ist das eine gute Gedichtanalyse?

1 Antwort

Darf ich der Vollständigkeit halber die Quelle deiner Ausführungen nennen: https://www.gutefrage.net/frage/reiner-kunze-die-mauer

Ganz ehrlich, mir gefällt dein Text nicht wirklich. Mir gefällt aber auch vieles in deiner Quelle nicht. Da ist zu viel, was am Text nicht belegt werden kann bzw. nicht am Text belegt wird.

Das fängt schon damit an, dass es im Gedicht selbst keinen Hinweis darauf gibt, dass es sich um die deutsch-deutsche Mauer handelt. Dass man das Gedicht aufgrund der Entstehungszeit darauf beziehen kann, ist schon klar, aber der Zusammenhang mit einem geschichtlichen Hintergrund muss in der Interpretation explizit genannt werden. Gleiches gilt bspw. für die Verortung der Menschen im Osten und Westen. Du musst da mehr belegen oder zumindest den gedanklichen Zusammenhang verbalisieren.

"Schleifen" würde ich hier als "abtragen", nicht als "aufbauen" verstehen. Wenn man etwas schleift, nimmt man etwas weg. Zudem steht "wir hatten uns gewöhnt" im Plusquamperfekt, also zeitlich vor "wir schleiften" (Präteritum). Wenn mit "schleifen" der Maueraufbau gemeint wäre, stünde das im Plusquamperfekt.

Du beschreibst den Strophenaufbau, aber nicht die Wirkung. Zwei Beispiele:

  • Strophe 1: Als wir sie schleiften, ahnten wir nicht, // wie hoch sie ist // in uns. Das "in uns" hätte locker in die zweite Zeile gepasst, es steht dort aber nicht, weil der Zeilensprung hier die Pointe ist. Sie ist nicht nur physisch hoch, sondern sie ist auch psychisch hoch.
  • Strophe 3: Und an die Windstille. Das hätte doch auch locker noch in der zweiten Strophe stehen können - die erste Strophe hat schließlich auch drei Verse, und die 3. Strophe ist eigentlich der letzte Satzteil der zweiten Strophe. Warum also diese dritte Strophe? Weil sie alleine steht. Der Vers verhallt in der Stille, davor und danach kommt nichts.

Zur Doppeldeutigkeit: Nicht nur die Mauer selbst ist physisch und psychisch zu verstehen, sondern auch der Horizont, der Schatten und Windstille. Du überträgst jedoch nur. Der Horizont fehlt in deinem Text übrigens. Eine Mauer markiert tatsächlich den Horizont, weil man nicht darüber sehen kann (>> physisch); wenn ich an den übertragenen Sinn denke, fällt mir sofort die Redewendung "einen beschränkten Horizont haben" ein, denn natürlich: Kontakte zwischen Ost und West waren verboten. Die Windstille spürt man physisch, wenn man direkt neben der Mauer steht - im übertragenen Sinn gibt es keinen Sturm mehr, aber auch keinen frischen Wind. Da ist einfach Stille - nicht nur Windstille. Und natürlich spendet eine Mauer tatsächlich physisch Schatten - auch im übertragenen Sinn (als Schutz). Ein Schatten macht aber auch unsichtbar, ein eigener Schatten geht in einem größeren Schatten (der Mauer) aber auch unter.

Der Schluss stimmt übrigens nicht bei "Außerdem fällt (weglassen) besonders auf, dass das Wort "Mauer" gar nicht im Gedicht vorkommt (Ausnahme: Titel), (Komma) sondern (weglassen) immer durch ein Pronomen ersetzt wird, [was so ist , weil nicht nur die "materielle" Mauer gemeint ist, (Komma) sondern auch die Mauer , die in den Köpfen und Herzen der Menschen ist, die dazu führt, dass die Menschen im Osten und Westen (weglassen) verschiedene Sichtweisen entwickeln.". Es ist gut, dass die Pronomen aufgefallen sind, aber sie bewirken ja nicht die Doppeldeutigkeit. Vielmehr reicht es, dass die Mauer im Titel erwähnt wird; durch den Titel und die Pronomen ist sie omnipräsent.

Und die Entschuldigung lässt sich nicht nur auf den nicht-vorhandenen Kontakt beziehen. Entblößt - weder Schutz durch die Mauer noch Berufung auf Gesetze. Man ist wieder sichtbar, man darf wieder. Und mir drängt sich auch noch die Schleife zum Anfang auf: wie hoch sie ist // in uns.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Es gibt keinen Anspruch auf Dank. Ich freu mich nur darüber.