Erklärung vom Begriff Machtergreifung?

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Hitler wurde am 30. Januar als Reichskanzler eingesetzt und somit kam er eng betrachtet mit legalen Mitteln an die Macht. Die "Bruchstellen" wie Auflösung des Reichstages und Notverordnung ließ die Weimarer Republik bereits zu. Die legale Revolution galt eher als Ausdruck um das Volk inkl. aller Institutionen nicht zu verunsichern.

Das Ermächtigungsgesetz war ein wichtiger Bestandteil der "Machtergreifung" und Grundlage für die Errichtung einer nationalsozialistischen Diktatur. Dies war gleichbedeutend mit der Selbstentmachtung des Parlaments, was die Aufhebung der Weimarer Verfassung bedeutete. Das NS-Regime übernahm auch die Legislative und konnte ab sofort Gesetze verabschieden welche die Verfassung entscheidend änderten.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Geschichte Schwerpunkt Deutsches Reich / Nationalsozialismus
xXMiuXx 
Fragesteller
 03.01.2022, 15:51

Danke!! Wenn ich das so hin schreibe als erklärung von der "Machtergreifung" wäre es richtig?

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Der Begriff "Machtergreifung" ist historisch unkorrekt, weil er einen Staatsstreich mit gewaltsamer Machtübernahme suggeriert. Hitler kam jedoch vollkommen legal an die Macht, durch seine Ernennung zum Reichskanzler durch den greisen Reichspräsidenten Hindenburg.

Die Weimarer Verfassung hatte zwei "Geburtsfehler":

1.) Fehlen eine 5%-Klausel für den Einzug von Parteien in den Reichstag), sodass zahlreiche kleine Splitterparteien in den Reichstag einzogen ohne dass stabile Koalitionen gebildet werden konnten

2.) Der Reichskanzler wurde nicht vom Reichstag gewählt, sondern gemäß Artikel 53 der Weimarer Verfassung vom Reichspräsidenten ernannt. Dies hat die legale Ernennung Adolf Hitlers durch den greisen Reichspräsidenten Hindenburg erst ermöglicht

Der Reichspräsident konnte die Demokratie aushebeln konnte, indem er

  • den Reichstag nach Gutdünken auflösen konnte
  • den Bundeskanzler ernennen konnte ohne Beteiligung des Reichstags.
  • per Notverordnung Grundrechte aufheben konnte.
  • das Kabinett Brüning regierte so unter Ausschaltung des Reichstages über vom Reichspräsidenten erlassene Notverordnungen

Belastende Faktoren für die Weimarer Republik

  • den Versailler Vertrag nach dem 1. Weltkrieg, der Deutschland sehr harte Bedingungen auferlegte u.A. bzgl. zu leistender Reparatioszahlungen an die Sieger
  • die Weltwirtschaftskrise
  • die dadurch grassierende, massive Arbeitslosigkeit
  • das Zerbrechen der Großen Koalition der bürgerlichen Parteien 1930
  • die Regierungskrise unter dem letzten demokratischen Regierung des Reichskanzlers Brüning, der nur noch über Notverordnungen regieren konnte
  • die Unfähigkeit der demokratischen Parteien, sich auf eine Koalition zu einigen und Gesetze zu verabschieden
  • die komplette Fehleinschätzung über das Naturell und die wahren Ziele Hitlers nicht nu durch bürgerliche Wähler, sondern auch durch andere Politiker, z.B. dem "Steigbügelhalter" Hitlers als Reichskanzler, Franz von Papen: Papens Plan war es, Hitler „einzurahmen“, ihn und seine Stimmen zu kaufen und in Wirklichkeit selbst die Macht auszuüben. Er soll dazu geäußert haben: „In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht!
  • die Annahme, dass Adolf Hitler, einmal in Regierungsverantwortung, vernünftig werden würde.
  • das Klima des politischen Chaos mit teils bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den Großstädten (Strassenschlachten),
  • insbesondere die NSDAP und die KPD lieferten sie sich bei Parteiveranstaltungen des jeweiligen Gegners Saalschlachten oder trugen den Kampf auf die Strasse aus
  • durch die KPD, NSDAP und andere Parteien des rechtsextremen Spektrums entfiel ein hohes Wählerpotenzial auf verfassungsfeindliche Parteie
  • Die Moskau-treue KPD diffamierte die SPD als "Sozialfaschisten", sodass die Linke im Kampf gegen die Rechte gespalten war
  • Ziel der KPD war eine kommunistischen Revolution mit Firmen-Enteignungen und einer Räteregierung
  • die KPD erreichte bei der vorletzten Reichstagswahl am 6.11.1932 ihre höchste Stimmenzahl, sie wurde drittstärkste Partei nach der NSDAP und SPD, siehe die Wahlergebnisse: Ergebnisse der Reichstagswahlen in der Weimarer Republik 1919-1933 | Statista
  • die bürgerliche Auffassung, die NSDAP mit ihrer (wenn auch ungeliebte) SA-Truppe und die seien gegenüber der KPD das kleinere Übel

