Habt ihr "Atypical" auf Netflix gesehen?

1 Antwort

Nein. Ich schaue in den letzten Jahren generell viel weniger Serien. Aber ich habe schon häufiger von ihr gehört, andere Leute davon reden hören, hier und da sicherlich auch ein paar Schnipsel gesehen (auf YouTube).

Unter uns Autisten (zumindest im englischsprachigen Raum, mit dem ich mich an meisten befasse) ist die Serie nicht sonderlich gut angesehen. Die Darstellung von Autismus von einem - soweit wir es wissen - allistischen Schauspieler (Keir Gilchrist) ist nicht gerne gesehen, um es nett zu formulieren. Manche sehen es nicht so eng, aber ich bin definitiv eher der Meinung (bzw. teile die Meinung einiger anderer Autisten), dass sowas ziemlich fragwürdig ist. Es hat etwas von "Nachäffen unserer autistischen Verhaltensweisen", für die wir rein gar nichts können. Allistische Schauspieler, die autistische Charaktere spielen, können damit zu jeder Zeit aufhören, da sie es eben nur spielen. Sie schauspielern. Wir Autisten schauspielern nicht unseren Autismus und wir können nicht einfach so neurotypisch/allistisch sein (bzw. wir können es gar nicht, auch nicht schwierig). Es hat (und der Vergleich mag für manche drastisch sein, doch wenn man genauer überlegt, ist er das nicht wirklich) etwas von Blackface von damals.

Ähnliches wurde ja damals auch beim Film Music von Sia kritisiert.

Ich weiß zumindest, dass die Serie ein sehr klischeehaftes Bild von uns Autisten darstellt. Als hätten wir davon nicht schon genug. The good Doctor fällt übrigens in die selbe Spate. (Die "I am a surgeon!"-Szene ist funny für neurotypische/allistische Leute, aber schlussendlich ist es nichts anderes, als das Schauspiel eines autistischen Meltdowns auszulachen - etwas sehr Reales und Energieraubendes für viele Autisten. Oh, und lass mich gar nicht erst von Sheldon aus The Big Bang Theory anfangen.)

Und während ich nicht komplett gegen klischeebehaftete Darstellungen von Autismus bin, da es immer Autisten geben wird, die sich damit repräsentiert fühlen (auch z.B. von Music), die einfach eher der ein oder anderen Version des "Klischeeautisten" entsprechen (was nichts Schlechtes ist, teilweise passe ich sicherlich auch da rein), so bin ich trotzdem dafür, dass allistische/neurotypische Schauspieler das Schauspielern von autistischen Charakteren lieber den Autisten (und ja, es gibt nicht wenige autistische Schauspieler) überlassen sollten und ich bin froh, wenn ich von weniger stereotypischen Darstellungen von Autismus höre. Die meistens dadurch zu Stande kommen, dass die Leute, die für die Serie/den Film verantwortlich waren, autistische Schauspieler eingesetzt haben und/oder (wenigstens) vielzum Thema Autismus recherchiert und viele autistische Menschen befragt haben. Variation in der Darstellung von Autismus fehlt uns noch zu sehr.

Wieso schreibe ich gerade so komisch? Keine Ahnung, egal.

Also was den Autismus-Part angeht ... Na ja, vielleicht sollte ich darüber nicht sprechen, wenn ich die Serie nie geschaut habe, doch ich weiß, dass die Darstellung sehr stereotypisch ist und selbst, wenn der Rest der Serie okay ist (Ich hab mir eben die Zusammenfassung durchgelesen und sie spricht mich nicht wirklich an.*), könnte es das Negative nicht ausgleichen. Und das sage ich, obwohl ich sicherlich mit dem Hauptcharakter (Sam) in manchen Punkten empathisieren könnte ... Denke ich. Es würde mich nicht wundern - Sagen wir es so.

*Insbesondere der Satz "und die volle Aufmerksamkeit seiner Familie beansprucht" (steht zumindest so auf streaming-guide.spiegel, womöglich haben die sich missverständlich ausgedrückt, kann auch sein) stößt mir ein bisschen sauer auf. Eventuell verstehe ich das falsch und in der Geschichte wird das nicht so dargestellt oder wenn, dann werden zumindest alle Seiten mit gleich viel Empathie und Verständnis beleuchtet (das wäre ideal), aber dieser und ähnliche Sätze erinnern mich immer ohne Umwege an das verletzende und gefährliche Narrativ der "leidenden Eltern/Geschwister" und der "bösen Autisten/autistischen Kindern, die ihren Eltern/Geschwistern mit ihrer schieren Existenz so viel Leid, Stress und Schmerz antun". Du würdest staunen (im negativen Sinne), wenn du wüsstest, wie häufig dieses und ähnliche Narrative auch in der echten Welt, in unserem Alltag, vorkommen.

