Deutlich zu viele „Nein‘s“ hier, meiner Meinung nach. Ich habe mich mit dem Thema auseinandergesetzt, weil beides mich persönlich betrifft. Weder meinen Glauben, noch meine Gefühle und Sexualität möchte ich ablegen, oder priorisieren.
Deswegen: Einspruch!
Sowohl im AT, als auch im NT gibt es einige (und nicht, wie in anderen Antworten angeführt, „zahlreiche“) Stellen, die für ein vermeintliches „Gottesurteil“ über moderne Homosexualität angeführt werden. Diese Stellen sind absolut nicht zahlreich und vor allem auch nicht so eindeutig bzw. überhaupt kontextspezifisch passend, wie sie häufig dargestellt werden. Um genau zu sein, kann man die populären Stellen, die (auch hier) für eine biblische Argumentation im Thema Homosexualität bekannt sind, an einer Hand abzählen.
Genesis 19 (1.Mose)
Hier nachzulesen: BibelServer
Die Geschichte von Sodom und Gomorra: Es geht um zwei Männer, die (in Form von Engeln, wie sich später herausstellt) nach Sodom kommen, wo Loth mit seiner Familie lebt. Es ereignet sich (unbegründeter weise) dann ein Vorfall, bei dem alle Männer Sodoms zum Haus des Loths kommen und Geschlechtsverkehr mit den beiden Männer haben wollen. Loth ist verzweifelt und bietet den Männer sogar seine Töchter an, um zu verhindern, dass die Männer sich zu den beiden (Engeln) legen. Die genannten zwei Männer schlagen letztlich aber die „Meute“ von Männern in die Flucht.
Eine zentrale Frage, die mir hier in den Sinn kommt: Waren denn wirklich alle Männer in Sodom schwul??
Sicher nicht. Die Männer hätten auch die Töchter Loths genommen um sich zu befriedigen, also können sie ja wohl kaum total homosexuell gewesen sein. In diesem Sinne geht es in der gesamten Geschichte um etwas ganz anderes, was ich eher als sexuelle Gewalt und „Machtsex“, d.h. Geschlechtsverkehr als Demonstrationsmöglichkeit der eigenen Überlegenheit auffassen würde.
Diese Kritik ist, meiner Meinung nach berechtigt und das (leider) auch heutzutage. Gerade wenn man auch in den aktuellen Krieg in der Ukraine schaut, ist Vergewaltigung als Demonstration der Unterwerfung seiner Feinde, nicht unüblich. Sicher ist für mich: Diese Kritik hat rein gar nichts mit der Richtigkeit oder Vereinbarkeit von Homosexualität und Gott zu tun.
Umso erschreckender finde ich es, dass Genesis 19 (seit) lange(r) Zeit als Warnung für homosexuelle Menschen aufgegriffen wird bzw. wurde.
Leviticus 18,22; 20,13 (3.Mose)
Lev 18(,22):
Und bei einem Mann sollst du nicht liegen, wie man bei einer Frau liegt: Ein Gräuel ist es.
(Elberfelder)
Lev 20(,13):
Und wenn ein Mann bei einem Mann liegt, wie man bei einer Frau liegt, dann haben beide einen Gräuel verübt. Sie müssen getötet werden; ihr Blut ist auf ihnen.
(Elberfelder)
Harte Worte, ja. Aber viele Stellen im AT sind aus heutiger Sicht erschreckend brutal oder streng formuliert. Es tut mir jedes Mal von neuem weh, wenn (junge) Menschen, die nach einer Antwort suchen, von Christen einfach mit diesen Versen abgespeist werden.
Also, ganz eindeutig…glasklar…Christentum und Homosexualität geht nicht. Ein No-Go! Kein Raum für Diskussion. QUATSCH!
Das Wort „Gräuel“ wird in der Bibel (überwiegend im AT) 142 Mal benutzt und das im Zusammenhang mit blutigen Steaks, Frauenkleidern bei Männern usw. usw. Es geht in Leviticus viel darum sich ethisch von anderen Völkern und Kulten abzugrenzen.
Nehmen wir den Vers in Lev. 20 doch Mal im Kontext. Ahaaaa? Eine Riesenliste von Ehebruch. Du sollst nicht mit einer anderen Frau als der deinen schlafen, nicht mit deiner Schwägerin, deiner Tante, der neuen Frau deines Vaters bla bla bla…und im selben Zuge sollst du auch nicht mit einem anderen Mann verkehren.
In der Antike war fast in jedem Volk klar: Die Frau hat treu zu sein und der Mann nimmt sich sexuelle Freiheiten. In der jüdischen Sexualethik anders: Hier soll der Mann sich verhalten, wie die Frau. Und ist es in diesem Zusammenhang nicht logisch auch den Geschlechtsverkehr mit anderen Männern zu verbieten? Es geht demnach um Ehebruch. Nicht um Homosexualität!