Entwicklung der Weimarer Republik bis zu ihrem Ende 1933

  • die sehr schlechten Ausgangsvoraussetzungen für die Weimarer Republik nach den Ersten Weltkrieg (Versailler Vertrag, hohe Reparationszahlungen an die Siegermächte)
  • die Geburtsfehler der Weimarer Verfassung (Reichspräsident ernennt Reichskanzler, keine 5% Hürde Sperrklausel – Wikipedia für den Einzug von Parteien in den Reichstag)
  • die rechte Gesinnung auch in bürgerlichen Kreisen der Weimarer Republik, die z.B. zu einer sehr milden Bestrafung Hitlers nach den Hitlerputsch – Wikipedia führte
  • die faktische Beschussunfähigkeit des Reichstages nach Zerbrechen der Großen Koalition 1930
  • die schrittweise Zerstörung der Demokratie 1930-1933 | bpb, das Kabinett Brüning regierte unter Ausschaltung des Reichstages über vom Reichspräsidenten erlassene Notverordnungen
  • die Massenarbeitslosigkeit als Folge der Weltwirtschaftskrise – Wikipedia
  • massiver Stimmenzuwachs der Moskau-treue Kommunistischen Partei KPD / Weimarer Republik (weimarer-republik.net) sie wurde zur drittstärksten Partei.
  • dies trieb Teile des bürgerlichen Lagers zur NSDAP, mit Hitler als dem vermeintlich geringeren Übel
  • keine geschlossene Abwehr des Nationalsozialismus durch die Linke, im Gegenteil, die revolutionär orientierte KPD bekämpfte die verfassungstreue SPD als "Sozialfaschisten"
  • durch teils bürgerkriegsähnliche Zustände in den Großstädten in der Endphase der Weimarer Republik wurde der Ruf nach dem "Starken Mann" mit ordnender Hand laut, für den Hitler die Idealbesetzung zu sein schien

Ohne diese Faktoren wäre die Machtübernahme Hitlers nicht möglich gewesen.

Die Entwicklung der Weimarer Republik 1918-1933 im Einzelnen:

Anfangsphase mit sehr ungünstigen Startvoraussetzungen:

  • Der Niederlage im 1. Weltkrieg bewirkte einen relativ plötzlichen Wechsel von der althergebrachten konstitutionellen Monarchie zur Republik, ohne wirkliche Übergangszeit. Die einstigen Untertanen waren für einen solchen plötzlichen Wechsel in keiner Weise bereit.
  • Den Militärs wie Ludendorff und Hindenburg gelang es erfolgreich, die für Deutschland aussichtslose militärische Lage an der Front zu verschleiern, sodass zwei bewusst gestreute Faschinformationen bereitwillig von der konservativen deutschen Bevölkerung aufgenommen wurden:
  • 1.) die von der "im Felde unbesiegten" kaiserlichen Armee und damit verbunden
  • 2.) die "Dolchstoßlegende", nach der linke politische Umtriebe für die deutsche Niederlage verantwortlich seien, d.h. den deutschen Soldaten den "Dolch in den Rücken" gestoßen hatten
  • Die harschen Bedingungen der Sieger mit der Verpflichtung hohe Reparationszahlungen zu leisten stürzten Deutschland in ein wirtschaftliches Chaos, d.h. extreme Inflation und Arbeitslosigkeit.
  • In München entstand eine Räteregierung, die von Freichors blutig niedergeschlagen wurde, und 1924 erfolgte beim sog. "Marsch zur Feldherrenhalle" der Hitlerputsch mit versuchter Machtübernahme durch die NSDAP.

