Was ist Nietzsches Einwand gegen "cogito ergo sum"?

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

hi wombatini - Nietzsche kritisierte den Satz, weil er 1. stillschweigend voraussetzt, dass es sowas wie ein "Ich" gibt, 2. dass es so eine Aktivität wie "Denken" gäbe und 3. dass dieses vorausgesetzte "Ich" wüsste was das "Denken" ist. Er schlug vor, eher zu sagen "es denkt" so ähnlich wie man sagt es regnet. Da sieht man, dass Nietzsche eher philosophierte wie Schopenhauer, und dass Nietzsche auch buddhistische Philosophie kannte

suziesext04  06.11.2015, 12:44

hi wombatini - danke für den Stern. Accepi laudem, ergo sum :)

0

In jenem berühmten cogito steckt 1) es denkt 2) und ich glaube, daß ich es bin, der da denkt, 3) aber auch angenommen, daß dieser zweite Punkt in der Schwebe bliebe, als Sache des Glaubens, so enthält auch jenes erste „es denkt“ noch einen Glauben: nämlich, daß „denken“ eine Thätigkeit sei, zu der ein Subjekt, zum mindesten ein „es“ gedacht werden müsse: — und weiter bedeutet das ergo sum nichts! Aber dies ist der Glaube an die Grammatik, da werden schon „Dinge“ und deren „Thätigkeiten“ gesetzt, und wir sind ferne von der unmittelbaren Gewißheit.

Das ist der Textausschnitt. Albrecht hat den ganzen reibgestellt, aber wir haben nur diesen Teil.

Nietzsche bezweifelt, dass man aus zu einem Aussagesatz geformten Worten, die je selbst nicht eindeutig sind, eine Gewissheit ziehen könne. Die Schlussfolgerung von "Ich denke, also bin ich." hat das Problem, dass "ich bin" bereits in der Annahme des "ich" drinsteckt. Entferne ich das ich aus dem ersten Teil z.B. durch die rein passive Aussage "Es wird gedacht", dann fällt die Schlussfolgerung in sich zusammen. Der Aussagesatz "Ich denke" macht nur Sinn, wenn die Existenz des ich bereits vorausgesetzt wird. Genauso kann man dann noch das Wort denken hinterfragen in seinen Bedeutungen und fragen, wie aus dieser speziellen Tätigkeit mehr als aus anderen Tätigkeiten einer Person eine Existenzgewissheit abgeleitet werden kann.

Descartes und das denkende Ich

Bei René Descartes hat die Aussage (ego cogito, ergo sum bzw. ähnliche Formulierungen) mehrere Funktionen:

  • Grenze für einen radikalen Zweifel
  • Einführung von Klarheit und Deutlichkeit als Wahrheitskriterien
  • Erreichen einer sicheren Grundlage für ein System des Wissens/Erkennens

Zweifeln ist eine Art des Denkens. Wenn (solange und insofern) ich zweifle, ob ich existiere, denke ich, und wenn ich denke, gibt es mich. Die Annahme der eigenen Existenz hält einem radikalem Zweifel Stand.

Die Folgerung ist eine Anwendung des Satzes vom (zu vermeidenden) Widerspruch. Sie ist eine gedanklich-begriffliche Notwendigkeit. Daher wird sie von Descartes als selbstevident (aus sich heraus offenkundig) verstanden. Er beurteilt den Satz als äußerst klare und deutliche Erkenntnis.

Selbst die eigene Existenz als nicht vorhanden anzunehmen, ist nicht vernünftig durchführbar. Was allerdings in philosophischen Erörterungen in Frage gestellt werden kann, ist das „Ich“ und seine Beschaffenheit, insbesondere das Ansetzen des denkenden Dings als eine Substanz.

Einwände Nietzsches

In der Frage ist der Nietzsche-Text nicht genannt, den es zu verstehen gilt.Friedrich Nietzsche äußert mehrere Einwände gegen den von Descartes vorgelegten Gedankengang. Dabei weist er auf Voraussetzungen hin, die seiner Meinung nach nicht selbstverständlich sind, sondern kühne Behauptungen, deren Begründung schwierig ist. Nietzsche hält sie für Annahmen, die Glauben sind, keine Gewißheit.

