Um welche Textart handelt es sich?

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Wie in vielen seiner Kurzgeschichten erzählt Wolfgang Borchert in "Nachts schlafen die Ratten doch" eine Episode aus dem Zweiten Weltkrieg, wobei er seinen Fokus ausschließlich auf die Opfer des Krieges richtet und exemplarisch ihr Leiden zeigt. Die politisch-historischen Rahmenbedingungen werden konnotiert, aber nicht explizit ausgeführt. Das Geschehen lässt sich weder zeitlich noch örtlich genau einordnen. Die Protagonisten werden in ihrer Persönlichkeit nicht näher ausgeführt, sie bleiben Typen („der Junge“, „der Mann“). Lediglich der Junge erhält im Verlauf der Erzählung einen Eigennamen.

Die Erzählung hat einen offenen Anfang und Schluss, wie es typisch für Kurzgeschichten der Nachkriegsliteratur ist. Sie steht in der Er-Form, nimmt aber die Perspektive des Jungen ein, wobei der Altersunterschied durch die räumliche Position der Figuren zueinander (der stehende Mann, das sitzende Kind) zusätzlich betont wird. Die Begegnung im Zentrum der Erzählung ist als Dialog komponiert; ein beschreibender oder gar kommentierender Erzähler tritt in den Hintergrund. Dadurch erhält die Konfrontation der beiden Protagonisten die dramatische Form einer Theaterszene, des Mediums, von dem Borchert als Schauspieler und Theaterregisseur ursprünglich kam.

Sprachlich ist die Kurzgeschichte durch das „kunstlose Stakkato der Kahlschlag-Prosa“ bestimmt. Typische rhetorische Stilmittel sind die Wiederholung und die Farbsymbolik. Mittels Metaphern und Vergleichen gestaltet Borchert das expressionistische Anfangsbild, das als Hintergrund und Rahmen der Geschichte fungiert. Die Trümmer werden mit Verben wie „gähnte“ und „döste“ personifiziert, während sich die Gefühle der Personen durch Dinge ausdrücken (die unruhigen Beine, der schwenkende Korb). Es dominiert die Alltagssprache, wobei der Mann sich im Sprachgebrauch dem Jungen anpasst. Die Tempora Präteritum (in den erzählenden Passagen) und Präsens (im Dialog) lösen sich im rhythmischen Gleichmaß ab. Ohne die Bedrängnisse der Protagonisten zu psychologisieren, wird durch die knappen Dialoge das innere Geschehen, insbesondere der Wandel des Jungen, dargestellt. In ihrer Präzision lässt die Sparsamkeit der erzählerischen Mittel und die Verdichtung der Form an Ernest Hemingway denken.

WP.