Früher war für mich klar: Eine Beziehung auf Augenhöhe, in der beide Partner beruflich ihre Träume verfolgen und sich Haushalt und Kindererziehung partnerschaftlich teilen, ist das absolute Ideal. Ich wollte nie finanziell abhängig sein, sondern eine gut ausgebildete Frau, die ihr eigenes Ding macht – und das auch in der Familie leben kann.
Doch je älter ich werde (ich bin jetzt Mitte 30), desto mehr merke ich, dass das Leben nicht immer nach diesen Idealen funktioniert. In meinen Beziehungen habe ich oft erlebt, dass, auch wenn wir über Gleichberechtigung gesprochen haben, am Ende doch viel an klassischen Rollenmuster hängenblieb. Ich habe meist weniger verdient als mein Partner, was per se kein Problem war. Aber in schwierigen Phasen (Jobwechsel, Krankheit, Stress) wurde oft selbstverständlich davon ausgegangen, dass er finanziell einspringt – während ich die „Gleichberechtigung“ im Alltag weiterhin betonen sollte. Irgendwie war es, als ob die Erwartungen an Gleichberechtigung oft in guten Zeiten galten, aber in Krisen dann doch die alten Rollenmuster durchschienen.
Neulich war ich auf einem Kindergeburtstag, und dort sprach ein Vater voller Begeisterung von seinem Familienmodell. Seine Frau kümmert sich um den Haushalt, organisiert alles rund um die Kinder, achtet auf seine Ernährung, und hat dennoch genug Zeit für Freunde. Sie möchte gar nicht mehr arbeiten, sagte er, weil das Familienleben für sie so erfüllend sei. Sofort gab es Diskussionen: Einige kritisierten, dass seine Frau doch komplett abhängig von ihm sei, keine eigene Absicherung habe, usw.
Ich habe mir das einfach angehört, ohne mich einzumischen, aber die Diskussion ließ mich nicht mehr los. Ist dieses klassische Modell wirklich so negativ, wie es oft dargestellt wird? Natürlich ist es wichtig, dass Frauen unabhängig sind und ihre Optionen haben. Aber wenn beide Partner ehrlich diesen Lebensstil wählen – ist das dann wirklich „falsch“? Der Mann kann sich auf seine Arbeit und Hobbys konzentrieren, das Familienleben läuft reibungslos, und die Frau erfüllt sich auf ihre Weise in Familie und sozialen Kontakten.
Ich bin selbst noch mit diesem Rollenbild aufgewachsen. Meine Großmutter und meine Mutter haben in klassischer Rollenverteilung gelebt – und waren nicht unglücklich. Und was mich nachdenklich stimmt: Auch in meinen „modernen“ Beziehungen habe ich oft gespürt, dass die Erwartung an einen „starken Mann“ unterschwellig immer da war. Gleichzeitig wurde aber sehr auf Gleichberechtigung gepocht – was in der Realität viel komplexer war als in der Theorie.
Mit meiner Freundin aus Russland habe ich kürzlich auch darüber gesprochen. Sie findet das klassische Modell gar nicht schlimm, solange es für beide passt. Für sie ist entscheidend, dass man als Paar flexibel bleibt: Wenn das Geld reicht, bleibt sie gern zuhause, wenn nicht, geht sie mit arbeiten. Dieser pragmatische, teamorientierte Blick hat mich beeindruckt. Es geht weniger um starre Prinzipien, sondern darum, was für das gemeinsame Leben funktioniert.
Als ich diese Gedanken einer Freundin erzählt habe, meinte sie, dass das klassische Modell immer ein Ungleichgewicht und ein Abhängigkeitsverhältnis mit sich bringt. Das kann ich auch verstehen – aber ich frage mich dennoch: Ist es nicht wichtiger, ehrlich miteinander abzustimmen, welches Modell für die eigene Beziehung funktioniert? Ob es nun klassisch oder gleichberechtigt ist, spielt doch nur dann eine Rolle, wenn es unausgesprochen bleibt.
Wie seht ihr das?Funktioniert Gleichberechtigung in euren Beziehungen im Alltag wirklich so, wie ihr es euch vorgestellt habt? Oder habt ihr auch erlebt, dass es manchmal pragmatischer Lösungen bedarf, als Ideale es vorgeben?