Hallo,
erstmal: Ich finde es sehr mutig von Dir, dass Du hier so offen über Deine Erfahrungen und Gefühle sprichst. Das zeigt nicht nur Stärke, sondern auch, dass Du begonnen hast, Dich selbst ernst zu nehmen – und das ist oft der erste wichtige Schritt.
Zu Deiner Frage:
Ob es bei Dir eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) ist, kann natürlich niemand hier im Netz eindeutig diagnostizieren – das müsste eine erfahrener Therapeut*in mit Dir gemeinsam klären. Aber was Du beschreibst, passt in vielen Punkten zu dem, was man unter kPTBS versteht.
Bei kPTBS geht es nicht um ein einzelnes schlimmes Erlebnis, sondern – wie bei Dir beschrieben – um wiederholte, andauernde Belastungen in einer Phase, in der man besonders verletzlich ist, also in der Kindheit oder Jugend. Häufig durch emotionale Vernachlässigung, instabile Beziehungen, Überforderung oder Gewalt im direkten Umfeld.
Was Du schilderst – das Gefühl von Leere, Flashbacks über Gerüche oder Geräusche, Übererregung (ständiges „Scannen“), Schlafprobleme, Bindungsschwierigkeiten, Schuldgefühle, Selbstverletzung, plötzliche emotionale Ausbrüche – das sind alles ernstzunehmende Reaktionen auf etwas, das damals viel zu viel war und heute im Nervensystem „weiterlebt“.
Das bedeutet nicht, dass Du „kaputt“ bist. Es bedeutet, dass Du etwas mit Dir trägst, das gesehen und verarbeitet werden möchte.
Viele Menschen in Deiner Situation beschreiben genau dieses Spannungsfeld:
- einerseits der Wunsch nach Nähe und Verbindung
- andererseits eine innere Alarmanlage, die schon bei kleinen Signalen anspringt
Das ist kein Widerspruch – es ist ein Schutzmechanismus, den Du Dir in einer sehr schwierigen Zeit angeeignet hast, um irgendwie klarzukommen. Und jetzt zeigt Dein System: Ich will nicht mehr nur überleben – ich will frei werden.
Was Du brauchst, ist keine schnelle Lösung – sondern einen Raum, in dem Du in Deinem Tempo wieder in Kontakt mit Dir selbst kommen kannst, ohne Druck, ohne Bewertung, ohne „richtig“ oder „falsch“. Und: Unterstützung. Nicht, weil Du „schwach“ bist – sondern weil kein Mensch so etwas alleine tragen muss.
Ich habe erlebt, dass es möglich ist, sich aus dieser ständigen inneren Anspannung zu lösen. Nicht von heute auf morgen – aber Schritt für Schritt. Methoden wie körperorientierte Traumaarbeit, EMDR oder achtsamkeitsbasierte Verfahren können dabei sehr helfen.
Was Du jetzt schon tun kannst:
Nimm ernst, was Du fühlst. Sprich mit jemandem, der zuhören kann, ohne zu bewerten. Und sei sanft mit Dir – Du hast viel getragen. Vielleicht zu viel.
Du bist nicht allein.
Herzliche Grüße
Ralf