Kennt jemand den Ursprung der Fabel "Der Löwe und die Hasen"?

1 Antwort

Aristoteles, Politik 3, 13, 1284 a 15 – 17 hat Antisthenes als Autor der Fabel (über Löwen und Hasen) angegeben.

Zu Aisopos (Αἴσωπος; lateinisch: Aesopus; daher die deutsche Kurzform Aesop) ist kaum Sicheres greifbar. Er hat nach der antiken Überlieferung im 6. Jahrhundert v. Chr. gelebt und ist Begründer der literarischen Gattung der Fabel gewesen. Die erste in erhaltenen antiken Texten erwähnte schriftliche Sammlung von aisopischen/aesopischen Fabeln hat erst Demetrios von Phaleron um 300 v. Chr. zusammengestellt (Diogenes Laertios 5, 80). Es hat dann verschiedene Sammlungen gegeben. Auch neue aisopische/aesopische Fabeln sind dabei anscheinend hinzugekommen. Erhaltene antike Texte aisopischer/aesopischer Fabeln sind spätere Bearbeitungsstufen (von Autoren wie Phaedrus, Babrios und Avianus). Welche Erzählung wirklich ursprünglich von Aisopos stammt und welche nicht, kann nicht genau und sicher herausgefunden werden.

Löwe und Hase sind typische Figuren der Tierfabel. Die Fabel über Löwen und Hasen ist in manche moderne Textausgaben aisopischer/aesopischer Fabeln aufgenommen worden. Die Zuordnung zu dem Typ der Erzählung ist nachvollziehbar, aber zweifelhaft, ob Aisopos der ursprüngliche Autor gewesen ist.

Aristoteles selbst deutet den Inhalt der Erzählung nur an. Offenbar war die Erzählung damals bei seiner Zuhörerschaft/Leserschaft sehr bekannt und eine Anspielung ausreichend, um den Gedankengang zu verstehen.

Löwenvergleiche gibt es schon bei Homer. Gegen Forderungen nach Gleichheit wendet sich mit Vergleich der Starken mit Löwen die Dialogfigur Kallikles bei Platon, Gorgias 483 e.

Fabeln über Löwe(n) und Hase(n) hat es möglicherweise schon vorher gegeben, Texte liegen aber nicht vor.

Meines Erachtens ist es am besten, Aristoteles zu folgen und Antisthenes als den Autor der bestimmten Fabel, auf die er sich bezieht, anzunehmen.

Aristoteles, Rhetorik 2, 20, 1393 a – 1494 a geht auf Fabeln ein, erwähnt mehrfach Aisopos und erzählt den Inhalt einer Fabel des Aisopos. Dies legt nahe, Aristoteles hätte ausdrücklich auf Aisopos hingewiesen, wenn er seiner Meinung nach der Autor der Fabel über Löwen und Hasen war, auf die er sich bezieht. Aristoteles nennt aber an dieser Stelle (Politik 3, 13, 1284 a 15 – 17) nicht Aisopos, sondern Antisthenes als Autor.

Aristoteles erörtert vorher den Fall einer außerordentlichen Überlegenheit eines einzelnen Mannes oder einer kleinen Gruppe, die über die anderen weit herausragen. So jemand mit hervorragender Tugend/Vortrefflichkeit/Tüchtigkeit (ἀρετή) und Fähigkeit sei gleichsam wie ein Gott unter Menschen, es gebe keine Gesetzgebung über ihn, sondern er sei das Gesetz.

Aristoteles, Politik 3, 13, 1284 a 14 - 17 καὶ γὰρ γελοῖος ἂν εἴη νομοθετεῖν τις πειρώμενος κατ᾽ αὐτῶν. λέγοιεν γὰρ ἂν ἴσως ἅπερ Ἀντισθένης ἔφη τοὺς λέοντας δημηγορούντων τῶν δασυπόδων καὶ τὸ ἴσον ἀξιούντων πάντας ἔχειν.