1) nur geglaubte Voraussetzung: das Denken wird einem Ich zugeschrieben 2) nur geglaubte Voraussetzung: Existenz eines Etwas, das denkt

Nietzsche hält eine Begründung für schwierig, „dass überhaupt ein Etwas es sein muss, das denkt“.

3) nur geglaubte Voraussetzung eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs: Denken ist eine Tätigkeit und Wirkung seitens eines Wesens, welches als Ursache zu denken ist 4) nur geglaubte Voraussetzung: Es gibt ein Ich

Ein sprachphilosophisches Argument liegt darin, die Sprache verführe zu Annahmen, nämlich die Grammatik mit ihrer Subjekt- Prädikat- Struktur in Aussagesätzen. Diese nötige dazu, bei jedem Ereignis nach einem Subjekt zu suchen, das Täter ist. Dies führt zu einem Glauben an ein Subjekt als Träger des Denkens, das Ich. Sogar wenn „es denkt“, oder „es wird gedacht“ gesagt wird, bleibt ein Restbestand einer Auslegung des Vorgangs, die nicht zum Vorgang selbst gehört.

Nur wenn ein Ich dem Vorgang des Zweifelns und Denkens zugrundeliegt, kann die Existenz dieses Ichs gefolgert werden.

Nietzsche meint, wie sich an anderen Stellen zeigt, das „Ich“ sei nur als Wort eine Einheit. Das Subjekt sei als Vielheit aufzufassen. Er wendet sich gegen eine Deutung des Ichs als denkende Substanz (Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft (1886). Vorrede, wird unter anderem abgelehnt ein „Seelen-Aberglaube, der als Subjekt- und Ich-Aberglaube auch heute noch nicht aufgehört hat, Unfug zu stiften“).

5) nur geglaubte Voraussetzung: Wissen, was „denken“ ist 6) nur geglaubte Voraussetzung: Wissen, was „sein“ ist 7) Gegenthese: Es gibt keine unmittelbaren Gewißheiten

Nietzsche vertritt die Auffassung, es sei unmöglich, ein Ding rein an sich, ganz unverfälscht zu fassen zu bekommen. Auch im Fall einer Wahrheit von cogito, ergo sum sei der Satz nicht unmittelbar, sondern durch Urteile vermittelt, und er beruhe auf Voraussetzungen, z. B. der Unterscheidung der Begriffe „denken“ und „sein“ von anderen Begriffen.

Albrecht  02.11.2015, 07:38

Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft (1886). Erstes Hauptstück: von den Vorurtheilen der Philosophen. Nr. 16:

