Verlag streicht diskriminierende Äußerung aus "Jim Knopf" - sinnvoll oder unangebracht?

Vor allem ältere Zeichentrickserien, Comics, Bücher oder auch Filme und Serien transportieren sehr häufig rassistische & kolonialistische Erzählmuster, auf die man im Jahre 2024 - berechtigterweise - mehr als kritisch blickt. Ein Verlag hat sich bei der Neuauflage des Kinderbuchklassikers "Jim Knopf" nun dazu entschieden, eine abwertende Äußerung zu entfernen. Unsere gutefrage Community ist bzgl. dieser Entscheidung jedoch unterschiedlicher Meinung...

gutefrage-Redaktion
15.3.2024
Kind vor Bücherregal

Erinnerst Du Dich noch an die Helden und Lieblingsbücher, -comics, -filme und -serien Deiner Kindheit? Wie gerne denken wir allesamt an die schönen Stunden zurück, die man in seiner - häufig recht unbeschwerten - Kindheit damit zugebracht hat, mit Buch in der Hand in die Abenteuerwelten von "Winnetou" abzutauchen oder im Kreise der Familie Disneyklassiker wie "Aristocats" oder das "Dschungelbuch" anzusehen.

Viele dieser älteren Filme, Serien und Bücher greifen - ihrem Zeitgeist geschuldet - jedoch sehr häufig auf kritische und klischeehafte Äußerungen gegenüber verschiedenen Kulturen oder Menschen(-gruppen) zurück, weswegen es aus heutiger Sicht gerade in Bezug auf Kinder kritisch ist, wenn diese unkommentiert / unerläutert an diese weitergetragen werden.

In den letzten Jahren haben zahlreiche Streamingdienste und Großkonzerne wie Disney hier allerdings reagiert...

Aufarbeitung kritischer Inhalte und Äußerungen in Buch- und Filmklassikern

Insbesondere Verlage, Streamingdienste und Filmrechtinhaber stehen heute oftmals vor dem Problem, wie sie mit rassistischen oder kolonialistischen Erzählmustern, die in denen von ihnen beworbenen und vertriebenen Kunstwerken vermittelt werden, richtig umgehen sollen. In den allermeisten Fällen geht es bei den erwähnten kritischen Inhalten weniger um einen offenen und ideologisch getriebenen Rassismus als viel mehr um subtile und recht beiläufig erwähnte rassistische oder diskriminierende Erzählmuster und Bilder, die in der Vergangenheit schlichtweg nicht thematisiert worden sind. Wie sich Betroffene der diskreditierten Ethnie oder Menschengruppe beim Lesen oder Sehen am Ende des Tages etwa fühlen könnten, war für viele Jahrzehnte nicht oder nur marginal von öffentlichem Interesse.

In den vergangenen Jahren hat sich vor allem der Weltkonzern Disney, der für viele Animationsklassiker wie "Dumbo", "König der Löwen" oder "Aladdin" verantwortlich und ein Stück amerikanische Kulturgeschichte ist, mehr und mehr mit dem Thema Rassismus in Kinderklassikern auseinander gesetzt.

Anstatt stereotype Darstellungen oder klischeehafte Äußerungen vollends aus den Filmen zu schneiden, entschied man sich in den allermeisten fällen dafür, fragwürdige Szenen mit einordnenden Erklärungen über rassistische Stereotypen und diskriminierende Darstellungen zu versehen. Weiterhin wurde vielen Filmen ein Warnhinweis über etwaig kritische Szenen vorangestellt.

Ähnlich verfuhren auch Steamingdienstleister wie "HBO" oder "BBC", die ebenfalls Warnhinweise einblendeten und manche Serien / Episoden angesichts rassistischer Bilder sogar komplett aus dem Programm verbannten.

Als es neulich darum ging, den Kinderbuchklassiker "Jim Knopf" von Michael Ende neu aufzulegen, wurde auch hier in mancherlei Hinsicht noch einmal genauer hingesehen...

Bücher

Neuauflage von "Jim Knopf" erscheint in leicht abgeänderter Form

Doch nicht nur von offizieller Seite aus gibt es mit Blick auf ältere Film- und Buchklassikern und darin enthaltenen diskriminierenden Passagen so manche Gewissensbisse; sicherlich fragen sich auch viele Eltern, wie sie beim Vorlesen älterer Texte mit Begriffen umgehen sollen, die nach heutigem Verständnis als klar rassistisch / unangemessen erachtet werden. Erklärt man diese seinem Kind ausführlich? Beschreibt man diese Begriffe oder überliest man sie schlichtweg dezent?

