Klang altes Englisch wie Deutsch?
Hallo liebe Leute, ich habe einen Klassenkameraden, dessen Vater Engländer ist. Dieser habe ihm vor Kurzem erzählt, dass das alte Englisch dem Deutschen noch sehr viel ähnlicher als heute sei. Dies sei darauf zurückzuführen, dass damals Deutsche aus der Friesenregion nach England auswanderten und ihre Sprache "mitnahmen". Ist dies alles korrekt? Danke...
3 Antworten
Im Prinzip ja, aber …
Altenglisch wurde vor gut 1000 Jahren gesprochen und war dem zeitgleichen Althochdeutsch recht ähnlich; man hätte sich damals über den Ärmelkanal mindestens so gut unterhalten können wie Du heute mit einem Holländer. Also passabel, aber nicht gut.
Mit dem heutigen Deutsch hat das aber nicht mehr so viel zu tun. Du kannst heute weder Althochdeutsch noch Altenglisch ohne Studium verstehen. Dazu ein Beispiel aus dem Beowulf-Lied (Zeit der Abfassung unbekannt, aber jedenfalls vor 1000):
Ða wæs on burgum Beowulf Scyldinga, leof leod-cyning, longe þrage, folcum gefræge
Kannst Du das lesen? Auch, wenn ich Dir sage, daß Beowulf aus der Sippe der Schildinge stammt? Ich übersetze es jetzt mal mit den etymologisch passenden (nicht immer ganz sinnrichtigen) modernen deutschen Wörtern:
Da war in den Burgen Beowulf der Schilding, lieber Leute-König, lange Zeit bei den Völkern berühmt.
Zwei Wörter (þrage=Zeit, gefræge=berühmt) haben weder im modernen Deutsch noch im modernen Englisch eine Entsprechung. Und natürlich sollte es besser heißen guter Volkskönig. Diese Stelle habe ich ausgewählt, weil sie besonders leicht zu verstehen ist; andere bieten weniger Anknüpfungspunkte zum Deutschen:
Gewat ða neosian, syþðan niht becom, hean huses, hu hit Hringdene æfter beorþege gebun hæfdon.
Da ging er dann, sobald die Nacht gekommen war, das hohe Haus zu suchen, wie es die Ringdänen nach dem Biergelage eingerichtet (gebunden?) hatten.
Da erkennst Du bestenfalls ein paar Wörter. Nicht, daß es Dir mit Althochdeutsch besser erginge, auch das ist heute praktisch unlesbar. Zum Beweis werfe ich Dir zwei Zeilen aus dem Muspilli (geschrieben ≈900) an den Kopf.
uue demo in uinstri scal sino uirina stuen, prinnan in pehhe: daz ist rehto paluuic dink
Wehe dem, der in der Finsternis seine Sünde büßen soll, brennen im Pech, das ist ein richtig schreckliches Ding
Es gab damals noch nicht "das" Englisch oder "das" Deutsch, sondern die verschiedensten Dialekte. Natürlich konnten sich Germanen aus dem jetzt norddeutschen oder dänischen Bereich mit den Angelsachsen besser verständigen als heute Deutsche und Engländer. Das aber nur, weil die angelsächsischen Eroberer aus den entsprechenden Festlandgebieten stammten.
Im Prinzip ja, aber die Besiedelung durch die Angelsachsen fand schon im Frühmittelalter statt, seitdem haben Deutsch und Englisch eine weitgehend eigene Entwicklung genommen. Wenn Du Dir einen Eindruck machen willst über die Sprache zur Zeit Shakespeares, kann ich Dir dieses Video empfehlen: https://www.youtube.com/watch?v=WeW1eV7Oc5A
Mit dem Englisch Shakespeares hat Altenglisch nichts zu tun.
Das Englisch Shakespeares gehört schon zum modernen Englisch, auch wenn es eine ältere Fassung davon ist.
Ein heutiger Engländer versteht also Shakespeares Stücke durchaus, während er Altenglisch nicht verstehen würde.