Um Johannes 1 vollständig zu verstehen, muss man den Kontext von 1. Mose 1 berücksichtigen, weil beide Kapitel eine tiefgehende Verbindung in ihrer Darstellung des „Wortes“ (griechisch „Logos“) und der Schöpfungsgeschichte aufweisen. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Texten ist so stark, dass Johannes 1 ohne das Verständnis von 1. Mose 1 nur schwer richtig zu begreifen ist.
Hier sind die wichtigsten Punkte, die den tiefen Zusammenhang zwischen den beiden Kapiteln verdeutlichen:
1. „Im Anfang“ – Ein gemeinsamer StartpunktSowohl 1. Mose 1 als auch Johannes 1 beginnen mit den Worten: „Im Anfang...“, was auf den Beginn der Schöpfung verweist. In 1. Mose 1,1 heißt es:
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“
Dies ist der Moment, in dem Gott den Raum und die Zeit ins Leben ruft. Es ist der Beginn von allem, was existiert, und zeigt, dass Gott der Ursprung von allem ist.
In Johannes 1,1 steht:
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“
Johannes verwendet bewusst den gleichen Ausdruck „Im Anfang“, um den Beginn der Schöpfung mit dem „Wort“ in Verbindung zu setzen. Doch Johannes fügt eine tiefere Dimension hinzu: Das „Wort“ war nicht nur ein abstraktes Prinzip, sondern eine Person, die ewig existierte, bei Gott war und selbst Gott war. Das bedeutet, dass das „Wort“ in Johannes 1 nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt der Schöpfung ins Leben trat, sondern vor der Schöpfung existent war. Johannes macht also klar, dass das „Wort“ Jesus Christus ist, der ewig mit dem Vater vereint ist.
2. Das „Wort“ in der SchöpfungIn 1. Mose 1 sehen wir, wie Gott durch sein Wort die Schöpfung ins Leben ruft. Immer wieder heißt es: „Gott sprach“, und daraufhin wurde es. Es ist das Wort Gottes, das die schöpferische Macht besitzt und aus Nichts (dem Chaos) eine geordnete und vollkommene Welt erschafft.
„Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.“ (1. Mose 1,3)
„Und Gott sprach: Es werde eine Ausdehnung inmitten der Wasser...“ (1. Mose 1,6)
Das „Wort“ hat also schöpferische Macht – jedes Mal, wenn Gott spricht, wird es Realität. Es ist nicht nur eine abstrakte oder unsichtbare Macht, sondern die aktive Kraft Gottes, die die Welt ins Leben ruft.
Johannes 1 baut auf dieser Vorstellung auf, aber er geht noch einen Schritt weiter, indem er das „Wort“ mit Jesus Christus identifiziert. In Johannes 1,3 heißt es:
„Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“
Das „Wort“ ist also nicht nur eine abstrakte Kraft, sondern eine Person, die alles erschaffen hat. Das „Wort“ in Johannes 1 ist nicht neu oder erschaffen, sondern ewig und existent vor der Schöpfung der Welt. Wie Gott selbst in 1. Mose 1 spricht, um die Welt zu erschaffen, so sprach Gott in Johannes 1 durch sein „Wort“ – und das Wort, das sprach, war Gott selbst.
3. „Gott sprach (Logos = Das Wort) und es wurde“ – Die schöpferische Kraft des „Wortes“Der Ausdruck „Gott sprach“ in 1. Mose 1 ist entscheidend, um das Prinzip des „Wortes“ zu verstehen. Wenn Gott spricht, geschieht es – es wird, was er sagt. In gewisser Weise ist das Wort also das Werkzeug Gottes, durch das die Schöpfung ihre Existenz erlangt. Gottes Wort hat nicht nur die Macht, sondern auch die Absicht, etwas zu erschaffen.
In Johannes 1 erfahren wir nun, dass dieses „Wort“, das in der Schöpfung die Welt ins Leben rief, Gott selbst ist und dass es Jesus Christus ist. In Johannes 1,1 wird deutlich: Das Wort war bei Gott – das heißt, es war in enger Gemeinschaft mit dem Vater.
„Und das Wort war Gott“ – Das Wort ist nicht nur bei Gott, sondern es ist Gott selbst.
Gott selbst spricht durch das „Wort“, und es wird. Es ist nicht nur ein abstrakter Akt der Kommunikation oder ein philosophisches Prinzip, sondern eine lebendige Person, durch die die Schöpfung ins Leben gerufen wird.
4. Die Menschwerdung des „Wortes“ – Jesus als die Erfüllung der SchöpfungIn Johannes 1,14 lesen wir:
„Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“
Was wir in 1. Mose 1 als die schöpferische Kraft des „Wortes“ sehen – dass Gott durch sein Wort alles erschafft –, wird in Johannes 1,14 durch die Menschwerdung des „Wortes“ konkretisiert. Das gleiche „Wort“, das die Welt erschuf, wird in Jesus Christus Fleisch und lebt unter den Menschen. Er ist nicht nur der Schöpfer der Welt, sondern auch der Erlöser, der in diese Welt kam, um die ursprüngliche Schöpfung zu erlösen und zu vervollständigen.
Die Menschwerdung des „Wortes“ zeigt uns die tiefe Verbindung zwischen Schöpfung und Erlösung. Das „Wort“, durch das alles ins Leben gerufen wurde, kommt als Mensch, um den Menschen zu erlösen und die verlorene Schöpfung zu restaurieren. Dies zeigt, dass Schöpfung und Erlösung untrennbar miteinander verbunden sind – es ist dasselbe „Wort“, das sowohl die Welt erschuf als auch die Erlösung brachte.
5. Das Verhältnis von Schöpfung und ErlösungIn 1. Mose 1 wird die Schöpfung als „sehr gut“ erklärt (1. Mose 1,31), aber durch die Sünde des Menschen in 1. Mose 3 kam der Fall und das Verderben der Schöpfung. Die Welt wurde nicht so belassen, wie sie ursprünglich war, sondern braucht eine Wiederherstellung.
Johannes 1 stellt fest, dass das „Wort“ das Leben und das Licht der Menschen ist, aber das Licht „scheint in der Finsternis“ (Johannes 1,5). Die Dunkelheit symbolisiert die Sünde und den Tod, die durch den Fall der Menschheit in die Welt kamen. Aber durch das „Wort“, das als Jesus Christus Fleisch wurde, kommt das Licht und die Erlösung in die Welt, um die Dunkelheit zu überwinden und eine neue Schöpfung zu bringen. Jesus Christus, das „Wort“, das die Welt erschaffen hat, ist nun auch derjenige, der sie wiederherstellt.
FazitJohannes 1 kann nur im Kontext von 1. Mose 1 vollständig verstanden werden, weil Johannes bewusst den Schöpfungsbeginn aus 1. Mose 1 aufgreift und das „Wort“ als Jesus Christus konkretisiert. Das „Wort“ war nicht nur ein abstraktes Prinzip oder ein Werkzeug Gottes, sondern eine Person, die von Anfang an mit Gott war, selbst Gott war und alles erschuf. Die „Schöpfung durch das Wort“ in 1. Mose 1 findet ihre Erfüllung in der Menschwerdung des „Wortes“ in Johannes 1,14, wo das „Wort“ in Jesus Christus Fleisch wird und unter den Menschen wohnt. Dieser tiefere Zusammenhang zeigt, dass Schöpfung und Erlösung durch das gleiche „Wort“ – Jesus Christus – verwirklicht werden.