Ich hatte früher einen entfernten Verwandten, für den auch nichts wirklich wichtig war
Seit seiner Kindheit hatte er angeblich eine "alles ist mir egal" Mentalität. Andere dachten damals, dass er wahrscheinlich bloß nichts gefunden hatte, was ihm wirklich Spaß gemacht hätte, und dass es sich im Alter schon ändern wird, wenn er zum Beispiel eine Familie gründen wird.
Damals könnte er es sich noch nicht vorstellen, dass er irgendwann eine Familie gründen wird. Ihm war aber im Gegensatz zu dir komplett alles gleichgültig: wie und wo er wohnen wird, was er essen wird....
Und manchmal schien es mir als hätte er auch keine Bedürfnisse (Grundbedürfnisse musste er aber haben, und das machte ihn an einigen Tagen auch viel menschlicher in meinen Augen)
Er hatte sogar keine Wünsche, Hobbys oder Eigeninteressen. Bis er welche hatte.
Er wollte von keinem auf dieser Welt kontrolliert oder sogar inspiriert werden.
Als er noch jünger war (so um die 20) hat er sich ein großen Grundstück in einem Wald gekauft. Wir hofften, dass er Haustiere hatte, angeblich war das auch so, in Wirklichkeit lebte er dort komplett alleine. Er war mit keinem auf dieser Welt "besser" oder "schlechter"
Es gab nichts was er mochte oder nicht mochte. einfach alles war egal. Er hatte keine ausgeprägten Meinungen oder Einstellungen.
Zu dem Thema Liebe hatte er gar nicht eine Meinung. Er würde an sowas gar nicht denken.
Nur eins wusste er: dass er nie wirklich frei sein wird.
In seinen späten Vierzigern begann er alles auszuprobieren, alles zu hinterfragen, bildete Meinungen und Vorlieben, schmeckte neues Essen und "verliebte" sich.
Alles was er in seinen jungen Jahren nicht tuen konnte oder eher wollte.
Seine "Veränderung" kam plötzlich aber nicht überraschend (weil eben kein Mensch so sein kann wie er war, zu mindestens nicht für immer). Keiner weiß wie es genau zu der "Veränderung" gekommen ist, oder was er sich dabei gedacht hatte. Aber es passierte nach einem sehr kalten Winter.
Später im Leben meinte er oft das sei sein letzter Winter gewesen.
Er gründete sogar eine Familie, und wollte es allen Leuten immer Recht machen. Er arbeitete wie ein Roboter.
Nach einem anderem kalten Winter war ihm plötzlich nur noch sein Eigenwillen wichtig. Es wurde durchgesetzt was er wollte. Das führte zu einer einseitig schmerzhaften Trennung mit seiner Frau. die Kinder hatten bis zu seinem Tod keinen Kontakt mehr mit ihm. Danach verhöhnte er die Liebe, betitelte sie als eine unnötige Zeitverschwendung für Menschen mit schwachem Kopf und weichen Herz.
Aber zu diesem Zeitpunkt hatte er wenigstens (nicht nur!) eine Meinung, und nichts auf dieser Welt würde ihm diese Gleichgültigkeit zurückgeben die er einst hatte. Vielleicht würde das auch nicht mehr gehen, nach so vielen Erlebnissen.
Später trafen ihn einige Schicksalsschläge, er begann viel zu vergessen, an die Zeit bevor seinen späteren Vierzigern konnte er sich nicht mehr recht erinnern.
Aus Einsamkeit schüttelte er "Herz und Seele" beim Psychologen aus, obwohl er danach meinte er hätte weder Herz noch Seele. Man fragte, ob seine Frau ihm das Herz "gebrochen" hätte (er hatte nie wieder eine nächste Frau) aber er meinte nur, sein Herz wurde eine lange Zeit vorher vom Winter gebrochen.
Danach sollte er in ein Altersheim untergebracht werden, aber dazu kam es nie, weil er schwerkrank wurde.
Er ist als eher gleichgültiger und ruhiger älterer Mann in 2023 im Krankenhaus gestorben. Zu diesem Zeitpunkt, hielt er sich selbst für einen besonders guten Menschen, obwohl andere ihn als einen nervigen, paranoiden und vergesslichen Mann sahen.
Aber das war auch die einzige Version die sie von ihm kannten.
Aber er hatte viele Meinungen und Interessen im Leben und ihm war kaum was egal.