" die Revolution ist auf ihre Grundsätze gebracht und beendet" Napoleon

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Die Äußerung stammt aus dem Dezember 1799. Napoleon Bonaparte war kurz vorher durch einen Staatstreich an die Spitze des Staates gelangt und Erster Konsul (Premier Consul) geworden.

Der Satz enthält eine doppelte Botschaft und vermeidet eine sehr klare Festlegung, wie das Verhältnis zur Revolution genau ist.

Das Beenden drückt aus, daß die Revolution jetzt zu Ende ist. Sie wird zu einer abgeschlossenen Phase erklärt. Es soll keine weitergehende Revolutionierung geben. Andererseits wird der Anspruch erhoben, die Französische Revolution auf ihre Grundsätze gebracht zu haben, also wesentliche Errungenschaften zu bewahren. Wichtige Grundsätze/Prinzipien (gedacht werden kann an Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Menschen- und Bürgerrechte, Eigentumsrechte, Regierung durch gewählte Volksvertreter und im Interesse der Nation) sollen als gültig festgesetzt sein. Andere Dinge können als nicht zu den Grundsätzen/Prinzipien gehörende Übertreibungen und Ausschreitungen, auch mit Gewaltexzessen verbunden, gedeutet werden.

Erörtert werden kann, in welchem Ausmaß Napoleon damals und in der Folgezeit ein Beender der Revolution (jemand der sie stoppt/zum Stillstand bringt bzw. sie sogar abschafft und beseitigt) oder ein Bewahrer ihrer (anfänglichen) Grundsätze gewesen ist (als jemand, der Errungenschaften sichert und zu einem Abschluß bringt, eventuell sogar vollendet) und inwieweit seine Taten mit seinem Anspruch in Einklang sind oder nicht.

einige Hinweise:

Napoleon Bonaparte hat die Französische Revolution beendet. Er hat sich durch einen Staatsstreich (im November1799) an die Spitze gesetzt (zuerst wurde er Erster Konsul, dann 1804 Kaiser), Volkssouveränität und eine demokratische Wahl einer Volksvertretung abgeschafft. Nach einiger Zeit hat er eine erbliche Monarchie errichtet, mit sich selbst als Begründer. Andererseits hat Napoleon auch einen Teil der Errungenschaften der Französische Revolution bewahrt und zum Abschluß gebracht (die bedeutendste Leistung ist dabei wohl der Code civil). In seiner eigenen Sicht hat Napoleon sowohl die Revolution beendet als auch vollendet. Der Anspruch, ihr Vollender zu sein, kann aber mit guten Gründen bezweifelt werden und ist wenig berechtigt.

Zur Veröffentlichung der neuen Konsulatsverfassung, die in einer Volksabstimmung bestätigt werden sollte, haben die Konsuln im Dezember 1799 eine Proklamation erlassen:
„La Constitution est fondeé sur les vrais principes du Gouvernement représentatif, sur les droits sacrés de la propriété, de l'égalité, de la liberté. Les pouvoirs qu'elle institue seronts forts et stable, tels qu'il doivents, être pour garantir les droits des citoyens et les intérêts de l'Etat. Citoyens, la Revolution est fixée aux principes qui l'ont commencée: elle est finie.”

„Die Verfassung beruht auf den wahren Prinzipien der repräsentativen Regierung und auf den geheiligten Rechten des Eigentums, der Gleichheit und der Freiheit. Die von ihr eingesetzten Gewalten werden stark und beständig sein, wie sie sein müssen, um die Bürgerrechte und die Staatsinteressen zu garantieren. Bürger, die Revolution ist auf die Prinzipien, die an ihrem Anfang standen, festgesetzt: sie ist beendet."

Die Aussage ist doppelbödig. Napoleon trägt eine bestimmte Darstellung vor, die auf Zustimmung zielt. Napoleon nimmt für sich in Anspruch, Errungenschaften der Revolution zu befestigen und zu sichern, andererseits erklärt er sie für beendet und damit abgeschlossen. Er möchte ein Einverständnis der Anhänger der Revolution, denen einige am Anfang stehende Grundsätze wichtig sind und die inzwischen eingetretene Eigentumsverhältnisse bewahrt sehen möchten (darunter auch das Eigentum an Nationalgütern, ehemaligem Kirchenbesitz). Andererseits greift er Wünsche nach einer Stabilisierung (sowohl gegenüber radikalen Revolutionären als auch royalistischer Gegenrevolution) und ein Ende von Wirren und revolutionären Exzessen auf. Das Beenden kann auch als ein Stoppen revolutionärer Dynamik, wie sie vor allem 1793 - 1794 auftrat, verstanden werden.

Albrecht  17.02.2014, 23:27

Tatsächlich hat Napoleon sich nur zum Teil an die genannten Grundsätze gehalten (das bürgerliche Gesetzbuch – Code civil *- hat z. b. etwas davon in das Recht aufgenommen; außer diesem Gesetzbuch zum Zivilrecht gab es noch den *Code pénal [Strafgesetzbuch], den Code de procédure civile [Zivilprozessbuch, den Code de commerce [Handelsgesetzbuch] und den Code d’instruction criminelle [Strafprozessordnung]). Er hat eine Alleinherrschaft ausgeübt (1804 krönte er sich selbst zum Kaiser) und politische Freiheitsrechte abgebaut.

