Die Kyrillische bzw russische Hand-Schreib-Schrift und die russische Druckschrift sind trotz aller damit verbundener Problemchen nur Varianten ein und derselben Schrift.
Wie sich ja auch im Deutschen die Druck- und die Kursivschrift unterscheiden. Berücksichtigt man aber fürs Deutsche nicht nur die lateinische sondern dazu auch die deutsche gedruckte Fraktur- und handgeschriebene Kurrentschrift sowie die Sütterlin-Handschrift, wird die Lage mE noch viel komplizierter als bei den russischen Alphabeten.
Bei der besonders komplizierten deutschen Kurrentschrift zB spielt es eine entscheidende Rolle, ob die betreffende Feder mit mehr oder weniger Druck gezogen wird---mit normalen Füllfederhaltern, deren Federn einen überall gleich dicke Strichstärke erzeugen [den sog. Schnurzug], lässt sich die deutsche Kurrentschrift fast gar nicht schreiben (mit Bleistift oder gar Kugelschreiber überhaupt nicht). Trotzdem haben die Generationen von deutschen Schülern lesen und schreiben gelernt, und Goethe, Kant, Schiller und die andern Klassiker schrieben ihre Werke in eben dieser schwer lern- und lesbaren Schrift. Beispiele hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche\_Kurrentschrift
Dabei sind all diese Varianten nachweislich aus der lateinischen Schrift (den gemeißelten Buchstaben der Trajanssäule---ausschließlich lateinische Großbuchstaben) hervorgegangen. Die Abweichungen von dieser Trajans-Schrift einschließlich der Einführung von Kleinbuchstaben sind im Laufe der Jahrhunderte alle durch historische Zufälle, besonders durch den Einfluss bestimmter Schreiber-Schulen, bzw vom 16. Jh an auch der einflussreicheren Druckhäuser, entstanden.
Dabei muss man bedenken: Buchstaben und Laute sind zweierlei.
Es gibt keine natürlilche und gottgegebene Verbindung zwischen
bestimmten Buchstaben und bestimmten Lauten. Alles ist Konvention.
Mit Aussprache-Unterschieden haben all diese Schrift-Varianten wenig bis nichts zu tun: Dass das Verhältnis im Russischen kompliziert ist, das verwundert überhaupt nicht. Im Englischen ist es noch komplizierter (obwohl es im Englischen mal nicht gerade das Verhältnis zwischen Druck- und Kursiv-Schrift ist, das die Probleme macht).
Allerdings sind Alphabet-Schriften immer auf Sprachlaute bezogen; das Verhältnis zwischen Buchstaben und Lauten ist jedoch in allen natürlichen Sprachen ein mehr oder weniger kompliziertes: Kaum ist für eine bestimmte Sprache eine Schreibung erfunden worden und wird sie gebraucht, gibt es durch die Lautentwicklung, den Import ausländischer Lehnwörter und ähnlicher Störungen auch schon kein klares 1:1-Verhältnis zwischen den Buchstaben und den Sprachlauten mehr. Man kann gar nicht erwarten, dass irgendeine dieser historischen Schriften das 1:1-Verhältnis wiederhergestellt hätte.