Wenn Herr K. einen Menschen liebte? Warum ist meine Interpretation nicht richtig?
Hallo,
wir haben heute in Deutsch diesen Text behandelt:
"Was tun Sie", wurde Herr K. gefragt, "wenn Sie einen Menschen lieben?"
"Ich mache einen Entwurf von ihm", sagte Herr K., "und sorge, daß er ihm ähnlich wird."
"Wer? Der Entwurf?"
"Nein", sagte Herr K., "der Mensch." (Bertolt Brecht)
Dazu sollten wir unsere erste Reaktion notieren. -> Nachvollziehbar Dann sollte ich erklären, warum es für mich nachvollziehbar ist, weil es mir als Einzige so ging. Ich habe das folgendermaßen interpretiert. Ein Mensch, der quasi "Blind vor Liebe" ist, sieht eine Vorstellung seines Partners ("der Entwurf"), die nicht unbedingt der Realität entsprechen muss, aber wenn man nun einen Menschen liebt, gleicht sich dieser mit der Zeit immer mehr diesem Entwurf/dieser Vorstellung an, da man seine Macken zu akzeptieren lernt und sich irgendwo auch einfach an sie gewöhnt.
Meine Lehrerin meinte daraufhin, die Interpretation, Herr K. wäre egoistisch und baut sich die Menschen einfach zurecht wäre wahrscheinlicher. Ich frage mich nun warum.
Unnd: Wie kann ich es denn vermeiden, etwas "Falsches" hineinzuinterpretieren?
Grüßchen
2 Antworten
hallo 215AxD, deine Lehrerin mag wohl den Brecht und seine Keuner-Geschichten nicht sehr, sonst würde sie den K. nicht so moralisierend abtun. Keuner ist ein Wortspiel mit Keiner, gedacht als eigenschaftslose Figur, die nur als denkender Vermittler in Erscheinung tritt. Brecht war ja nicht bloß Marxist, er hatte sich später stark mit Daosmus und Zen-Theorien beschäftigt. In dieser Keuner-Geschichte gehts nicht um die Macken des geliebten Menschen, und ob man sie hinnehmen oder ihm abgewöhnen sollte, sondern um zwei Fragen: 1. Worin besteht das Wesen eines geliebten Menschen? Ist dieses Wesen statisch, invariant oder veränderbar dynamisch - also ein Zentralthema der Psychologie. 2. Worin besteht das Bild des geliebten Wesens? Ist dieses Bild statisch oder variabel? Oder sollte man sich gar kein Bild machen? Keuner macht sich hier nun ein Bild. Um ein liebenswertes Bild zu erhalten, gruppiert man alle sichtbaren positiven Eigenschaften - und schreibt diese dem geliebten Wesen zu. Nichts anderes passiert, quasi von allein, ja bei Verliebtheit - man fokusiert auf all die angenehmen und positiven Eigenschaften und läßt unangenehmes ausser Acht. Nun hat also der Keuner sein Bild fertig und sorgt dafür, dass sein Gegenüber dem positiven Bild ähnlicher wird. Wie das im Alltag immer und überall vorkommt, dass man seinem Lebensgefährten das abgewöhnt, was man selbst negativ empfindet. Ich denke, deine Lehrerin lag ziemlich falsch und du ziemlich richtig. Aber das ist Philosophie, keine Mathematik. Vielleicht hat jeder ein bißchen recht und man soll sich auch vom ungeliebten Menschen ein Bild machen und sorgen, dass der dann dem Bild immer unähnlicher wird.
So leicht ist es nicht, die Macken des anderen zu akzeptieren. Meist ist es so, dass man zuerst versucht, diese Macken auszubügeln und den Menschen so seinem Ideal näher zu bringen. Dass man die "Macken lieben lernt" ist in den meisten Fällen ein von Sozialromantik erdachtes Märchen.
Ich werde mich auch nie an die Macken meiner Partnerin gewöhnen, geschweigedenn sie lieben lernen. Mit was ich mich jedoch abfinde, ist die Tatsache, dass ich sie nicht ändern kann.
PS: Eine Interpretation kann im herkömmlichen Sinne nicht "falsch" sein - das wiederspräche der Intention des Interpretierens. Ausnahmen bilden Interpretationen, die absolut keinen Bezug zum Ausgangstext haben und völlig an den Haaren herbeigezogen sind.
Naja, aber Herr K. wird ja gefragt, wer wem ähnlich gemacht wird. Und Herr K. sagt eindeutig, dass sich der Mensch dem Entwurf anpassen muss und nicht der Entwurf dem Menschen, was beim Liebenlernen von Macken (ob nun Sozialromantik oder nicht) oder auch schon beim Akzeptieren von Macken ja der Fall wäre.
Der Entwurf entspricht in diesem Fall dem Ideal. Und da die Macken des Partners bestimmt nicht zum Ideal gehören, wird das Akzerptieren derselben den Menschen auch sicher nicht näher ans Ideal führen.
Aber Macken liebenlernen, sich an sie gewöhnen, sie zu akzeptieren beschreibt einen Prozess. Damit der Entwurf das Ideal ist, muss er sich verändern, sonst würde man gar nicht erst von "Macken" sprechen bzw. die "Macken" sind auch in dem ersten Entwurf vorgesehen - und das wäre wirklich Sozialromantik =))
Abgesehen von der drastischen Wortwahl (egoistisch, sich Menschen zurechtbauen) bleibt die Lehrerin aber am Text, und auch Du beschreibst, dass, "wie das im Alltag immer und überall vorkommt, man seinem Lebensgefährten das abgewöhnt, was man selbst [als] negativ empfindet". Da wird der Mensch dem Entwurf ähnlicher. Liebenlernen, akzeptieren - da wird der Entwurf dem Menschen ähnlicher.