Ist die deutsche Sprache deskriptiv oder präskriptiv?
Ist die deutsche Sprache deskriptiv oder präskriptiv? Oder ist die Frage schon falsch gestellt, weil nur die Wissenschaft der Sprache (Linguistik) prä- oder deskriptiv sein kann?
Beispiel: Früher wares "böse Sünde" den Plural von Atlas mit "Atlasse" zu bilden. Nun hat der Duden das aber übernommen/akzeptiert. Zeigt dieses Faktum den deskriptiven Charakter der deutschen Sprache oder ist die Orthographie von dieser Begrifflichkeit ausgenommen? Bezieht man Deskriptivität und Präskriptivität nur auf Grammatik?
1 Antwort
Eine Sprache an sich (außer vielleicht ein Metasprache) kann weder deskriptiv noch präskriptiv sein; "deskriptiv" oder "präskriptiv" sind Begriffe, die sich auf die Methode beziehen, mit der Sprache beschrieben wird: Man kann entweder deskriptiv über die deutsche Sprache sprechen, das heißt z. B., besondere Entwicklungen in der Gegenwartssprache wie "Atlasse" als alternative Pluralform zu "Atlanten" lediglich neutral festhalten, ohne sie als falsch oder richtig, schön oder unschön zu markieren, oder man kann sprachliche Entwicklungen präskriptiv bewerten, das heißt, "Atlasse" als falsch ablehnen und "Atlanten" als einzig richtige Variante gelten lassen.
Das Gros der Sprachwissenschaftler hat (wie alle Wissenschaftler) den Anspruch, so objektiv wie möglich zu sein und arbeitet daher deskriptiv. Sprachpflegerische Institutionen hingegen vertreten eine präskriptive Sprachbetrachtung und kritisieren deshalb z. B. den Einzug von Anglizismen in die deutsche Sprache.
Der Duden steht gewissermaßen zwischen den Fronten: Als Regelwerk der Rechtschreibung und Grammatik hat er von Haus aus einen normativen, präskriptiven Charakter. Da er aber das Ziel hat, die deutsche Gegenwartssprache in ihrer Gesamtheit zu dokumentieren, verzeichnet er auch Formen, die früher als "falsch" galten (kennzeichnet sie aber meist als "umgangssprachlich", "landschaftlich" o. Ä.).