Vorgeschichte der Weiarer Republik: der Versailler Vertrag

  • Der Versailler Friedensvertrag war zweifellos ein Diktatfrieden der Siegermächte, der durch die hierdurch geschaffenen Ressentiments in der Bevölkerung und die Schwächung der Weimarer Republik sicherlich zum späteren Aufstieg Adolf Hitlers beigetragen hat.
  • Was hierbei jedoch immer völlig in Vergessenheit gerät ist dass das Deutsche Reich der Sowjetunion selbst einen solchen Diktatfrieden aufzwang:
  • Frieden von Brest-Litowsk – Geschichte kompakt (geschichte-abitur.de)
  • "Durch den im März 1918 geschlossenen Friedensvertrag von Brest-Litowsk schied Sowjetrussland aus dem Ersten Weltkrieg aus. Im Oktober 1917 hatten die Bolschewiki das russische Staatssystem in der Oktoberrevolution gestürzt und setzten sich für die Beendigung des Weltkriegs ein. Das Deutsche Reich sah dieses Ereignis als willkommenen Anlass, den Russen einen Diktatfrieden aufzuzwingen. Die Bolschewiki nahmen die Gebietsverluste hin, da sie ihre Macht im eigenen Land etablieren wollten."
  • Der Versailler Vertrag war in seiner extremen Härte kurzsichtig, weil längerfristig die Saat künftiger Konflikte in sich trug. Ich sage bewußt "ich denke, weil das schwer zu beweisen ist. Nach dem zweiten Weltkrieg war die von Adenauer und Charles de Gaulle betriebene Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich war nicht durch einen solchen Vertrag belastet.
  • Der Versailler "Schandfriedens" hatte Deutschland Reparationszahlungen auferlegt, die das vom Krieg geschwächte Deutschland in dieser Höhe wirtschaftlich nicht stemmen konnte. Die diese Reparationszahlungen und der Ruhrkampf durch die Aufnahme von Staatsschulden finanziert werden musten, verstärkte sich die bereits während des 1. Weltkriegs begonnene Geldentwertung zu einer Hyperinflation, die 1923 ihren Höhepunkt hatte, wodurch Sparer ihre kompletten Ersparnisse verloren.
  • Von milderen Bedingungen hätte nicht nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa profitiert, indem Deutschland mit mehr Kaufkraft und stabilerer Währung ein starker Handelspartner und ein großer Absatzmarkt für Produkte anderer europäischer Länder gewesen wäre, zudem ein politisch stabilerer und verlässlicherer Nachbar.
  • Dass die Bedingungen der Sieger für Deutschland hart sein mussten, war nicht anders zu erwarten. Dass die deutsche Delegation aber in keinster Weise irgendwelche Zugeständnisse als Verhandlungserfolg mit nach Hause bringen konnte, sodass sie mit leeren Händen zurückkam, hat mit Sicherheit zur Legendenbildung über den angeblichen "Dolchstoß" der "Novemberverbrecher" mit beigetragen.
  • Die Saat des Revanchismus war aber durch den Versailler Vertrag gesät, und leider ging sie am Ende auf.
  • 2.) Die für Deutschland sehr schlechten Bedingungen des Versailler Friedensvertrags wurden von vielen Deutschen der Weimarer Republik angelastet, die jedoch keine andere Wahl hatte als die Bedingungen der Sieger zu akzeptieren. Andernfalls wäre Deutschland militärisch besetzt worden.
  • Die Saat des Revanchismus war aber durch den Versailler Vertrag gesät, und leider ging sie am Ende auf.

Zeitweilige Besserung der Lage in der Weimarer Republik Mitte der 20er Jahre

Mitte der 20er Jahren konnte Gustav Stresemann in enger Zusammenarbeit mit dem französischen Politiker Aristide Briand Verbesserungen in der Reparationsfrage für Deutschland erreichen, wofür beide 1926 den Friedensnobelpreis bekamen.

  • In der Folge besserte sich zunächst auch die Wirtschaftliche Lage in Deutschland
  • Als Folge hiervon stieg auch die Akzeptanz der Weimarer Republik in Teilen der Bevölkerung
  • national gesinnte Kreise blieben ihr jedoch unverändert feindlselig gegenüber eingestellt.
  • Absturz ins Bodenlose durch die Weltwirtschaftskrise als Voraussetzung für Radikalisierung größerer Bevölkerungsschichten
  • Der Rechtsextremismus war eine Belastung für die Weimarer Republik, weil ihm das wirtschaftliche und politische Chaos einen geeigneten Nährboden bereitete
  • Ausgelöst durch den New Yorker Börsencrash im Oktober 1929 und der daraus entstehenden Weltwirtschaftskrise fand die günstige Wirtschaftslage in der Weimarer Republik ein jähes Ende
  • Dies stürzte die Weimarer Republik erneut ins wirtschaftliche und politische Chaos
  • Die Arbeitslosigkeit erreichte neue Höchstwerte und stürzte Arbeiter wie Teile der Mittelklasse in die Armut
  • nur die wenigen Reichen waren kaum betroffen, hierdurch soziale Schieflage