Aristoteles, Politik. Übersetzt und mit einer Einleitung sowie Anmerkungen herausgegeben von Eckart Schütrumpf. Hamburg : Meiner, 2012 (Philosophische Bibliothek ; Band 616), S. 115:  

„Und jemand würde sich lächerlich machen, wenn er versuchte, ihnen Gesetze zu geben; denn sie könnten vielleicht äußern, was nach der Fabel des Antisthenes die Löwen zur Antwort gaben, als die Hasen in einer Versammlung demagogische Reden hielten und forderten, alle müßten gleiches Recht haben.“

Aristoteles, Politik. Band 2: Buch II. Über Verfassungen, die in einigen Staaten in Kraft sind, und andere Verfassungen, die von gewissen Männern entworfen wurden und als vorbildlich gelten. Buch III. Über die Verfassung. Übersetzt und erläutert von Eckart Schütrumpf. Berlin : Akademie-Verlag, 1991 (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach, herausgegeben von Hellmut Flashar ; Band 9), S. 525:  

„Der Herrschaftsanspruch des so Überlegenen beruht auf dem in Kap. 9 (1280a 11 ff.) entwickelten Rechtsgrundsatz, daß Ungleiche auch eine ungleiche Stehung verdienen (hier 1284 a 9), ein Grundsatz, den die Hasen in der Parabel des Antisthenes ignorierten (a 15).“

S. 530: „74, 36 (a 15) »Antisthenes": Ursprünglich Anhänger des Sokrates, dann Gründer der Kynischen Schule; über die Schrift, der diese Bemerkung entnommen sein könnte, sind nur Vermutungen möglich: Susemihl-Hicks dachten an den Πολιτικός; Newman an Κύρος ή περὶ βασιλείας. Die Antwort der Löwen war: „Euren Worten fehlen die Krallen und Zähne, die wir haben" (A e s o p i c a ed. Perry 1952, 450). Newman verweist darauf, daß der Antrag der Hasen dem Verhalten des Demos gegenüber den Besten aus der Sicht des Kallikles bei Plat. G o r g. 483 e 4 entspricht.“

Plat Gorg. = Platon, Gorgias

S. 531: „Anwendung des Ostrakismos ist Herstellung von Gleichheit, also im vorliegenden Zusammenhang die Verwirklichung des Anspruches der Hasen gegen die Löwen; daher erläutert Ar. hier zunächst, wie die entarteten Verfassungen (s. o. Vorbem. zu Kap. 3 und Anm. zu 1276 a 7), Tyrannis (1284 a 26 ff.), Demokratie und Oligarchie (a 35), mit der Überlegenheit Einzelner fertig werden, danach die richtigen Verfassungen (b 3 ff.).“

s. o. Vorbem. = siehe oben Vorbemerkung  

Ar. = Aristoteles

Gert-Jan van Dijk, Ainoi, logoi, mythoi : fables in archaic, classical, and hellenistic Greek literature ; with a study of the theory and terminology of the genre. Leiden ; New York ; Köln : Brill, 1997 (Mnemosyne : bibliotheca classica Batava. Supplementum ; 166), S. 321 – 323 vertritt die Auffassung, die Fabel des Antisthenes stehe ohne weitere Bezeugung allein da, der einstige Zusammenhang sei nicht erhalten, andere Fabeln mit den Löwen bzw. Hasen ließen sich nicht anwenden, die Löwen hätten wahrscheinlich in ihrer Antwort die Forderung nach Gleichheit abgelehnt und erledigt und Antisthenes das in der Demokratie, besonders in Athen eingehaltene Gleichheitsprinzip lächerlich gemacht.

Susan Prince, Antisthenes of Athens : texts, translations, and commentary. Ann Arbor : University of Michigan Press, 2015, S. 253 weist auf Löwenvergleiche hin und bezeichnet Löwen und Hasen als Standardcharaktere der Tierfabel, ohne aber eine Theorie zum genauen Ursprung der Fabel von Löwen und Hasen aufzustellen.

Die Antwort der Löwen wird nicht ausdrücklich wiedergegeben. Offenkundig haben sie in der Erählung die Forderung der Hasen nach Gleichheit/gleichem Recht/Gleichberechtigung abgelehnt und verspottet/lächerlich gemacht.

