Wie ein Muttersprachler kann man eine Fremdsprache nie beherrschen; das geht allein von der Definition nicht, denn eine Muttersprache ist so erstmal nur die ohne formalen Unterricht erlernte erste Sprache einer Person. Da gibt es natürlich Ausnahmen, beispielsweise bei bilingualen Kindern, aber da zählt jemand, der irgendwann mal anfängt eine Fremdsprache zu lernen, nicht mehr dazu.
Ganz davon abgesehen: Was soll denn ein Muttersprachlerniveau sein? Auch das zweijährige japanische Mädchen spricht auf Muttersprachlerniveau Japanisch. Da kann ich so natürlich mehr Japanisch, als sie. Das Kinderlied, welches die Mutter jeden Abend vorsingt und sie dann irgendwann auch ihren Kindern vorsingen wird, werde ich nicht auf die gleiche Weise und mit den gleichen Gefühlen singen können, selbst wenn ich es lernen würde.
Und was ist mit dem japanischen Arbeiter, mit dem ich nicht auf Japanich über die Unterrichtsgestaltung in japanischen Integrationskursen diskutieren kann, weil er bestimmte Wörter gar nicht kennt und sich die auch nicht herleiten können wird?
Was ist mit der 100jährigen japanischen Oma, die ihr ganzes Leben lang auf dem Land gewohnt hat, praktisch nur Dialekt spricht und so gut wie kein Vokabular aus dem Englischen verwendet? Ist die jetzt weniger Muttersprachlerin, als ich (als deutscher Japanischlerner, der sich mit japanischer Gegenwartssprache auskennt)?
Die eigene Muttersprache hat vor allen Dingen mit Kultur und der eigenen Lebenserfahrung zu tun und wird deshalb entsprechend beherrscht, weil man (normalerweise) von Geburt an mit dieser aufwächst. Über Kultur kann man nachlesen und dann auch imitieren, das ist dann aber immer etwas anderes und man kann auch nicht das löschen, mit dem man selbst aufgewachsen ist.
Was man machen kann, ist, seine Sprachfertigkeiten anhand des europäischen Referenzrahmens für Sprachen zu beurteilen. Da geht es darum wie gut man in welchen Situationen sprachlich handeln kann und welche Sprachkompetenzen man hat. Das wird aber nie mit einem Muttersprachler verglichen, denn die Muttersprache funktioniert ganz anders.
Ein fünfjähriges Mädchen wird in ihrer Muttersprache kein C2-Niveau haben; der Arbeiter womöglich auch nicht.
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Die wenigsten (deutschen) Japanischlerner erreichen ein B2-Niveau. Selbst Leute, die schon ewig in Japan leben, sind da oft nicht besser und haben nicht selten eine grauenhafte Aussprache.
Wenn du am Sterbebett sagen kannst, dass du dein Leben lang gut bis sehr gut Japanisch verwendet hast, dann ist das mehr als ausreichend sein. Man muss dazu nicht wie ein Japaner sein wollen. Das ist (in einem modernen Sprachlernansatz) auch gar nicht möglich.
Was man in vier Jahren erreicht, hängt von den eigenen Ressourcen ab. Wo lernt man? Bei wem lernt man? Womit lernt man? Wie viel Geld investiert man? Wie viele Jahre davon lebt man in Japan? Wie lebt man in Japan? Wann ist man nach Japan gegangen? Besucht man Sprachkurse in Japan? usw.
Wenn man ein sehr hohes Sprachniveau anstreben will, sollte man an einer Uni (in Deutschland) lernen oder täglich in einen privaten, ausgebildeten (!!!!) Japanischlehrer investieren oder zwei sinnvolle Jahre (z.B. Sprachkurs) in Japan verbringen. Sitzen dann die Grundlagen nach etwa drei Jahren, sollte man schon 4-5 Jahre oder länger in Japan anstreben, sonst wird das nix. ; )
(Richtig Japanischlernen fängt an, wenn man den JLPT N1 sehr gut bestanden hat.)