Schon im Jahre 2009 wurde eine Debatte um politisch korrekte Kinderbücher angestoßen. Damals entschied sich der Oetinger-Verlag dazu, die deutsche Ausgabe von "Pipi Langstrumpf" (1945) in überarbeiteter Form und ohne das häufig verwendete "N-Wort" herauszugeben. Auch im Jahr 2022 gab es zahlreiche Diskussionen rund um das Thema, als sich der Ravensburger-Verlag zu entschied, den Verkauf einiger "Winnetou"-Titel angesichts rassistischer und kolonialistischer Erzählmuster zu stoppen.

Das Thema war jüngst auch für die Erben Michael Endes sowie den Kinderbuchverlag Thienemann relevant: Hier entschied man sich letztendlich dazu, in der am 24. Februar 2024 erschienenen Neuauflage der beiden "Jim-Knopf"-Romane ebenfalls auf das "N-Wort" zu verzichten. Obwohl Ende, der als weltoffener und keineswegs rassistischer Mensch galt, das "N-Wort" dem entsprechenden Charakter Herrn Ärmel bewusst in den Mund gelegt hat, um "auf die fehlende Weltoffenheit dieses typischen Untertans hinzuweisen", war der Verlag der Meinung, das diskriminierende Wort in der Neuauflage besser vollends zu streichen.

Ähnliches gilt für die Gleichsetzung von schwarzer und schmutziger Haut, die Ende als Stilmittel nutzte, um die enge Verbindung zwischen Jim Knopf und dem Lokomotivführer Lukas hervorzuheben. Vor dem Hintergrund von Rassismuserfahrungen farbiger Menschen habe man sich auch hier entschlossen, die Darstellung des Charakters anzupassen.

Der Verlag begründete die Änderungen dahingehend, dass "Kinder, die die Bücher jetzt lesen, diese sprachlichen Elemente nicht in ihren Alltagswortschatz übernehmen" sollten. Die Ausgaben mit den schwarz-weißen Originalillustrationen bleiben jedoch weiterhin unverändert lieferbar. Diese werden künftig allerdings ein einordnendes Nachwort erhalten.

Zwei Diskutierende

Sind derartige Änderungen angebracht? Stimmen aus der gutefrage Community

Die Geschäftsführerin des Thienemann Verlags, Bärber Dorweiler, betonte, dass es in solchen Fällen grundsätzlich zwei Positionen gebe Menschen, die sich dafür einsetzen, dass - nach ihrer Auffassung - veraltete Bücher überarbeitet und gewisse kritische Begriffe ausgetauscht oder gestrichen werden sollten. Gegenstimmen argumentieren allerdings, dass es sich bei den jeweiligen Texten um Kunstwerke handelt, die in ihrer Originalform bewahrt werden müssten.

Für den kulturpolitischen Sprecher der AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg, Rainer Balzer, sind derartige Änderungen ein "seltene[r] Akt von Kulturbarbarei gegen einen Autor, der sich nicht mehr wehren kann". Anne Chebu, Mitglied in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD e.V.), begrüßt, dass die klischeehafte Darstellung durch eine zeitgemäße ersetzt worden ist. Die Änderungen könnten ihr zufolge dazu führen, dass der Roman für afrodeutsche Kinder in Zukunft eine besondere Identifikationsrolle übernimmt.

Selbstverständlich hat uns in diesem Kontext auch interessiert, was unsere Nutzer zu dieser sehr kontrovers diskutierten Thematik zu sagen haben.

Sowohl Jekanadar als auch elilili530 blicken etwas differenziert auf das Thema, indem sie sagen:

Gerade im Hinblick auf ältere Kinderbuchklassiker fragen sich manche Eltern heute sicherlich, wie sie beim Vorlesen mit Begriffen umgehen sollen, die nach heutigem Verständnis als klar rassistisch / unangemessen erachtet werden

Das ist der Punkt: "Wie erkläre ich's meinem Kinde?"