Des weiteren ist Homosexualität Liebe zwischen Gleichgeschlechtlichen, nicht nur zwischen Männern. Und wird irgendwo in Leviticus die Frau erwähnt, der Geschlechtsverkehr zwischen Frauen? Nein, richtig. Ergo? Ergo man hatte die moderne Homosexualität über die heutzutage diskutiert wird, damals nicht auf dem Schirm…warum auch? Heirat aus wahrer und tiefer Liebe und Begehren ist etwas modernes und erst als es üblich wurde dich nicht mehr aus ökonomischen Gründen und fürs Familiengeschäft zu verehelichen, tauchten auf einmal Menschen auf, die sich als homosexuell outeten…wie merkwürdig…
1.Korinther 6, 9,10
…noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Weichlinge noch mit Männern Schlafende
10 noch Diebe noch Habsüchtige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes erben.
(Elberfelder)
Eine Liste von Menschen, die Gottes Reich nicht erben werden. Okay. Wo kommt hier jetzt Homosexualität vor? Zeig es mir Mal…wo? „noch Weichlinge noch mit Männern schlafende“ … In der Elberfelder Übersetzung stehen hier gleich zwei Fußnoten:
1) bzgl. der Weichlinge (griech. μαλακοὶ): „Hier sind Jungen oder junge Männer gemeint, die sich sexuell missbrauchen lassen“
2) bzgl. der mit Männern schlafende(n) (griech. ἀρσενοκοῖται): „Hier sind Männer gemeint, die Jungen oder Männer sexuell benutzen“
Die Elberfelder Übersetzung ist bekannt dafür, besonders nah am Ursprungstext zu bleiben.
In anderen Übersetzungen wie der HFA taucht in Vers 9 dann plötzlich der Terminus Homosexualität auf:
Wer sexuell unmoralisch lebt, Götzen anbetet, die Ehe bricht, wer sich von seinen Begierden treiben lässt und homosexuell verkehrt, wird nicht in Gottes Reich kommen;
(HFA)
Hierbei handelt es sich um eine Modernisierung des Ursprungstextes, die in Übersetzungen wie der HFA oder Neues Leben auch oft gut und sinnvoll sind, hier jedoch total unpassend ist.
Warum unpassend?
Nun, was hat Homosexualität mit μαλακοὶ und ἀρσενοκοῖται, den aktiven und passiven Parts von Heute als pädophil eingestuften Sexualakten zu tun?
Homosexualität ist die Liebe zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Menschen. In diesem Sinne hat der Terminus Homosexualität in diesem Zusammenhang (des sexuellen Verkehrs zwischen einem Mann und einem Jungen, sexueller Ausnutzung und Missbrauch) nichts zu suchen und ist somit völlig falsch.
Fazit
Keine dieser Bibelstellen. Keiner dieser Verse und vor allem keiner der Menschen, die meinen anhand dieser „entkontextierten“ Worte über Homosexualität und homosexuelle Menschen urteilen zu können, sollte andere Menschen in irgendeiner Form beeinflussen.
Homosexualität gibt es. In der Bibel gibt es sie nicht. Der Begriff „homosexuell“ ist erst 1983 in biblischen Übersetzungen aufgetaucht. Zu Zeiten in denen eine Ehe längst auf wahrer Liebe, Zuneigung und Begehren basierte und nicht wie in antiken Zeiten auf finanziellem, wirtschaftlichem Vorteil und Familiengeschäft.
Es ist meiner Meinung nach falsch, ein Urteil über Homosexualität im Ursprungstext der Bibel zu suchen, weil das Thema sowie es Heute sehr zentral ist, damals noch überhaupt keine Rolle gespielt hat und überhaupt nicht auf dem Radar auftauchte.
Also, gilt es sich ein eigenes, biblisch basiertes Meinungsbild zu schaffen und in diesem Zuge will ich die (hier auch wirklich) zahlreichen Bibelstellen unterstreichen, die für mich eine der grundlegendsten Dinge der Bibel aussagen: Gott liebt jeden Menschen. Und das ist eine Gegebenheit, keine Belohnung.
Abschließend moch ein Apell an alle „Nein‘s“: Bitte seid vorsichtig, was ihr hier wem und welcher Minderheit an den Kopf werft. Solche Bibelstellen wie 1.Korinther 6 oder Leviticus 20, können bei jungen, unsicheren Menschen unglaublichen Schaden anrichten. Vor allem, wenn sie dermaßen kontextlos geäußert werden!
Die Bibel und der christliche Glauben kann so viel Sicherheit, Weisheit und Geborgenheit geben, deswegen liebe ich ihn auch so sehr. Also bitte, macht das niemandem kaputt. Niemandem!