Eine Erzählung mit Antwort der Löwen ist anscheinend erst 1538 geschrieben worden bei: Joachim Camerarius, Aesopi Phrygis Vita. Fabellae Aesopicae plures quadrigentis, quaedam prius etiam, multae nunc primum editae : omnes autem orationis conveniente & aequabili veluti filo pertextae ; Fabulae item Livianae duae, & Gellianae aliquot, necnon Politiani, Gerbelij & Erasmi narrationes

Leporum concio

Quodam tempore visum est omnibus bestiis conventum et coetum habere, quod aliarum de aliis frequentissimae querelae essent. Ubi dictis ultro citroque sententiis, lepores ita contionatos perhibent: Videri sibi aequum omnium ut bestiarum eadem sit dignitas et par potestas, neque oportere alias tanto plus, alias minus valere. Hoc enim pacto fieri ut inferiores praestantibus direptioni et praedae sint. Quibus dictis oblocutos leones accepimus, orationi leporinae deesse ungues et dentes.

Fabula docet, fortem orationem, nisi etiam viribus sit fulta a potentioribus derideri. Similiter Plutarchus, cum Megarensis quidam coram Lysandro oratione uteretur libera et magnifica, scribit hoc tantum respondisse illum: Defici illa verba civitate.

Der Ausspruch des Lysandros an den Mann aus Megara kommt bei Plutarch vor, auch einem anderen zugeschrieben bzw. inhaltlich leicht abgewandelt (fehlende Kraft bzw. Macht eines Menschen bzw. seines Staates):

Plutarch, Basileon apophtegmata kai strategon (Βασιλέων ἀποφθέγματα καὶ στϱατηγών; Aussprüche der Könige und Strategen/Feldherren; lateinischer Titel: Regum et imperatorem apophthegmata) 60, 5 (Ἠθικά/Moralia 190 f) (Lysandros)

Plutarch, Apophtegmata Lakonika (Ἀποφθέγματα Λακωνικά; Aussprüche der Lakedaimonier; lateinischer Titel: Apophthegmata Laconica) 2, 56 (Ἠθικά/Moralia 212 e) (Agesilaos)

Plutarch, Apophtegmata Lakonika (Ἀποφθέγματα Λακωνικά; Aussprüche der Lakedaimonier; lateinischer Titel: Apophthegmata Laconica) 5, 13 (Ἠθικά/Moralia 216 a) (Agis, Sohn des Archidemos)

Plutarch, Apophtegmata Lakonika (Ἀποφθέγματα Λακωνικά; Aussprüche der Lakedaimonier; lateinischer Titel: Apophthegmata Laconica) 54, 8 (Ἠθικά/Moralia 229 a) (Lysandros)

Plutarch, Apophtegmata Lakonika (Ἀποφθέγματα Λακωνικά; Aussprüche der Lakedaimonier; lateinischer Titel: Apophthegmata Laconica) 69, 3 (Ἠθικά/Moralia 232 d) (anonym)

Karl Felix Halm hat in seiner zuerst 1852 erschienenen Textausgabe aispoischer/aesopischer Fabeln dem Text bei Aristoteles ein Ende in der Art von Camerarius hinzugefügt, in altgriechischer Sprache (Nr. 241).

Aesopica : a series of texts relating to Aesop or ascribed to him or closely connected with the literary tradition that bears his name. Collected and critically edited, in part translated from Oriental languages with a commentary and historical essay by Ben Edwin Perry. Volume 1: Greek and Latin texts. Urbana : University of Illinois Press, 1952 enthält auch die Hinzufügung (Nr. 450)

Ursula Gärtner, Phaedrus : ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln. München : Beck, 2015 (Zetemata : Monographien zur klassischen Altertumswissenschaft ; Heft 149), S. 121 Anm. 35 weist darauf hin, es handle sich bei diesem Ende mit einem Wortlaut der Äußerung der Löwen nur um Hinzufügungen von Herausgebern.

