Waren die Nazis psychopathen?

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Das war nicht anders als heute auch.

Allerdings war damals die vorherrschende Ideologie eine andere.

Glücklicherweise hat man weltweit dazu gelernt.

Das ist eine hervorragende Frage. Die Nazis, die an der Macht waren, wie Hitler und Göbbels, hatten teilweise ganz besondere Störungen wie Narzissmus und Psychopathie (heute nennt man letzteres eine "dissoziale Persönlichkeitsstörung"). Ein paar Drahtzieher im Hintergrund des geschehens wohl auch.

Aber Nazis waren ja auch all die Menschen des Volkes, die mitgeschrien haben, die Polizisten und Richter und Ärzte, die die Befehle ausführten, ohne die der Nationalsozialismus nicht möglich gewesen wäre. Und die waren ganz normale Menschen. Man hatte sie mit professioneller Propaganda dahingehend beeinflusst, genau so zu handeln, wie man das wollte.

Derselben Frage, die du hier stellst, ist übrigens auch ein berühmter Psychologe nachgegangen: Stanley Milgram. Er hat dazu ein Experiment gemacht, das sogenannte Milgram Experiment, das als eines der berühmtesten Experimente innerhalb der Psychologie zählt.

Dieses Experiment brachte zum Vorschein, dass es keine so große Frage nach den Menschen ist, die dabei mitmachen, sondern im Großen und Ganzen eine Frage der Manipulation dieser Menschen anhand von Prinzipien, die so ziemlich auf alle Menschen wirken.

Die Nazis führten einen Ausnahmezustand herbei, eine Krise. Sie schürten Angst. Sie sagten da ist eine große Gefahr für die Volksgesundheit (unarische Menschen und deren Erbgut), und diese Gefahr für die Volksgesundheit müsse unbedingt entfernt werden. Durch Angst bekommen Menschen einen Tunnelblick. Zudem klammern sie sich an Autoritätsfiguren. Dies nutzten die Autoritätsfiguren dann aus, um den Menschen zu sagen, es wäre alternativlos und nur dies und jenes führe aus der Krise wieder heraus. Sie fanden Sündenböcke. Den braven Menschen, die sich an die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise hielten, sagten sie, dass sie besonders toll seien und appellierten an deren Geltungsstreben. Auf der anderen Seite hielten sie Sündenböcke. Das kam den Menschen gelegen, sie konnten für alles mögliche die Sündenböcke verantwortlich machen und sich selbst einbilden, sie wären etwas besonderes, indem sie sich über die Sündenböcke erhoben. Konformität der Menschen erreichte man, indem man sagte, man müsse zusammenhalten, "damit wir zusammen stark sind", man solle sozial sein, man könnte auch sagen "solidarisch", also auf deutsch, niemand darf aus der Reihe tanzen. Konformität kann man auch erreichen, indem man bestimmte oberflächliche Symbole oder Verhaltensweisen zur Pflicht macht. Es wurden bei Paraden Menschen geohrfeigt, wenn sie nicht den Hitlergruß ausführten. Das trickreiche daran ist der Fundamentale Attributionsfehler, der Neigung von Menschen, das Verhalten anderer überzogen auf deren Persönlichkeit zurückzuführen anstatt auf deren situative Faktoren. Das bedeutet, selbst wenn die Menschen wissen, dass man dazu gezwungen wird, den Gruß auszuführen, denken sie, diese Menschen würden alle dem Nationalsozialismus zustimmen, deshalb machen sie den Hitlergruß. Dieses Prinzip funktioniert gerade so gut mit anderen oberflächlichen Symbolen, es könnten auch rosa Hüte sein oder Tücher um den Hals, hauptsache es ist ein Symbol für das Regime und die Leute werden gezwungen, dieses Symbol zu tragen. Den Widerstand zerschlugen sie durch False Flag Attacken: Kriminalität und Gewalt schrieb man dem Widerstand zu, auch wenn es gar nicht aus dem Lager des Widerstandes kam, oder man griff den eigenen Reichstag an ("Reichstagsbrand"), um die Menschen in Aufruhr zu bringen, und behauptete, der Feind wäre es gewesen. Man benutzte eine überzogene Darstellung des Widerstands als Strohmann-Argumente, und diese überzogene Darstellung zerschlug man argumentativ. Damit die Menschen nicht kritisch über all das nachdachten, erließ man Gesetze, die die Menschen frustrierten. Z. B. dass sie bestimmte Dinge nicht mehr tun dürfen, die ihnen Spaß macht. Diese Gesetze ändern sich häufig, so dass sich die Menschen ständig umstellen müssen. Das zermürbt Menschen und führt zur sogenannten Ego Depletion, der Ich-Schwächung. Die Menschen haben dann nicht mehr ausreichend Energie übrig in ihrem kritischen Denken, was im Präfrontalcortex abläuft. Dieselbe Energie, die eben aufgewendet wird, um Bedürfnisse aufzuschieben, sich zusammenzureißen. Das alles unterbreitet man seinen Propagandaopfern stets unter einem Zeitdruck, "es muss schnell und gründlich gehandelt werden, sonst ist es zu spät" meinte Goebbels, und "es war zwei Minuten vor Zwölf", heute würde man sagen "es war fünf vor Zwölf". Gepaart mit der nicht falsifizerbaren Horrorvorstellung "hätten wir nicht dies und jenes unternommen, um die Gefahr einigermaßen abzuwehren, dann wäre es noch viel schlimmer gekommen."

Dieses Vorgehen ist nicht beschränkt auf den Nationalsozialismus. Es lässt sich in sämtlichen totalitären Regimen beobachten. Mit etwas unterschiedlichen Schwerpunkten. Um sich gegen solche Regime zur Wehr setzen zu können, ist es wichtig, die Geschichte des Nationalsozialismus zu kennen und vor allem auch die psychologischen Prinzipien zu kennen, mit denen er funktioniert. Denn mit derselben Mode kommt er nie wieder, aber mit anderer Mode. Ein zweiter Faschismus würde sich sogar vom Nationalsozialismus heuchlerisch abgrenzen, damit niemand auf die Idee kommt, dass sie sich gerade in einem weiteren Faschismus befinden.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Psychologie, Erziehung

Ein paar sicher, wenn auch vermutlich nicht diagnostiziert.