Hätte das Römische Reich wieder errichtet werden können?

8 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet
Unter Justinian I. Gelang es dem (Ost-) Römischen Reich zahlreiche Gebiete im Westen zurück zu erobern (unter anderem in Nordafrika, Italien und im Osten Spaniens). Jedoch haben verschiedene Faktoren wie die Pest und das Perser Reich eine vollständige Rückeroberung zu nichte gemacht. Meine Frage jetzt: Glaubt ihr wenn die Pest zu diesem Zeitpunkt nicht aufgetreten wäre und das Perser Reich Frieden mit Rom gehalten hätte das eine Rückeroberung des Westens möglich gewesen wäre?

Das ist eine Frage, die kaum zu beantworten ist. Wären alle Hindernisse und Gefahren, die das letztlich verhindert haben - Völkerwanderung, Naturkatastrophen, feindliche Reichsbildungen u.a. -, nicht eingetreten, dann wäre es natürlich möglich gewesen.

Und das Justinian vielleicht als einer der größten Kaiser Roms in die Geschichte eingegangen wäre?

Iustinian gehört zur Reihe der bedeutenden Kaiser der römischen und der byzantinischen Geschichte! Wobei auch nach ihm im oströmischen bzw. byzantinischen Reich Kaiser wie Maurikios und Herakleios und später die Kaiser der makedonischen Dynastie bemerkenswerte Leistungen erbracht und das östliche Reich für Jahrhunderte stabilisiert haben.

Oder gab es einen anderen Moment in der Weltgeschichte wo man Rom hätte noch einmal zu alter Größe zurückführen hätte können? Ich bin auf eure Meinung gespannt.

Wenn man mal die Römische Geschichte des 3. Jahrhunderts n. Chr. betrachtet: im Grunde lag das Reich damals schon am Boden. Die Kaiser Diocletianus, Constantinus, Valentinianus I. und Theodosius I. haben das römische Reich noch einmal auf einen Gipfel seiner Macht geführt. Mit der Gründung und Förderung einer christlichen Reichskirche wurde auch im weströmischen Reich und den entstehenden germanischen Staaten der Gedanke der Zugehörigkeit zu einem "Römischen Reich" aufrechterhalten und im Jahre 800 sogar durch den Papst in Rom wieder ein weströmischer Kaiser eingesetzt: der Frankenkönig Karl. Während das oströmische Reich 1453 im Osmanenreich aufging, überlebte das erneuerte weströmische Reich als "Heiliges Römisches Reich" bis 1806.

(Achtung ich bin ein Jugendlicher der sich für Geschichte interessiert deswegen im Vorfeld entschuldigung wenn ich irgendwas nicht korrektes gesagt habe, vielen Dank)

Das ist sehr erfreulich, wenn sich junge Leute für Geschichte interessieren! Daher möchte ich noch einführende Literatur empfehlen - bei Bedarf kann ich noch Werke benennen, die vertiefte Informationen vermitteln! -:

1) Römische Geschichte

2) Oströmische-byzantinische Geschichte

3) Justinian

Bleibt gesund!

Arnold

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
Steffenfragt493 
Fragesteller
 09.10.2021, 15:51

Vielen Dank für die ausführliche Antwort. 😊Mir ist klar das Justinian ein durchaus bedeutender Römischer Kaiser war. Vielleicht sogar der bedeutendste Oströmische Kaiser der jemals gelebt hat aber wenn man eine Person auf der Straße nach dem berühmtesten Kaiser Roms fragt dann kommt sicherlich Augustus, Nero, Caligula... Und ich glaube halt das Justinian ebenfalls so berührmt hätte werden können wenn er mehr oder weniger ganz Rom wieder vereint hätte. Aber noch mal vielen Dank für deine Antwort und deine Buchempfehlungen. 😊

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ArnoldBentheim  09.10.2021, 20:36
@Steffenfragt493

Immerhin ist er und seine Eroberungspolitik auch in einem ganz berühmten Roman verewigt worden: Felix Dahn, Ein Kampf um Rom.

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Neugier4711  16.11.2021, 00:15
@ArnoldBentheim

Okay Felix Dahn schreibt sehr spannend, doch sind seine Romane historisch sehr mit Vorsicht zu genießen, da diese leicht politisch braun angehaucht sind.

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ArnoldBentheim  16.11.2021, 13:08
@Neugier4711

Dahn wusste nicht, was "politisch braun" bedeutet - und er war es auch nicht in dem Sinne, wie wir "braun" heute verstehen, sondern lediglich ein Kind seiner Zeit, des Kaiserreiches. Das tut dem von mir erwähnten Roman aber keinen Abbruch. 😊

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Nein, mit dem Zentrum in Byzanz wäre es sehr schwer gewesen, von dort aus das Reich zurückzuerobern. Und vor allem dann noch zu halten. Selbst wenn die beiden angesprochenen Probleme nicht existiert hätten, hätte es andere gegeben, das ist halt der Lauf der Welt.

