Danke für diese sehr persönliche Frage! Man merkt beim Lesen, dass dich da einiges umtreibt!
Zuallererst möchte ich dir sagen, dass diese Zeit der Suche nach dir selbst gar nichts falsches oder defizitäres an sich hat. Mein Eindruck ist, dass du nicht nur unzufrieden mit dir selbst bist, sondern auch nicht so ganz im Reinen damit, dass du noch unterwegs bist. Diese Unterscheidung ist wichtig! Ich kann dir bestätigen, dass die wenigsten deiner Altersgenossen schon heute wissen, wer sie sind. Selbst mit 20 wissen es viele noch nicht - und ich hab schon sehr interessante Vierzigjährige getroffen, die es immer noch nicht wussten.
Orientierung bietet es, wenn du dich nach Rollen umschaust, die du einnehmen kannst. Als erstes bist du Schülerin - das hört sich trivial an, aber wenn du diese Rolle annimmst, kommen eine ganze Menge Pflichten und auch ein paar Privilegien daher, die schon mal für Ausgestaltung deiner Lebensumstände sorgen. Du brauchst also nicht morgens nach dem Aufwachen lange zu überlegen, was du machen könntest: Viele Stunden deines Tages sind schon mal verplant. Wenn du die bestimmungsgemäß nutzt, kommst du schon weiter.
Dann bist du vielleicht Sportlerin im Verein oder in einem Gym? Damit bist du noch weiter verplant, kommen zu den oben genannten Punkten (feste Struktur, Erwartungshaltung, Aufgaben mit Deadlines,...) noch weitere hinzu: Mit diesen Rollen bist du auch Sportskameradin, Organisatorin, Verantwortliche, Ansprechpartnerin, Freundin, Gegnerin, Verliererin und Gewinnerin. Eine Menge interessanter, prägender Erfahrungen sind damit verbunden.
Spielst du ein Instrument? Bist du im Chor? Politisch aktiv? In einer Zockerbande? Im Club ein regelmäßiger Gast, den viele kennen? Hast du ein Ehrenamt? Religiöse Kontakte? Das sind weitere Rollen, die dir helfen, zu verstehen, was du bist und was das Leben für dich ausmachen kann. Sie haben nämlich so viele Erwartungen an dich, das du am Ende wahrscheinlich auf die Bremse treten musst, denn du kannst gar nicht alle erfüllen... Nach dem Beruf der "Schülerin" kommen weitere Ausbildungsetappen, dann irgendwann ein Beruf (und vielleicht sogar eine richtige Berufung!).
Das klingt so, als müsstest du dich anpassen - und ja, da hast du Recht. Aber du brauchst dich nicht zu verbiegen, sondern nur versuchen, ein bisschen reinzupassen. Wenn dir eine Rolle überhaupt nicht liegt, dann musst du überlegen, woran es liegt und ob du diese Rolle womöglich wieder ablegen und durch was anderes ersetzen kannst.
Durch die Erprobung und das Einnehmen der verschiedenen Rollen formt sich dein Charakter, du wirst an manchen Stellen härter, woanders weicher, offener, gehst auf Empfang -- und triffst vielleicht auf einen Partner. Damit kommt die nächste Rolle, denn in einer Beziehung musst du täglich mit Erwartungen und Ansprüchen zurechtkommen (aufpassen: Du musst nicht alle erfüllen!)... so geht es weiter auf der Suche, vielleicht hilft dir ja auch das Reisen, um weitere Impulse aufzunehmen? Oder die Arbeit mit verschiedenen Leuten (ich habe einige Taxifahrerinnen und -fahrer getroffen, die diesen Job extra dafür angenommen haben, um durch die vielfältigen Gespräche das Nachdenken zu befeuern und neue Anregungen aufnehmen zu können).
Wenn du irgendwann Kinder hast, dann wirst du mit dem ersten Tag ihrer Existenz ein Coach für sie sein, der bei der Sinnsuche hilft ... the circle of life goes on ...
Ich wünsche dir alles Gute!