Gesellschaftlich wurde denen, die bei der Revolution Gewinne erzielt hatten, ihr Besitz gesichert, die Unterschichten dagegen weitgehend ausgegrenzt.

Persönliche Tüchtigkeit bot etwas mehr Aufstiegschancen als im absolutistischen Ständestaat, vor allem in der Armee.

Napoleon hat von Revolution die Koalitionskriege geerbt und sie mit eigenen machtpolitischen Zielen geführt (Eroberungs- und Vorherrschaftsabsichten).

von Napoleon bewahrte Grundsätze der Revolution:

  • zivilrechtliche Rechtsgleichheit/Gleichheit vor dem Gesetz mit Freiheit zum Abschließen von Verträgen und Spielraum in der Wirtschaft

  • Zentralismus mit bürokratisch ausgeübter und wirkungsvoller Herrschaftsgewalt

  • Erfolge bei den übernommenen Revolutionskriegen mitsamt Schaffung verbündeter Staaten unter zeitweise deutlich ausgeprägter französischer Hegemonie in Europa

Beendet hat Napoleon die Französische Revolution in Bezug auf:

  • politische Dynamik seitens der Bevölkerung einschließlich der Unterschichten/Volksmassen

  • starke Prägung durch heftige Richtungskämpfe und Streit um die richtige revolutionäre Lehre bis hin zu vielen Todesurteilen bei diesen Auseinandersetzungen

  • Volkssouveränität (Volksabstimmungen dienten nur noch als plebiszitäre Bestätigung des schon Beschlossenen)

  • politische Freiheit (weitgehend abgeschafft, es gab Pressezensur und Verbannungen)

  • tatsächliche demokratische Teilhabe an politischen Entscheidungen (die Volksvertretung, das Parlament, hatte kaum machtpolitische Bedeutung; durch die Konsulatsverfassung wurden ein Verfassungsrat/Senat [„Sénat conservateur*] und eine Art Parlament aus zwei Kammern, dem Tribunat und der gesetzgebenden Körperschaft [„Corps législatif“], eingerichtet [am 1. Januar 1800 begann ihre Tätigkeit). Tribunat (100 Mitglieder, nach einer am 5. August 1802 in Kraft getretenen Verfassungsänderung nur noch 50] und gesetzgebende Körperschaft wurden vom Volk aus einer Liste von Wahlmännern [in mehrstufiger Wahl gewählt, bei der das allgemeine Wahlrecht nur ein Vorschlagsrecht mit der Möglichkeit war, eine lokale Liste von Männern mit einem Mindesteinkommen bzw. der entsprechenden Steuerleistung – den Notabeln – aufzustellen] vom Senat gewählt.)

Johannes Willms, Napoleon : eine Biographie. München : Beck, 2005, 237 – 238:
„Angesichts der unbeschränkten Machtfülle der Exekutive war die Legislative ein gut dotierter Herrenklub, dessen Mitglieder nur sich selbst repräsentierten. Es war allein Bonaparte, der die Gesetze, die meist im Conseil d'État ausgearbeitet und von den hundert Mitgliedern des Tribunats den dreihundert »stummen« Mitgliedern des Corps législatif abgenickt wurden, nach eigenem Gusto anwandte. Mit anderen Worten: der gesamte Verfassungstext enthielt nur eine valide, unabänderliche Bestimmung, in einem Wort, einem Namen ausgedrückt: Bonaparte. So und nicht anders sah er sich selbst, als er den Mitgliedern der Legislative einmal mit unverhüllter Verachtung bescheinigte: »Ich allein bin der einzige Repräsentant des Volkes.« Die offiziellen Repräsentativorgane hatten lediglich eine Fassadenfunktion, die das Verschwinden einer der wichtigsten Errungenschaften der Revolution, die Souveränität des Volkes, das seinen Willen in Wahlen artikulieren konnte, zu kaschieren hatte.“

S. 681: „Napoleons historische Mission, so seine Selbstdeutung, bestand in der Vermittlung der gezähmten, von ihren Fehlern gereinigten Revolution mit den im übrigen Europa vorherrschenden Verhältnisse.“

S. 683: „Eine weitere Botschaft des »Evangeliums« von Sankt Helena lautete, die Völker Europas, die sich gegen das Joch der Könige aufbäumten, hätten in Napoleon ihren Anwalt gefunden. Er, der die Revolution vollendet und überwunden habe, stilisierte sich nun zum »Messias der Völkerfreiheit«. Keineswegs leugnete Napoleon, dass er im Zenit der Macht erwogen hatte, nicht nur Europa, sondern die ganze Welt zu erobern und seiner universalen Diktatur zu unterwerfen. Jetzt war dergleichen aber nicht mehr das Ziel, sondern lediglich eine notwendige Zwischenstation auf dem Weg zu einer Neuordnung Europas nach nationalstaatlichen Gesichtspunkten. Gegenwart und Vergangenheit, Revolution und Ancien Règime, die legitimen Rechte der Völker wie ihrer Könige und Fürsten habe er zu einer neuen, gesellschaftlichen, politischen und territorialen Synthese formen wollen.“

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