Dazu kommt, dass die anderen Völker einfach mit Rom stärker, mächtiger und geschickter geworden sind, einfach weil man sich Dinge von den Römern abgeschaut hat.

Aber das größte Problem war, denke ich, dass das Reich einfach zu groß war. Wenn da irgendwelche Probleme auftreten, ist es enorm schwer zu halten. Und Byzanz hatte einfach nie die Stärke und dominante Position, die das alte Römische Reich innehatte. Dieses war aus verschiedenen Gründen das dominante, aber Byzanz war für die meiste Zeit halt eines von mehreren Reichen, das sich auch durch Diplomatie über Wasser halten musste, mit wesentlich größerer Gefahr, von einem anderen Reich besiegt zu werden. Ich meine, war auch nicht einfach, aber das alte Römische Reich hatte einige Zeit einfach keine wirklichen Konkurrenten, weil es alle relevanten besiegt hatte. Das war bei Byzanz nicht der Fall.

Steffenfragt493 
Fragesteller
 09.10.2021, 11:07

Nun zu dieser Zeit aber hatte Rom den besten Feldherren seiner Zeit und war trotzdem das mächtigste Reich der "Welt" (neben dem Perser Reich). Aber ich gebe dir Recht das die Größe Roms Untergang zu verantworten hatte und vermutlich sich die Geschichte wiederholt hätte.

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Die Byzantiner hatten nach dem Jahre 550 einen langsamen, aber ständigen Machtverlust. Wenn man sich das Reich im Zeitraffer anschaut, sieht man, dass das einst so einflussreiche Rom ständig größer oder kleiner geworden ist. Zum Schluss, im 15. Jahrhundert war Byzanz nur noch ein Regionalstaat, der aus dem Umland von Konstantinopel, einigen Inseln sowie einem Teil Griechenlands bestand.

Steffenfragt493 
Fragesteller
 24.10.2021, 09:48

Das ist mir bekannt nur glaubst du das eine Wiedererichtung des alten roms möglich gewesen wäre?

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Nein. Ein einzelnes sehr kurzes Ereignis wie die Pest stürzt nicht den Lauf der Geschichte um. Das würde einige Jahre Rückschlag auslösen. Und der eine Feind Perser ist auch keine Erklärung. Die Perser waren ja nicht 10 mal stärker als die Römer, sondern gerade mal ähnlich stark.

Die entscheidenden Faktoren waren die gesamte Weltlage der Völkerwanderung und die innere Situation des Römerreichs. Durch die Völkerwanderung entstanden auf allen Seiten mächtige Feinde. Von den Stämmen war zwar für sich keiner stark genug, um es mit dem Römerreich - West oder Ost - aufzunehmen. Aber alle zusammen sehr wohl. So riesig war keine römische Armee, dass sie auf zehn Grenzen verteilt noch mächtiger war als alle Feinde zusammen.

In der Blütezeit des Reichs gab es ja nur ein paar "Hotspots", an denen grössere Armeen stationiert gewesen waren. Augustus unterhielt eine Berufsarmee von gerade 28 Legionen (je ca. 5.000 Mann, also 140.000 zusammen). Davon waren drei oder vier in Palästina und noch einige mehr entlang des Rheins stationiert.

Andere riesige Gebiete wie Gallien, Britannien, Hispanien oder gar Nordafrika von nur einer einzigen. Guck dir mal das riesige Gebiet von Marokko bis Libyen an: kontrolliert von gerade mal 5.000 Mann!

Wenn nicht nur der Rhein und Palästina unruhig wurden, war der Zusammenbruch vorprogrammiert.

Die innere Lage war das andere. Die Römische Gesellschaft wurde immer ungleicher. Denk an die Auseinandersetzungen zwischen Plebejern und Patriziern in der Zeit der Republik und die gefundenen Kompromisse.

Die Spätzeit des Römischen Reichs sah so aus, dass immer mehr Bürger zu einer Art Sklaven wurden. Die mittelalterliche Leibeigenschaft begann im Römischen Reich damit, dass verschuldete Unter- und Mittelschichtlicher sich an reiche Grossgrundbesitzer verkaufen mussten, um ihre Schulden abzuarbeiten. Was immer weniger gelang.

Die Grossgrundbesitzer wurden damit so mächtig, dass sie eine Steuerfreiheit durchsetzen konnten. Auch das ja später im Mittelalter kennzeichnend. Damit hatte das Weströmische Reich zugleich eine schwindende Basis an Soldaten und auch an Einkommen, um zum Ausgleich Berufssoldaten bzw. Söldner noch bezahlen zu können. Erst dadurch erhielten Barbarenstämme die Bedeutung als Kriegsmacht der Römer: siedelt Euch hier in dieser Grenzgegend an, verteidigt sie und ihr erhaltet Privilegien wie Steuerfreiheit.