Wenn sich jemand durch diese und ähnliche Serien verstanden fühlt, habe ich damit kein Problem.

Allistische sowie neurotypische Menschen, die solche und ähnliche Serien gerne schauen sollten jedoch im Hinterkopf behalten, dass nach wie vor jeder Autist/jede Autistin verschieden ist und dass das autistische Verhalten von den autistischen Charakteren dort für viele Autisten in der echten Welt Alltag ist - Genauso wie der Ableismus, der oftmals damit einher kommt. Diese Verhaltensmuster werden auch nicht selten für cheap laughs benutzt (Siehe The Big Bang Theory. Laugh Tracks bei jedem (social) Mishap von Sheldon, aufgrund seines Autismus, weil autism funny-harhar und ja, ich weiß, dass Sheldon nicht canonically autistic ist, aber seien wir doch mal ganz ehrlich, hm? Die Autoren etc. wollen es nicht zugeben, dass Sheldon (also der Charakter in der Serie) sowas von ein Autist ein, denn dann müssten sie sich Kritik von vielen von uns Autisten anhören. Doch wenn sie sagen, er ist nicht autistisch, er verhält sich nur so, dann kann der Laugh Track rauf und runter abgespielt werden. "It's all just fun - Niemand lacht wirklich über echte Autisten und autistisches Verhalten und deren Probleme" ... Doch, tun sie. Und es ist gar nichts Falsch daran, als autistische Person selber seine autistischen Probleme oder Verhaltensweisen auf die Schippe zu nehmen, darüber zu lachen, aber wenn es von Nicht-Autisten kommt ... Ja, ne. Nicht so. Nicht so toll.)

Oder als Inspiration-P*rn (quasi: "er/sie hat zwar Autismus, aber er/sie ist trotzdem wertvoll, denn er sie ist z.B. ... ein Chirurg! Denn er rettet Menschenleben!", um "The good Doctor" nochmal heranzuziehen. Oder "er/sie kann ... perfekt Violine spielen!" Quasi "er/sie kann seinen/ihren Autismus, seine/ihre (in deren Augen) Defizite überkommen").

Es ist ein bisschen wie "Wenn du dich ganz dolle anstrengst und niemals die Hoffnung verlierst, dann kannst du es, dann kannst du alles schaffen was auch eine neurotypische/nicht behinderte Person schafft", was viele behinderte/neurodivergente Menschen hören müssen. Irgendwie ist dieser viel zu häufig benutze Spruch wirklich wie Inspiration-P*rn oder zumindest sehr ähnlich, wenn ich so darüber nachdenke. "Es" ist ja meistens etwas, das wir aufgrund unserer Behinderung und/oder Neurodivergenz eben nicht schaffen können oder wenn, dann nicht ohne extreme Konsequenzen (für unsere Psyche und/oder unseren Körper).

Ein anderes häufig genutztes Narrativ in Medien: "Hier sehen Sie ein autistisches Subjekt (es kommt schnell so vor, als würden viele uns so sehen). Oh, schauen Sie nur! Es hat einen Meltdown (o.Ä.)! Sehen Sie, wie es sich winded und wie es weint? Wie es klagt und wie es kreischt? Und hier sehen Sie die Familie des Subjekts. Bitte richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Trauer in ihren Augen. Dies sind die Augen von Menschen, Familien, mit zerstörten Hoffnungen und Träumen. Geplagt von dem Gefängnis ihres armen, armen Sohnes/Bruders. Ein Gefängnis der Psyche, ein grauenhaftes, gar krankhaftes, garstiges Gefängnis. Tja, und wie heißt dies? Oh ja. Korrekt. Es heißt Autismus."

Ich mache hier nicht mal irgendwelche Witze.

Okay, reicht auch mal mit meiner wie üblich viel zu langen Antwort. Ich schweife immer je 500 Kilometer vom Kurs ab, alle 1 Meter, bei einer ursprünglich nur 10km langen Strecke.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