgemeineren Ansatz wählen und versuchen, ihnen die relative Privilegiertheit ihrer Situation im globalen und potenziell auch im deutschen Vergleich zu verdeutlichen. Anschließend könnte der Fokus stärker auf die Frage verlagert werden, warum keine vollständige Chancengleichheit besteht. Hier könntest du sie herausfordern, da viele Schüler zunächst die Idee der Chancengleichheit befürworten werden. Du könntest sie dann damit konfrontieren, dass die Existenz von Wohlstand bei einigen automatisch bedeutet, dass andere weniger haben, und so weiter.
Wenn du dich dem Themenbereich Drogen und Kriminalität nähern möchtest, wäre es vielleicht sinnvoll, ein englisches Buch über Gangs oder ähnliche Themen zu suchen, daraus einige Abschnitte zu lesen und diese als Diskussionsgrundlage zu nutzen. Von dort aus könntet ihr erörtern, warum Menschen sich Gangs anschließen oder Drogen nehmen/verkaufen. Dennoch würde ich irgendwann den Übergang zu unfairen Startbedingungen und ähnlichen Aspekten schaffen, um eine zu große Distanzierung zu vermeiden ("Mir doch egal, wie es im Ghetto in Amerika ist").
Generell empfinde ich das Thema als sehr umfangreich und unpräzise definiert, um daraus eine "perfekte" Unterrichtsstunde zu gestalten
Hallo und erst mal vielen Dank für deine ausführliche und hilfreiche Antwort!
Ich plane die Unterrichtsreihe für eine 10. Klasse am Gymnasium, daher sind deine Ideen für mich schon mal besonders wertvoll. Gleichzeitig geht es mir ein bisschen wie dir: Das Thema Social Issues ist einfach unglaublich groß. Leider habe ich auch keine genaueren Vorgaben bekommen – selbst auf Nachfrage wurde mir nur gesagt, ich solle „meine Kreativität spielen lassen“. Das bietet einerseits viel Freiheit, macht es andererseits aber auch nicht unbedingt leichter.
Ich frage mich deshalb, wie man zu Beginn eine sinnvolle Orientierung schaffen kann. Denn letztlich hat ja jeder auf irgendeine Weise Berührungspunkte mit gesellschaftlichen Problemen – sei es direkt oder indirekt. Ich habe überlegt, ob man vielleicht mit „What if…?“-Fragen ins Thema einsteigen könnte. Das würde den Schülerinnen ermöglichen, eigene Gedanken und Erfahrungen einzubringen. Vielleicht könnte man sie zu einer dieser Fragen eine kurze Geschichte schreiben lassen, um sie für die Folgen und Hintergründe sozialer Ungleichheit zu sensibilisieren.
Außerdem fände ich es spannend, mit Bild- oder Textanalysen zu arbeiten – beispielsweise mit Songtexten aus dem Punkbereich oder mit Bildern von Künstlern wie Banksy. Solche Materialien bieten oft starke emotionale Zugänge und regen zur Diskussion an. Die Frage ist nur: Welche konkreten Social Issues soll man auswählen? Schließlich ist kein Thema „weniger wichtig“ – aber zu viele Themen gleichzeitig würden vermutlich überfordern.
Ich habe auch schon an arbeitsteilige Verfahren gedacht, zum Beispiel in Form von Präsentationen oder Gruppenarbeiten mit verschiedenen Arbeitsblättern. Aber da frage ich mich, ob das nicht schnell zu monoton wird – gerade wenn am Ende alle Gruppen sich gegenseitig ihre Ergebnisse vorstellen. Dasselbe Problem hätte man bei klassischen Präsentationen, oder?
Eine andere Idee wäre, die Schüler*innen eine eigene Awareness Campaign gestalten zu lassen – mit Plakaten, Slogans, Posts oder kleinen Videos. Das hätte eine kreative Komponente und könnte den Transfer fördern. Aber auch hier stellt sich die Frage: Muss ich vorher ein paar Social Issues exemplarisch vorstellen, um ihnen einen Rahmen zu geben – oder ist es besser, sie selbst recherchieren zu lassen und ihnen ganz bewusst möglichst viel Freiheit zu geben?
Ich bin mir gerade unsicher, wie viel Struktur die Klasse braucht – und wie viel Offenheit produktiv sein kann. Auch aus psychologischer Sicht ist das ja eine sensible Altersgruppe: Die meisten Zehntklässler*innen sind stark von ihrer sozialen Umwelt geprägt, suchen nach Zugehörigkeit und Orientierung – und Themen wie Diskriminierung, Armut oder Ausgrenzung können schnell emotional werden. Das möchte ich unbedingt auf eine verantwortungsvolle, aber auch motivierende Weise aufgreifen.
Hast du vielleicht noch Ideen, wie man den Einstieg oder die Themenauswahl möglichst sinnvoll und aktivierend gestalten könnte?
Danke schon einmal im Voraus.