Die griechischen Philosophen. Deutsch in Auswahl mit Einleitung von Wilhelm Nestle. Band 2: Die Sokratiker. 1. – 3. Tausend. Jena : Diederichs, 1922, S. 84:  

„Als die Hasen im Volksrat gleiches Recht für alle forderten, da sagten die Löwen: „Euren Reden, ihr Hasen, fehlen Klauen und Zähne, wie wir sie besitzen.“ (45)“

Fabeln der Antike : griechisch - lateinisch – deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Harry C. Schnur. Überarbeitet von Erich Keller. 3., verbesserte Auflage. Düsseldorf ; Zürich : Artemis & Winkler, 1997 (Sammlung Tusculum), S. 104 und S. 105:

Λέοντες καὶ Λαγωοί

Δημηγορούντων τῶν δασυπόδων καὶ τὸ ἴσον ἀξιούντων πάντας ἔχειν, οἱ λέοντες ἔφασαν• „οἱ λόγοι ὑμῶν, ὦ δασύποδες, ὀνύχων τε καὶ ὀδόντων, οἵων ἡμεῖς ἔχομεν, δέονται.“

„LÖWEN UND HASEN

Als die Hasen Volksreden schwangen und unbedingte Gleichheit für alle verlangten, sagten die Löwen: „Euen Argumenten, ihr Hasenfüße, fehlen Klauen und Zähne, wie wir sie haben.

Antisthenes bei Aristoteles Polit. 3, 13, 1284a 15.“

Die Hinzufügung wird auch in der Märchenforschung aufgegriffen, ohne ausdrücklich auf das Fehlen des echten Endes im Antisthenes-Zeugnis hinzuweisen.

Rudolf Schenda, Hase. In: Enzyklopädie des Märchens : Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Band 6: Gott und Teufel auf Wanderschaft - Hyltén-Cavallius. Herausgegeben von Kurt Ranke zusammen mit Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner, Lutz Röhrich, Rudolf Schenda. Redaktion: Ines Köhler, Ulrich Marzolph, Elfriede Moser –Rath, Hans-Jörg Uther. Berlin : New York : de Gruyter, 1990, Spalte 449:  

„Als die H.n Reden über Gleichheit hielten, erwiderten die → Löwen: Euren Argumenten fehlen unsere Klauen und Zähne“

Spalte 454 Anm. 45 wird dazu verwiesen auf:

Haim Schwarzbaum, The Mishlé Shu'alim (fox fables) of Rabbi Berechiah Ha-Nakdan. Kiron : Institue for Jewish and Arab Folklore Research, 1979, 155 nota 2 und p. 473 ff.

Gerd Dicke/Klaus Grubmüller, Die Fabeln des Mittelalters und der frühen Neuzeit : ein Katalog der deutschen Versionen und ihrer lateinischen Entsprechungen. München : Fink, 1987 (Münstersche Mittelalter-Schriften ; Band 60), numerus 225, 262

eine Auffassung, Aristoteles habe die Fabel einer Antisthenes-Schrift entnommen:

Ioannes Touloumakos, Aristoteles In: Enzyklopädie des Märchens : Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von Kurt Ranke. Mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben von Rolf Wilhelm Brednich zusammen mit Heidrun Alzheimer, Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner, Daniel Drascek, Helge Gerndt, Ines Köhler-Zülch, Klaus Roth, Hans-Jörg Uther. Redaktion: Doris Boden, Susanne Friede, Ulrich Marzolph, Ulrike-Christine Sander, Christine Shojaei Kawan. Band 14: Vergeltung – Zypern. Nachträge: Ābī - Zombie. Berlin : New York : de Gruyter, 2014, Spalte 1526 - 1527:  

„Im Rahmen der theoretischen Begründung der drei Staatsverfassungen (Politik 3, 284a) wird ferner auf die zum Umfeld der → Königswahl der Tiere […] gehörende Fabel angespielt, nach der die Hasen bei einer Versammlung, an der auch die Löwen teilnehmen, gleiches Recht für alle verlangen. Diese Fabel entnahm A. einer Schrift von Antisthenes, dem Begründer des Kynismus.“

A. = Aristoteles


Albrecht  30.10.2017, 06:22

Klaus Döring, Antisthenes, Diogenes und die Kyniker der Zeit vor Christi Geburt. In: Sophistik, Sokrates, Sokratik, Mathematik, Medizin (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 2/1). Herausgegeben von Hellmut Flashar. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1998, S.Dörung S. 277 – 278:  

