Wie findet ihr dieses Gedicht hier?
Allein den Betern kann es noch gelingen,
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.
Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
Was sie erneuern, über Nacht veralten,
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.
Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,
Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,
Indes im Dom die Beter sich verhüllen,
Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt
Und in den Tiefen, die kein Aug entschleiert,
Die trocknen Brunnen sich mit Leben füllen.
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1. Thema und Gehalt – Gebet gegen Gewalt
Das Gedicht stellt eine fundamentale Gegenüberstellung auf:
- Gewalt und Weltmacht auf der einen Seite
- Stille, Demut und Gebet auf der anderen
Inmitten von Kriegen, Diktatur und Hybris heißt es im ersten Vers fast trotzig:
„Allein den Betern kann es noch gelingen…“
Es ist eine klare Absage an Machtpolitik, Technikglaube und aktivistischen Tatendrang als Heilsmittel. Der Beter – und nicht der Täter – wird zum Hoffnungsträger erklärt. Schneider stellt die These auf, dass nur die Rückbindung an das Heilige, das Geheiligte Leben, die Welt vor der endgültigen Zerstörung bewahren könne.
⚖️
2. Form – Sonettstruktur mit klassischem Ernst
Das Gedicht ist ein strenges italienisches Sonett:
- Zwei Quartette (je vier Verse)
- Zwei Terzette (je drei Verse)
- Meist im umarmenden Reim (abba / abba / cde / cde)
Die Sprache ist hochpoetisch, biblisch-metaphorisch, gesättigt mit religiösem Ernst. Die Metrik ist reiner fünfhebiger Jambus, was dem Gedicht den feierlich getriebenen Rhythmus einer Psalmenrede verleiht.
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3. Täter versus Beter – Kritik an Weltgestaltung
„Denn Täter werden nie den Himmel zwingen“
„Was sie stiften, Not und Unheil bringen“
Das Gedicht richtet sich gegen jene „Macher“, die mit Machtmitteln die Welt umgestalten wollen – sei es politisch, technologisch oder ideologisch. Schneider sieht ihre Werke als vergänglich, zerstörerisch und innerlich leer. Es ist eine prophetische Warnung vor falscher Erneuerung: Was nicht aus geistiger Tiefe kommt, zerfällt.
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4. Die verborgene Hoffnung – Das unsichtbare Heil
Der letzte Teil des Gedichts schwenkt ins Mystische:
„Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt…“
„Und in den Tiefen, die kein Aug entschleiert,
Die trocknen Brunnen sich mit Leben füllen.“
Hier zeigt sich Schneiders tiefe religiöse Hoffnung: In der Unsichtbarkeit, im Verborgenen, im Opfer und im Gebet reift das wahre Heil. Es ist ein poetischer Trost gegen die sichtbare Niederlage des Guten. Auch wenn „Menschenhochmut auf dem Markte feiert“, wirkt Gott – unsichtbar – in den Tiefen.
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5. Wirkung und Aktualität
Das Gedicht ist mehr als ein religiöser Text – es ist ein stiller Protest gegen Totalitarismus, Aktivismus und Sinnverlust. Im historischen Kontext ist es auch ein versteckter Widerstandstext gegen den Nationalsozialismus.
In der Gegenwart gewinnt es neue Resonanz: In Zeiten globaler Krisen, Entfremdung und Machtversessenheit erinnert es an die Kraft der Kontemplation, der Ethik, der Spiritualität – nicht als Rückzug, sondern als Gegenkraft zu Lärm und Hybris.
📜 Fazit
Ein sprachlich und formal meisterhaftes Gedicht mit hohem ethischen und spirituellen Gehalt. Es ist ein Gebet in Versform, eine innere Standpauke für den Menschen in der Moderne – und zugleich ein Hoffnungsschimmer für eine Welt, in der das Heil scheinbar verschwunden ist.
Ein Text für Gewissensmenschen. Nicht laut, aber unüberhörbar.