Zunehmende Radikalisierung in der Weimarer Republik nach der Weltwirtschaftskrise

  • Rechtsextreme waren jedoch nicht die einzigen Feinde der Weimarer Republik, sondern auch die stark von Moskau beeinflussten und finanzierten Kommunisten (KPD) waren eine extreme Belastung während der Endphase der Weimarer Republik, weil sie die politisch relevante Bühne de facto auf die Strasse trugen und eine Destabilisierung des Staates aktiv anstrebten
  • Die Weimarer Republik schlitterte durch die Aufsplitterung in zahllose kleine Splitterparteien in die Unregierbarkeit
  • Die letzte demokratisch gewählte Regierung Brüning regierte unter effektiver Auschaltung der gesetzgebenden Reichstags per Notverordnungen, was sich durch die fast auf Null gesunkene Anzahl an vom Reichstag beschlossenen Gesetze während der Ära Brüning zweifelsfrei belegen lässt
  • Der Ruf nach einer starken ordnenden Hand wurde laut
  • Die chaotischen Verhältnisse lieferten den Nährboden für Radikale verfassungsfeindliche Parteien wie die NSDAP und die KPD und lieferten sich Saal- und Straßenschlachten.
  • Angst vor der Machtübernahme der von Moskau gesteuerten und finanzierten Kommunisten brachte auch brave Bürger dazu, die radikale NSDAP unter Hitler als geringeres Übel zu wählen.
  • Dieses Vermeidungswähler-Verhalten im bürgerlichen Lager liess das Wählerpotenzial der nationalsozialistischen NSDAP über ihre tatsächliche Anhängerschaft hinaus deutlich anwachsen

Schrittweiser Untergang der Weimarer Republik

  • Durch den Tod Gustav Stresemanns 1929 verliert die DVP ihre strategische Führung und die hauptsächliche integrativ wirkende Persönlichkeit, das Koalitionsende ist abzusehen. Die Große Koalition zerbricht bereits 1930 an der mangelnden Kompromissbereitschaft der Parteien bezüglich sozialpolitischer Fragen wie der Arbeitslosenversicherung..
  • Das Ende der Großen Koalition 1930: Die Selbstaufgabe der Demokratie | vorwärts (vorwaerts.de)
  • Die letzte demokratisch legitimierte Regierung unter Reichskanzler Brüning regierte unter Ausschaltung des Reichstags mit vom Reichspräsidenten erlassenen Notverordnungen. Damit nahm die Macht des Reichspräsidenten praktisch diktatorische Züge an, die Demokratie war praktisch ausgehebelt, der Reichstag erliess so gut wie keine Gesetze mehr. damit war der erste Schritt zur Abschaffung der Demokratie erfolgt.
  • Einer der Geburtsfehler der Weimarer Republik (neben dem Fehlen eine 5%-Klausel für den Einzug von Parteien in den Reichstag) war zudem die Tatsache, dass der Reichskanzler nicht vom Reichstag gewählt, sondern gemäß Artikel 53 der Weimarer Verfassung vom Reichspräsidenten nach Gutdünken ernannt wurde.
  • dies hat die legale Ernennung Adolf Hitlers durch den greisen Reichspräsidenten Hindenburg erst ermöglicht.
  • Hindenburg schätzte Hitler keineswegs, nannte ihn ebenso abschätzig wie fälschlicherweise den "böhmischen Gefreiten" nannte, keineswegs.
  • Er wurde jedoch von seinem Sohn Oskar von Hindenburg – Wikipedia so lange überredet, bis er schließlich einwilligte, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. 
  • Auch Franz von Papen – Wikipedia, sprach sich gegenüber dem Reichspräsidenten Hindenburg für die Ernennung Adolf Hitlers als Reichskanzler aus. Von Papen strebte die Abschaffung der Demokratie an, wollte in Deutschland einen autoritären Staat errichten und war der irrigen Ansicht, auf dem Weg dorthin Adolf Hitler für seine Zwecke gebrauchen zu können, ihn "einzu rahmen", wie er sich ausdrückte. Weit gefehlt, wie wir heute wissen.
  • Dadurch und nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 – Wikipedia war der Weg in die Diktatur Adolf Hitlers geebnet

Die Nazis benutzten diesen Begriff eher selten. Sie sprachen lieber vom "Tag der nationalen Erhebung", dem 30.01.1933.

Die meisten Historiker benutzen heutzutage passendere Begriffe - wie zum Beispiel "Machtübertragung".

Gruß, earnest