Warum denken Leute Nietzsche wär Nihilist gewesen?

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ich frage mich auch, warum viele Leute immer noch denken, er sei Nihilist gewesen. Er hatte den Begriff des Nihilismus beispielsweise gegen das Christentum gewandt, weil er es (wie viele andere monotheistische Religionen) als nihilistisch betrachtete. Um einer Gruppierung oder einem Ideal als nihilistisch zu überführen, muss man es selbst ja nicht sein. Nietzsche kritisierte viele Religionen, weil sie absoluten Verzicht predigten und gleichzeitig gegen Andersdenkende aufwiegelte, obwohl die jeweilige Religion selbst von Liebe gegenüber allem und jeden sprach. Diesen zu Fatalismus neigenden Widerspruch (der im späteren Christentum mit einem angeblichen Fegefeuer bestraft werden sollte, wenn man sich nicht an dessen Ideale hielt) beschrieb Nietzsche als nihilistisch, weil nichts, egal was man auch tat, am Ende einen Sinn gehabt hätte. Jede Handlung müsste so schon zur Bestrafung führen, weil das Christentum dem Menschen immanente Bosheit unterstellte. Darum auch seine Aussage, dass Gott tot sei. Er meinte damit einen liebenden Gott - den kann es aus Sicht des Christentums eigentlich nicht geben, wenn dieser den Menschen für das bestraft, was der Gott selbst schuf. (Denn wenn er alles schuf, so musste er auch die Sünde entstehen lassen)

Ein kurzer Artikel dazu, dass Nietzsche kein Nihilist war: https://www.gutzitiert.de/leben_und_werk_friedrich_wilhelm_nietzsche-lw32.html

Warum allerdings auch viele Philosophen seine Werke falsch verstehen, bleibt mir ein Rätsel. Ein Problem, das ich ebenso bei anderen Philosophen erlebt habe. Die Leser scheinen mit ihrer Weltsicht die eigentliche Aussage der Autoren zu verfälschen. In einigen Fällen gar ins Gegenteil verkehren. So schrieb schon Hermann Hesse darüber, dass Buddha niemals behauptet hat, dass man seiner Lehre folgen soll, sondern dass man die Welt um sich herum mit eigener Wahrnehmung und eigener Erfahrung begegnen soll, um daraus Rückschlüsse zu ziehen. Nur so solle man zur Erleuchtung gelangen. Stattdessen entstand eine riesige Religion um diesen einst real existierenden Mann. Seine Anhänger haben seine Lehre komplett falsch verstanden. Unter anderem was den heute inflationär benutzten Begriff der Liebe angeht. Buddha verstand unter Liebe nicht das, was viele Religiöse oder auch Esoteriker heute verstehen. Seine Anhänger drehten das Wort um und stilisierten ihn zu einem Begriff nach ihrer Vorstellung. Es ist daher mühsam, den echten Begriff der Liebe nach Buddha zu verstehen, weil die Überlieferungen von Anhängern verändert wurden. (Unter anderem habe ich mich deswegen vom Buddhismus entfernt, obwohl ich heute noch einige Sinnbilder daraus verwende.) Genauso ist es mit dem Nihilismus. Rezipienten der Werke Nietzsches haben den Begriff unbewusst verändert und darum unterstellen sie Nietzsche, er sei selbst Nihilist gewesen, obwohl er diesen Begriff nur erklärt habe, um das Christentums seiner eigenen Selbstlüge zu überführen. Ein bisschen ist das wie Stille Post.

Es wird allgemein zwischen dem aktiven Nihilismus und dem passiven Nihilismus inzwischen unterschieden:

A: Nihilismus als Zeichen der gesteigerten Macht des Geistes: der aktive Nihilismus.

B: Nihilismus als Niedergang und Rückgang der Macht des Geistes: der passive Nihilismus.

Den gegenwärtigen Zustand der Menschheit empfindet Nietzsche als passiven Rückgang der Macht des Geistes. Und dies muss überwunden werden. Es geht einzig um die Überwindung des passiven Nihilismus. Dazu ist es erforderlich, dass die bisherigen Werte aktiv entwertet werden. Die Werte von Wahrheit und Moral müssen in ihrer Totalität in Frage gestellt werden. Es gilt die alte Ordnung der Werte abzuschaffen, die neue wird schon von selbst folgen müssen. „Die scheinbare Welt und die erlogene Welt – ist der Gegensatz. Letztere hieß bisher die „wahre Welt“, die „Wahrheit“, „Gott“. Diese haben wir abzuschaffen.“

(vergl.: Schupp, F.: Geschichte der Philosophie im Überblick, S.496, Hamburg, 2003.)

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Master of Philosophy

Weil er es soweit ich weiß tatsächlich auch war. Du hast hier halt eben eine Zusammenfassung, die auf anderthalb Sätze runtergebrochen wird. Natürlich lässt das kein vollumfängliches Bild von Nietzsches Vorstellungen zu.

Liest man sich da rein, dann erkennt man auch wie diese Sätze, die da stehen, gemeint sind. Und wie sich das in Nietzsches Nihilismusauslegung einfügt.

Gnomade2222 
Fragesteller
 16.01.2024, 08:50

Ich habe bisher 8 seiner Bücher gelesen und finde es höchst unangemessen ihn als Nihilist zu bezeichnen. Nach und nach könnte ich Zitat für Zitat hergeben, wo klar und deutlich zu sehen ist, dass der Typ unglaublich viel Wert auf's Leben setzt.

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Guterfrage12515  23.02.2024, 22:19
@Gnomade2222

Ich habe noch nichts von nietzsche persönlich gelesen, aber ein Freund meinte, das "Nihilismus" nicht lebensablehnend sein muss, es ist mehr ein Einfach nehmen des Lebens, in der Gewissheit egal was passiert, nichts ist so schlimm (wichtig, bedeutsam) das es wirklich schlimm wäre. Das ist ja sehr pro leben,etwa nach "erwarte nicht das geschieht was du willst, sondern wolle das geschieht was geschieht und dein Leben wir fröhlich dahinfließen" (so in etwa) von epiktet glaube ich

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Perpendikel  16.01.2024, 09:00
Weil er es soweit ich weiß tatsächlich auch war.

Dann beruht dein "Wissen" aber nicht auf seinen Worten. Ihn entgegen aller Tatsachen "Nihilist" zu nennen kommt hauptsächlich von kleinen und großen Gottesanbetern, die ihm sein "Gott ist tot" nie verziehen haben und daher ihrereseits kräftig Rufmord üben.

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Friedrich Nietzsche selbst betrachtete sich nicht als Nihilisten. Tatsächlich kritisierte er den Nihilismus in seinen Schriften. In Werken wie "Also sprach Zarathustra" und "Jenseits von Gut und Böse" äußerte Nietzsche seine Bedenken gegenüber dem Nihilismus und dessen potenziellen negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Er argumentierte, dass der Nihilismus eine Folge des Zusammenbruchs traditioneller Werte sei, aber er sah dies nicht als eine positive Entwicklung an. Nietzsche schlug vielmehr alternative Werte und eine "Umwertung aller Werte" vor, um dem Nihilismus entgegenzuwirken. Daher kann man sagen, dass Nietzsche kein Nihilist war, sondern eher ein Kritiker des Nihilismus, der nach neuen Werten suchte.