Dichtung im Metrum schreiben

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Wenn du weißt, wie Worte betont werden, ist das schon die halbe Miete. Dann benötigst du einen möglichst großen Wortschatz an Synonymen und auch an Füllwörtern, damit du es metrisch korrekt zusammenbauen kannst, sowie ein gewisses Verständnis von Betonung im Gesamtsatz beim normalen Sprechen und beim Dichten. Sprachgefühl ist das A und O. Ein Beispiel: Du willst im Jambus den Satz "Ich hatte das Gefühl, als würde die ganze Welt den Atem anhalten" ausdrücken. Jambus ist unbetont-betont, "ich" und "das" lässt sich auf beide Arten betonen, der Anfang kann also schonmal stehen bleiben, da "hatte" und "Gefühl" in den Rhythmus passen: "Ich hatte das Gefühl". Auch das "als würde" passt theoretisch noch rein, aber wenn ich mit "die Welt" weitermache, komm ich ins daktylische. Also muss ich entweder "als würde" oder "die Welt" ändern. Z.B. so: "als würde allem in der Welt der Atem stocken" - Synonym für Atem anhalten: Atem stocken. Drückt ein bisschen was anderes aus, da "den Atem anhalten" aktiver ist, da kommt es darauf an, was ich letztlich inhaltlich ausdrücken will. Geht es z.B. um eine Reaktion auf etwas Überraschendes, ist das Atemanhalten genauso unwillkürlich, man kann es also ersetzen. Wöllte ich hingegen darüber sprechen, dass man den Atem anhält, um z.B. jemanden nicht zu stören oder um zu tauchen, dann ginge das nicht und ich müsste mir etwas anderes einfallen lassen. Alternativ könnte ich auch den Satz umstellen: "als hielte alle Welt den Atem an". Jetzt ist der Satz komplett im Jambus, klingt aber für ein Gedicht immer noch seltsam. Warum? Weil er zu lang ist und nichts drumrum steht (z.B. weitere Zeilen). Im normalen Redefluss würde man "Ich hatte das Gefühl, als hielte alle Welt den Atem an" nicht auf jeder zweiten Silbe betonen, sondern einen "Redeschwung" in Richtung der zweiten Satzhälfte machen, also z.B. "ich hatte das Gefühl" so betonen: "Ich hatte das Gefühl". Im Gedicht sieht das schon etwas anders aus, da kann es z.B. heißen:
Ich hatte das Gefühl,
als hielte alle Welt den Atem an,
es schien mir im Gewühl
der Menschen so als wär ich auch bald dran.
3 Hebungen, 5 Hebungen, 3 Hebungen, 5 Hebungen (und ein Enjambement), ein Schema, das ich mit etwas Arbeit auf ein ganzes Gedicht ausweiten kann. Wenn ich es nun "grader" haben will, also gleiche Anzahl an Hebungen, dann vielleicht so:
Ich hatte das Gefühl, die Welt erstarre,
derweil sie auf ein neues Leben harre.
Je 5 Hebungen, allerdings musste ich den Satz ändern. Den zweiten Teil hab ich einfach wegen des Reims geändert, mit etwas mehr Umstand könnte ich wohl auch denselben Inhalt wie oben hindrehen.
Das klingt etwas so, als müsse man ständig Kompromisse eingehen und würde letztlich was völlig anderes ausdrücken, als man ursprünglich meinte, nur damit es im Metrum ist. Da sage ich: ja und nein. Wenn du genau die Wortwahl beibehalten willst, für die du dich entschieden hast, um deinen Inhalt auszudrücken, die aber eben nicht metrisch ist, dann schreib halt Prosa oder ein modernes Gedicht. Das Metrum ist aber selbst ein Stilmittel, es drückt auch etwas aus, genauso wie deine Fähigkeit, mit ihm zu arbeiten, etwas ausdrückt. Und inhaltlich kommt es einem manchmal gar nicht so genau auf ein spezielles Wort an, oder man findet im Laufe des Schreibens noch eine viel bessere Ausdrucksweise, eben weil man sich Gedanken darüber macht, wie es einzubauen ist.
Den Wortschatz, den du brauchst, damit dir die ganzen Synonyme und Füllwörter einfallen, mit denen du ein Gedicht metrisch machen kannst, bekommst du durchs Lesen und Üben (du kannst auch bestehende Gedichte "einfach mal" in eine andere Form bringen). Es schadet aber auch nicht, den einen oder anderen Duden im Regal stehen zu haben und gelegentlich Synonyme, Fremdwörter oder Redewendungen nachzuschlagen. Falls du neben dem metrischen auch noch reimen willst, empfehle ich dir das Reimlexikon von Siegfried Rabe, ich arbeite selbst damit und finde es sehr gut. Im Internet kannst du zwar auch Synonyme nachschlagen, aber oft wird da nicht alles Mögliche aufgezählt. Von Reimemaschinen rate ich ab, weil sie vorwiegend die Schreibung und nicht die Lautung vergleichen, worauf es beim Reim aber ankommt.

