Religion ist mehr als ein altes, überholtes Erklärungsmuster für natürliche Phänomene. Es tut mir Leid, aber wer Religion ausschließlich so sieht, ist noch nicht zum Kern der Dinge vorgestoßen. Seit Jahrhunderten wird darum gerungen, mit der Deutungshoheit für alle Phänomene auf Menschen Einfluss zu nehmen. Und leider hat sich dieses Ringen zu häufig mit religiösen Themen vermengt. Es wird immer dann schwierig, wenn sich Religion mit Machtstrukturen mischt und so zum vorherrschenden, bestimmenden und auch ausschließenden System wird. Wenn die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten, meinetwegen auch religiösen - oder auch antireligiösen - Gruppe von Menschen darüber entscheidet, ob meine Kinder einen vernünftigen Ausbildungsplatz bekommen oder auch nur die Chance auf einen guten Job haben.
Wir hatten allein in der deutschen Geschichte immer wieder solche Tendenzen, dass sich eine herrschende "cognitive majority" bestimmend und ausschließend gegen andere Lebensentwürfe durchzusetzen suchte.
Aber "cognitive majority" ist nur Macht. Sie ist nicht Wahrheit. Vieles, was die "cognitive majority" heute glaubt, ist Lüge. Oder Selbstbetrug. Oder Wunschdenken. Aber nicht wirklich. Nur: Der "König" glaubt es - und mit ihm sein Volk.
Religion dagegen bedeutet, sich zu besinnen, dass es mit den Dingen dieser Welt noch nicht abgetan ist. So hat es Ludwig Wittgenstein formuliert. Wissenschaft und Religion sind zwei sich ergänzende Geistessysteme, die auf verschiedenen Ebenen operieren, aber nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, weil dadurch beide verlieren.
Ethik kann letztendlich nicht intellektuell redlich allein aus dem Menschen begründet werden. Wir tun das natürlich oft, aber allein die Annahme, dass der Mensch etwas Besonderes ist und somit das Recht hat, solche Gedanken zu denken und solche ethischen Systeme aufzustellen, ist schon nicht mehr allein aus der menschlichen Existenz als solcher abzuleiten.
Aber ich glaube, hier sprengt meine Argumentation den Rahmen. Sorry.
Gruß
Barnabas