Man hat hier zwei Möglichkeiten.

a) den Eltern eine kommentierte Version verkaufen, um dieses Thema kindgerecht anzugehen

b) die entsprechenden Begriffe ändern, wenn der Kontext dadurch nicht angegriffen wird

Sprache und Denken sind eng miteinander verknüpft. Wie soll Rassismus auf lange Sicht besiegt werden, wenn er immer wieder irgendwo auftaucht, ohne dass der "Konsument" vernünftig darüber aufgeklärt wird warum bestimmte Begriffe und Denkweisen negativ besetzt sind?

Zur Antwort

Ich persönlich finde es sehr schwierig und bin überrascht, gleichzeitig die Meinung einer Schwarzen aus der ISD und eines AfD-Politikers irgendwie nachvollziehbar zu finden.

Man könnte das Ganze von den Intentionen und Gesinnungen des Autors abhängig machen. Wie in diesem Beispiel, man weiß, dass Michael Ende kein rassistischer Mensch gewesen ist und er Lukas nicht aus rassistischen Motiven so hat aussehen lassen. Da fände ich eigentlich eine Anmerkung im Buch besser, als es so umzugestalten.

(Überhaupt bin ich dafür, die Sachen als Original zu erhalten und eine Anmerkung hinzuzufügen)

So macht man es derzeit schon mit alten Cartoons.

Zur Antwort

Eine klare Absage an nachträgliche Änderungen dieser Art gibt es vom Nutzer vanOoijen, der denkt:

Ich habe die Verfilmung von "Jim Knopf" der Augsburger Puppenkiste als Kind Anfang der 80er Jahre mit Begeisterung gesehen und es hat mich weder zum Rassisten gemacht, noch habe ich das Wort "N*ger" außerhalb von "Negerkuss" verwendet, weil meine Mutter mir schon damals beigebracht hat, dass man schwarze Menschen nicht so nennt.

Rassismus bekämpft man nicht durch Umformulierung von harmlosen Kindergeschichten.

Zur Antwort
Vier Leute diskutieren

Und auch unsere gutefrage Nutzer Marnia88 und Venus345 sind bzgl. dieser oder vergleichbarer Änderungen eher skeptisch eingestellt:

Schon bei den Disney-Filmen oder wenn Märchen neu geschrieben werden hat mich das massiv gestört. Es gab halt diese Zeit und ich finde das kann man dem Kind erklären und das es heute nicht mehr so ist. Warum schreibt man nicht einfach neue Bücher oder dreht neue Filme die in die Zeit passen. Dann kann man das ja gerne vergleichen.

Wir sind ja nicht alle gleich Rassisten nur weil wir unsere Kindheits Helden noch genauso lesen oder sehen möchten wie wir sie kennengelernt haben. Für mich sind diese Neuauflagen befremdlich und ich kann mich damit nicht anfreunden.

Zur Antwort

Hallo ich persönlich finde, das ist alles total übertrieben, die Gedanken zählen da wo man dabei hat, das spielt sich alles im Kopf ab. früher gab es Mohrenkopf und Negerküsse, niemand hatte damals rassistische Gedanken

Zur Antwort

Gänzlich anderer Meinung sind dagegen die beiden User DieMelanie222 und Rojalamo, die sich klar für Anpassungen dieser Art aussprechen:

Ist doch ein logischer Prozeß. Sprache hat Wirkung und es macht nun mal Sinn Wirkungen die Vorurteile untermauern und diskriminierend sind zu korrigieren.

Zur Antwort

Offensichtlich abwertende Begriffe aus Kinderbüchern zu entfernen finde ich völlig legitim.

Und das ist es, ein KINDERBUCH. Ich fand das Buch als Kind klasse. Und die Kinder werden auch die Neuauflage klasse finden. Nur ein par bemitleidenswerte Erwachsene werden sich darüber aufregen. Dem Kind ist das völlig bums.

Grundsätzlich begrüße ich die Entscheidung Kinderbücher hier etwas Zeitgemäßer zu gestalten. Wissenschaftliche oder andere Texte, die von älteren Zielgruppen gelesen werden, würde ich aber im Originalen lassen.

Zur Antwort

Wie Du siehst ist die Frage danach, ob und inwieweit nachträgliche Änderungen bei älteren Filmen, Serien oder Büchern angebracht sind, nicht ganz so leicht zu beantworten. Hast auch Du vielleicht eine konkrete Meinung zu diesem Thema? Dann schau gerne noch einmal bei unserer Meinung des Tages vorbei und lass die Community wissen, wie Du hierzu stehst.

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