So gelangten die Barbaren anfangs in das Römische Reich hinein. Nicht, wie viele heute glauben, als von aussen erobernde Eindringlinge. Das waren Feudalfürsten der Römer, die sich unabhängig machten, weil ihnen die Zugehörigkeit zu einem schwachen und fernen Rom keinen Nutzen mehr einbrachte.

Das Weströmerreich begann diese Entwicklung früher als das Oströmische. Weil es wirtschaftlich tendentiell schwächer war. Ostrom sass ja in den am höchsten entwickelten Gebieten der mediterranen Welt. Der Kaiser war noch stärker und konnte von den Grossgrundbesitzern nicht so früh und vollkommen erpresst werden.

Aber mit Zeitverzögerung traten dieselben Entwicklungen auch ein. Die Armee des überlegenen Generals Belisars, der die grosse Rückeroberungskampagne hauptsächlich leistete, bestand so schon weitgehend aus Söldnern, die nur von einigen römischen Offizieren geführt wurden.

Zu der Feudalentwicklung kam noch die Position der Kirche. Angeblich sollen 25, nach manchen Quellen sogar über 30 (!), Prozent der byzantinischen Bevölkerung Mönche und Nonnen gewesen sein.

Auch die waren vom Militärdienst befreit und von Steuerzahlungen ebenso. Sogar noch konsequenter als die Leibeigenen der Feudalfürsten.

Und mit der wegfallenden Basis von eigenen Soldaten wie von Steuern setzte auch in Ostrom eine Feudalentwicklung ein. Wo steuerbefreite Fürsten ("Strategoi") für die Verteidigung eines bestimmten Grenzgebiets ("Thema") verantwortlich waren.

Womit aber das Zusammenziehen grosser Armeen an bestimmten Schwerpunkten nicht mehr möglich war. Und damit geriet Byzanz unvermeidlich in die defensive Position, nur noch Angriffe von aussen abzuwarten und mehr oder weniger zurückzuschlagen. Wenn es aber noch gelungene Verteidigung oder Niederlage geben kann, aber keine erfolgreichen Angriffe, kann das Gebiet naturgemäss nur noch kleiner werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann um wieviel.

Justinian und Belisar waren quasi das letzte Aufbäumen, die letzte Phase, wo es noch noch Aktion gab und nicht nur Re-Aktion.

Es sind immer vor allem die inneren Entwicklungen von Gesellschaftsordnungen, die bestimmen, wie stark ein Staatswesen nach aussen agieren kann. Wo eine Handvoll alles an Vermögen und Macht besitzen und alle anderen nichts, entsteht immer in der Geschichte Schwäche.

Steffenfragt493 
Fragesteller
 18.02.2022, 12:16

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Ich meine das ja Ostrom sich trotzdem immer wieder aufgebäumt hat und auch Gebiete zurück erobert hat und nicht nur konstant verloren hat. Aber ja, anscheinend hätte es eine wirklich radikale Wandlung der Gesellschaft und damit des ganzen Staates gebraucht um Rom zu alter Stärke zurück zu führen. Aber wie gesagt, noch einmal danke für deine großartige Antwort und Mühe. 😊

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Nein. Das Reich der Byzantiner war einfach zu schwach. Das hat man ja nach Justinian gesehen, für den schon alleine der Sieg gegen Ostgoten und Wandalen eine Lebensaufgabe war und die Ressourcen des Reiches verschwendet hat, die sie gegen die Langobarden und Slawen sowie Perser und später Araber nicht mehr hatten. Wenn man schon gegen die näher liegenden Sassaniden nicht gewinnen konnte, warum ganz nach Spanien, Tunesien und Rom sowieso sogar Norditalien segeln, um dort zu kämpfen? Justinian hätte eher seine Verteidigungsbauten und Armeen ausbessern sollen, vor allem auf dem Balkan und im Nahen Osten. Für mich ist er - bis auf sein Gesetzbuch - kein großer Herrscher. Außerdem sehr intolerant, ein Tyrann und mitschuldig, dass Rom und Italien überhaupt stark zerstört wurde und sehr viele Menschen starben. Ich will nicht sagen, dass das ostgotische Italien gut war. Aber sicherlich toleranter und friedlicher als es durch den Krieg und selbst danach wurde. Die Byzantiner konnten langfristig noch nicht einmal Italien befrieden. Und die meisten Herrscher nach Justinian sind gar nicht mehr dazu in der Lage gewesen, selbst Heraklios und Basileus II nicht. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn das Reich 395 nie getrennt worden wäre oder innerhalb der nächsten Jahrzehnte wieder zusammen geführt worden wäre. Aber vielleicht hätte sich das Römische Reich sowieso nicht mehr in dieser EInheit und Größe erhalten können. Das "Problem" waren auch die Römer. Irgendwie wollten sie nicht mehr kämpfen, deswegen auch immer mehr Germanen im römischen Heer, schon im 3.Jahrhundert nach Christi. Es waren halt mal andere Völker dran.

Woher ich das weiß:Hobby