„Es giebt immer noch harmlose Selbst-Beobachter, welche glauben, dass es „unmittelbare Gewissheiten“ gebe, zum Beispiel „ich denke“, oder, wie es der Aberglaube Schopenhauer’s war, „ich will“: gleichsam als ob hier das Erkennen rein und nackt seinen Gegenstand zu fassen bekäme, als „Ding an sich“, und weder von Seiten des Subjekts, noch von Seiten des Objekts eine Fälschung stattfände. Dass aber „unmittelbare Gewissheit“, ebenso wie „absolute Erkenntniss“ und „Ding an sich“, eine contradictio in adjecto in sich schliesst, werde ich hundertmal wiederholen: man sollte sich doch endlich von der Verführung der Worte losmachen! Mag das Volk glauben, dass Erkennen ein zu Ende-Kennen sei, der Philosoph muss sich sagen: „wenn ich den Vorgang zerlege, der in dem Satz „ich denke“ ausgedrückt ist, so bekomme ich eine Reihe von verwegenen Behauptungen, deren Begründung schwer, vielleicht unmöglich ist, — zum Beispiel, dass ich es bin, der denkt, dass überhaupt ein Etwas es sein muss, das denkt, dass Denken eine Thätigkeit und Wirkung seitens eines Wesens ist, welches als Ursache gedacht wird, dass es ein „Ich“ giebt, endlich, dass es bereits fest steht, was mit Denken zu bezeichnen ist, — dass ich weiss, was Denken ist. Denn wenn ich nicht darüber mich schon bei mir entschieden hätte, wonach sollte ich abmessen, dass, was eben geschieht, nicht vielleicht „Wollen“ oder „Fühlen“ sei? Genug, jenes „ich denke“ setzt voraus, dass ich meinen augenblicklichen Zustand mit anderen Zuständen, die ich an mir kenne, vergleiche, um so festzusetzen, was er ist: wegen dieser Rückbeziehung auf anderweitiges „Wissen“ hat er für mich jedenfalls keine unmittelbare „Gewissheit“. — An Stelle jener „unmittelbaren Gewissheit“, an welche das Volk im gegebenen Falle glauben mag, bekommt dergestalt der Philosoph eine Reihe von Fragen der Metaphysik in die Hand, recht eigentliche Gewissensfragen des Intellekts, welche heissen: „Woher nehme ich den Begriff Denken? Warum glaube ich an Ursache und Wirkung? Was giebt mir das Recht, von einem Ich, und gar von einem Ich als Ursache, und endlich noch von einem Ich als Gedanken-Ursache zu reden?“ Wer sich mit der Berufung auf eine Art Intuition der Erkenntniss getraut, jene metaphysischen Fragen sofort zu beantworten, wie es Der thut, welcher sagt: „ich denke, und weiss, dass dies wenigstens wahr, wirklich, gewiss ist“ — der wird bei einem Philosophen heute ein Lächeln und zwei Fragezeichen bereit finden. „Mein Herr, wird der Philosoph vielleicht ihm zu verstehen geben, es ist unwahrscheinlich, dass Sie sich nicht irren: aber warum auch durchaus Wahrheit?“ —“

Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft (1886). Erstes Hauptstück: von den Vorurtheilen der Philosophen. Nr. 17:

„Was den Aberglauben der Logiker betrifft: so will ich nicht müde werden, eine kleine kurze Thatsache immer wieder zu unterstreichen, welche von diesen Abergläubischen ungern zugestanden wird, — nämlich, dass ein Gedanke kommt, wenn „er“ will, und nicht wenn „ich“ will; so dass es eine Fälschung des Thatbestandes ist, zu sagen: das Subjekt „ich“ ist die Bedingung des Prädikats „denke“. Es denkt: aber dass dies „es“ gerade jenes alte berühmte „Ich“ sei, ist, milde geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor Allem keine „unmittelbare Gewissheit“. Zuletzt ist schon mit diesem „es denkt“ zu viel gethan: schon dies „es“ enthält eine Auslegung des Vorgangs und gehört nicht zum Vorgange selbst. Man schliesst hier nach der grammatischen Gewohnheit „Denken ist eine Thätigkeit, zu jeder Thätigkeit gehört Einer, der thätig ist, folglich —“. Ungefähr nach dem gleichen Schema suchte die ältere Atomistik zu der „Kraft“, die wirkt, noch jenes Klümpchen Materie, worin sie sitzt, aus der heraus sie wirkt, das Atom; strengere Köpfe lernten endlich ohne diesen „Erdenrest“ auskommen, und vielleicht gewöhnt man sich eines Tages noch daran, auch seitens der Logiker ohne jenes kleine „es“ (zu dem sich das ehrliche alte Ich verflüchtigt hat) auszukommen.“

3
Albrecht  02.11.2015, 07:50

Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift (1887). Erste Abhandlung. Nr. 13:

„Ein Quantum Kraft ist ein eben solches Quantum Trieb, Wille, Wirken — vielmehr, es ist gar nichts anderes als eben dieses Treiben, Wollen, Wirken selbst, und nur unter der Verführung der Sprache (und der in ihr versteinerten Grundirrthümer der Vernunft), welche alles Wirken als bedingt durch ein Wirkendes, durch ein „Subjekt“ versteht und missversteht, kann es anders erscheinen. Ebenso nämlich, wie das Volk den Blitz von seinem Leuchten trennt und letzteres als Thun, als Wirkung eines Subjekts nimmt, das Blitz heisst, so trennt die Volks-Moral auch die Stärke von den Äusserungen der Stärke ab, wie als ob es hinter dem Starken ein indifferentes Substrat gäbe, dem es freistünde, Stärke zu äussern oder auch nicht. Aber es giebt kein solches Substrat; es giebt kein „Sein“ hinter dem Thun, Wirken, Werden; „der Thäter“ ist zum Thun bloss hinzugedichtet, — das Thun ist Alles.“

Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 40 [23] (August – September 1885):

„Seien wir vorsichtiger als Cartesius, welcher in dem Fallstrick der Worte hängen blieb. Cogito ist freilich nur Ein Wort: aber es bedeutet etwas Vielfaches: manches ist vielfach, und wir greifen derb darauf los, im guten Glauben, daß es Eins sei. In jenem berühmten cogito steckt 1) es denkt 2) und ich glaube, daß ich es bin, der da denkt, 3) aber auch angenommen, daß dieser zweite Punkt in der Schwebe bliebe, als Sache des Glaubens, so enthält auch jenes erste „es denkt“ noch einen Glauben: nämlich, daß „denken“ eine Thätigkeit sei, zu der ein Subjekt, zum mindesten ein „es“ gedacht werden müsse: — und weiter bedeutet das ergo sum nichts! Aber dies ist der Glaube an die Grammatik, da werden schon „Dinge“ und deren „Thätigkeiten“ gesetzt, und wir sind ferne von der unmittelbaren Gewißheit. Lassen wir also auch jenes problematische „es“ weg und sagen wir cogitatur als Thatbestand ohne eingemischte Glaubensartikel: so täuschen wir uns noch einmal, denn auch die passivische Form enthält Glaubenssätze und nicht nur „Thatbestände“: in summa, gerade der Thatbestand läßt sich nicht nackt hinstellen, das „Glauben“ und „Meinen“ steckt in cogito des cogitat und cogitatur: wer verbürgt uns, daß wir mit ergo nicht etwas von diesem Glauben und Meinen herausziehn und daß übrig bleibt: es wird etwas geglaubt, folglich wird etwas geglaubt — eine falsche Schlußform! Zuletzt müßte man immer schon wissen, was „sein“ ist, um ein sum aus dem cogito herauszuziehn, man müßte ebenso schon wissen; was wissen ist: man geht vom Glauben an die Logik — an das ergo vor Allem! — aus, und nicht nur von der Hinstellung eines factums! — Ist „Gewißheit“ möglich im Wissen? ist unmittelbare Gewißheit nicht vielleicht eine contradictio in adjecto? Was ist Erkennen im Verhältniß zum Sein? Für den, welcher auf alle diese Fragen schon fertige Glaubenssätze mitbringt, hat aber die Cartesianische Vorsicht gar keinen Sinn mehr: sie kommt viel zu spät. Vor der Frage nach dem „Sein“ müßte die Frage vom Werth der Logik entschieden sein."

Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 40 [24] (August – September 1885):

„Es giebt keine unmittelbaren Gewißheiten: cogito, ergo sum setzt voraus, daß man weiß, was „denken“ ist und zweitens was „sein“ ist: es wäre also, wenn das est (sum) wahr wäre, eine Gewißheit auf Grund zweier richtiger Urtheile, hinzugerechnet die Gewißheit, daß man ein Recht überhaupt zum Schlusse, zum ergo hat — also jedenfalls keine „unmittelbare“ G<ewißheit>. Nämlich: in cogito steckt nicht nur irgend ein Vorgang, welcher einfach anerkannt wird — dies ist Unsinn! —, sondern ein Urtheil, daß es der und der Vorgang ist, und wer z.B. nicht zwischen denken fühlen und wollen zu unterscheiden wüßte, könnte den Vorgang gar nicht constatiren. Und in sum oder est steckt immer noch eine solche begriffliche Ungenauigkeit, daß noch nicht einmal damit fit oder „es wird“ abgelehnt ist. „Es geschieht da etwas“, könnte an Stelle von „da giebt es etwas, da existirt etwas, da ist etwas“ gesetzt werden.“

3