Was meint Nietzsche damit, dass Objektivität [...] nur das Kind der Zucht und Gewohnheit ist?

3 Antworten

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es wird die Annahme kritisiert, es gäbe objektive Werte und Idealnormen in der Ethik, objektiv, also als absolut vorgegeben, als unabhängig vom Bewusstein und vom eigenen Handeln, gleichsam als die transzendenten Ideen des Guten, wie etwa bei Platon.

Nietzsche setzt dem eine psychologische und soziologische Sicht auf die Entstehung und Verinnerlichung der Moral entgegen, Enstehung und Prägung durch Zucht (Dressur) und Gewohnheit.

Pondr 
Fragesteller
 03.08.2019, 12:57

Also meint er dass es vermutlich keine Objektivität in der Ethik gibt und argumentiert mit der Prägung des Menschen? Habe ich das richtig verstanden?

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AlterVormBerg2  03.08.2019, 12:58
@Pondr

nicht nur des, sondern auch Prägung durch Menschen in der Sozialisierungsphase.

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Aus dem Textzusammenhang verstehe ich das ganz anders.

Er wendet sich da gegen die seiner Meinung nach weit verbreitete (Un-)Sitte, jeden Menschen und jede neue Situation sofort als "gut" oder "schlecht/böse" einzuordnen. Besser sei Neutralität und kühle Objektivität. Diese lerne man wie andere, schlechte Angewohnheiten auch, durch Zucht und Gewohnheit, indem man also von der Kindheit an sich daran gewöhne, nicht alles sofort moralisch einzustufen.

Pondr 
Fragesteller
 03.08.2019, 12:47

Ich glaube du hast Recht damit, dass er sich gegen gut/schlecht einordnen wendet. Aber ich glaube er will gerade deutlich machen, dass wir Menschen uns gar nicht wehren können gegen die moralische Einstufung.

Also wir betrachten die Dinge objektiv durch UNSERE Augen (also immer noch ein Filter).

Also man lernt schon nicht alles moralisch zu einzuordnen aber man kann sich auch nicht komplett davor verschließen oder so...

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berkersheim  03.08.2019, 18:38

Stimmt, vor allem wenn man berücksichtigt, dass Nietzsche hier aus eigener Erfahrung spricht, der in einem Pfarrerhaushalt unter sehr religiösen Damen mit pietistischer Orientierung groß geworden ist. Das Desaster vergeblichen Betens für seinen totkranken Vater, der trotz Himmelsbestürmung verstorben ist. Diese tiefgehende Enttäuschung hat ihn sehr geprägt und seine kritische Haltung zum Christentum.

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Nietzsche war in der Literatur der griechischen Philosophie bewandert. Da war der Zweifel an Objektivität oder objektivem Wissen nicht nur bei den Epikureern verbreitet. Er war vorhanden in den Texten der Akademie (zurückgehend auf die kritischen Fragen des Sokrates), war grundlegend bei den Philosophen der Skepsis wie des Pyrrhonismus. Die Epikureer sprachen z.B. nicht von Wahrheit sondern von Wahrheitswahrscheinlichkeit. Die akademische Philosophie zur Zeit Nietzsches war noch von der Theologie und ihrem Wahrheitswahn und ihrem Streben nach Gewissheit geprägt (deutscher Idealismus).