„Die Tugend ist aber nicht nur für den einzelnen die unabdingbare Voraussetzung für ein glückliches Leben, sie ist es auch für das Wohlergehen und das Glück der Gesamtheit der Bürger einer Polis. Daraus ergibt sich, dass die poltische Macht in den Händen derer liegen sollte, die wissen, was Tugend ist, und zu ihr hinzuführen vermögen. Erkennt man dies an, dann verbietet sich die Demokratie, insbesondere die radikale Demokratie athenischen Musters von selbst, da in ihr Gute und Schlechte, Wissende und Unwissende in gleicher Weise an der politischen Macht teilhaben. In den Augen des Antisthenes ist dies eine Absurdität. Aristoteles erwähnt einmal nebenher, Antisthenes habe diejenigen, die gleiche Rechte für alle forderten, unter Bezugnahme auf eine uns nicht näher kenntliche Fabel an die Abfuhr erinnert, die die Löwen den Hasen erteilt hätten, als diese öffentliche Reden gehalten und gefordert hätten, alle sollten das Gleiche haben (Aristot. Pol. Γ 1284al5-17 = SSR V A 68,4-6). Diogenes Laertios zufolge soll Antisthenes es als widersinnig bezeichnet haben, «dass man aus dem Getreide das Unkraut ausscheidet und im Krieg die Untauglichen, bei der Verwaltung des Staates aber die Schlechten nicht ablehnt» (Diog. Laert. 6,6 = SSR V A 73). Derselbe berichtet, Antisthenes habe den Athenern geraten, die Esel durch Abstimmung zu Pferden zu machen; als sie dies für unsinnig erklärt hätten, habe er darauf verwiesen, dass bei ihnen ja auch die Feldherren durch Handaufheben bestimmt würden, ohne dass nach ihrer Qualifikation gefragt werde (Diog. Laert. 6,8 = SSR V A 72). Antisthenes beschränkte sich jedoch offenkundig nicht darauf, die bestehenden politischen Verhältnisse als dem Wohl der Gemeinschaft abträglich zu kritisieren, sondern trug in seinen Schriften auch positive Gedanken darüber vor, wie das Leben in der Polis geordnet sein solle. Fassbar ist davon allerdings ausser dem Grundprinzip, dass die Tugend die oberste Norm ist, nur dies eine, dass Antisthenes an der Institution der Ehe festhielt. Diogenes Laertios zufolge vertrat er die Auffassung, «der Weise werde die Ehe eingehen, um Kinder zu zeugen, indem er sich mit Frauen verbinde, die über die beste Natur verfügen (εὐφυεστάταις). Auch werde er sich verlieben; denn der Weise wisse als einziger, in wen er sich verlieben muss» (Diog. Laert. 6,11 = SSR V A 58).“

Aristot. Pol. = Aristoteles, Politik  

SSR = Socratis et Socraticorum Reliquiae  

Diog. Laert. = Diogenes Laertios

Christian Mueller-Goldingen, Untersuchungen zu Xenophons Kyrupädie. Stuttgart ; Leipzig : Teubner, 1995 (Beiträge zur Altertumskunde ; Band 42), S. 28:  

„Antisthenes greift die Demokratie wegen ihres Gleichheitsprinzips an und bedient sich dazu des αἶνος von den Löwen und Hasen; letztere beanspruchen in der Volksversammlung das gleiche Recht und werden von den Löwen mit dem Hinweis auf ihre unterlegene Physis in die Schranken gewiesen. Antisthenes' Kritik an der radikalen, arithmetischen Gleichheit ordnet sich in den Zusammenhang der Gleichheitsdebatten der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts und der ersten Jahrzehnte des 4. Jahrhunderts ein.“

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MUCMadl 
Fragesteller
 24.01.2018, 20:39

Lieber Albrecht, ich habe mich noch garnicht für die wunderbare und ausführliche Ausführung bedankt. Du hattest mir schon mal eine so knifflige Frage zur Antike beantwortet. Herzlichen Dank und ich bewundere Dein umfangreiches Wissen!

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