Formuliere erst einmal, was du sagen willst. Dann gibt es verschiedene Mittel, um einen Satz so zu ändern, dass er ins Metrum passt. Dabei kann sich der Inhalt des Satz mehr oder weniger ändern; ob die Änderung akzeptabel ist, musst du als der Verfasser entscheiden. Hier sind einige der Mittel:

  1. Wörter kürzen durch Tilgung eines unbetonten e (hier durch Apostroph gekennzeichnet):

    Die eig'ne Red' sollt' ich versteh'n,
    sonst würd' ich heut' am Pult nicht steh'n.

  2. Das Personalpronomen "es" kann man durch "'s" ersetzen; man kann aber auch ein "es" in einen Satz einfügen. Goethe demonstriert beides:

    Solang er auf der Erde lebt,
    Solange sei dir's nicht verboten,
    Es irrt der Mensch solang er strebt.

  3. Wörter verlängern durch Anhängen oder Einschieben eines unbetontes e. Auch das demonstrieren Goethes Verse, in denen er zweimal "solang" schreibt, aber einmal "solange". Weitere Beispiele:

    Dem Manne, der im Buche liest,
    wird dies vom Sohne jäh vermiest.

    Der Wald steht still und schweiget,
    Und aus den Wiesen steiget ...
    (Matthias Claudius)

  4. Man hat die Wahl, ob man Zusammenziehungen wie am, ans, beim,. im, ins, vom, zum, zur verwendet, oder ob man "an dem", "an das", "bei dem" usw. schreibt:

    Weißt du, wieviel Sternlein stehen
    An dem blauen Himmelszelt.
    (Wilhelm Hey)

    Es stand ein Sternlein am Himmel, ...
    (Matthias Claudius)

  5. Füllwörter verwenden: Geeignet sind insbesondere Konjunktionen (z. B. "und"), Partikeln (z. B. "so", "sehr", "doch", "nur", "schon", "doch", "oh", "ach"), Adjektive und Adverbien.

    Es sprach der Sohn zum Vater:
    Ich habe einen Kater.

    Müde sprach der Sohn zum Vater:
    Heute hab' ich einen Kater.

  6. Ein Genitiv als Linksattribut spart den Artikel des Bezugsworts, z. B. der Rat des Vaters / des Vaters Rat

    Im Falle eines Katers
    befolg den Rat des Vaters.

    Mein Sohn, bist du auf Draht,
    befolg des Vaters Rat.

  7. Synonyme verwenden, z. B. sagte / sprach, schnell / eilig, Leid / Kummer, Wasser / Nass.

Da hast du tatsächlich ein Problem. Entweder du übst einfach nach (gereimten) Vorbildern, oder du schaust Balladen der Klassik und Romantik an, worunter z.B. C.F. Meyer mit der Ballade "Die Füße im Feuer" ein Beispiel für für nicht gereimte Zeilen, aber einen starken Rhythmas darstellt. Oder du schaust nach freien Rhythmen bei Brecht oder auch Bachmann. Oder du orientierst dich an anderen Beispielen in "Poetik in Stichworten" von Ivo Braak. Das Buch ist im Hirt Verlag erschienen. Und dann hilft nur ÜBEB; ÜBEN; ÜBEN!www.lyrik-abc.de